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„Always on“-Mentalität Werbeprofis warnen vor neuer Oberflächlichkeit

Smartphone und Tablet sind unsere ständigen Begleiter. Das hat Folgen, warnen Werbeprofis. Warum die ständige Erreichbarkeit der Aufmerksamkeit und damit dem Geschäft schadet – und wie die Branche darauf reagiert.
04.07.2016 - 13:09 Uhr Kommentieren
Atomisierung der Mannschaftseuphorie. Quelle: instagram.com/pocho22lavezzi
Argentiniens Nationalmannschaft nach einem Spiel

Atomisierung der Mannschaftseuphorie.

(Foto: instagram.com/pocho22lavezzi)

Düsseldorf Das Foto ging um die Welt: Argentiniens Fußballer sitzen beim „Copa America“ in Adiletten und eingewickelt in Handtüchern in der Umkleidekabine, den Sieg gegen Venezuela im Viertelfinale haben sie gerade klar gemacht, doch sie feiern nicht ausgelassen, sondern sie starren bewegungslos auf ihre Smartphones. So sieht Siegestrunkenheit im Jahr 2016 aus.

Die Atomisierung der Mannschaftseuphorie in einzelne Freudensprünge, ausgedrückt durch Tweets auf Twitter, Posts auf Facebook oder anderer elektronischer Äußerungen, wächst rasant. Das Smartphone, der ständige Begleiter. Morgens in der Bahn, tagsüber in Konferenzen, abends vor dem Fernseher inmitten der Familie.

Die „Always On“-Mentalität, das Bedürfnis, immer erreichbar und sendebereit zu sein, hat aber Folgen. Matthias Brüll, Chef der Agenturholding Group M, zu der die Mediaagenturen Mediacom, MEC, Mindshare und Maxus gehören, warnt: „Viele Menschen konsumieren die Medien immer schneller, aber eben auch immer oberflächlicher“, sagt der Mediaprofi. Wer hin und her zappt, von einem Medium zum nächsten wechselt, der könne zwangsläufig nicht mehr konzentriert die Themen durchdringen. „Das hat auf lange Sicht Auswirkungen auf eine Gesellschaft“, ist der Mediaexperte überzeugt. Auf ihre Kritikfähigkeit, ja sogar auf ihre Allgemeinbildung. „Das ist eine gefährliche Entwicklung.“

Google meldete großen Anstieg an Brexit-Fragen

Für Andreas Bahr, Gründer der Mediaagentur Fluent in Hamburg, ist der Brexit das beste Beispiel für die neue Oberflächlichkeit. „Die Leute setzen sich nicht mehr mit den Inhalten auseinander“, kritisiert er. Und das nicht nur bei politischen Fragen wie dem Austritt Großbritanniens aus der EU. So meldete Google einen gigantischen Anstieg an Brexit-Fragen britischer Internetnutzung – allerdings erst, nachdem die Volksabstimmung am Donnerstag abgeschlossen war. „Warum verlässt Großbritannien die EU“, war eine der meist gesuchten Fragen, und zwar am Tag nach der Abstimmung.

Studien zufolge gucken die Deutschen im Schnitt 208 Minuten pro Tag fern und surfen 107 Minuten im Netz. Junge Menschen sind noch 80 weitere Minuten online. Mediennutzung rund um die Uhr, so scheint es. Mit bedenklichen Folgen: Jens Lönneker, Chef des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold, spricht von einem Zustand des „permanenten Zudröhnen“, denen sich die Menschen aussetzen. Sie würden immer öfter in einen „vorbewussten Zustand schalten“, erklärt der Werbepsychologe. Die Folge: „Man lässt sich von seinen Sehnsüchten leiten.“

Mediachef Brüll appelliert an den gesunden Menschenverstand. „Jeder sollte den eigenen Medienkonsum hinterfragen“, sagt er. Das stundenlange Klicken durch die sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter hält der Group-M-Chef für bedenklich. Immer mehr Menschen würden sich in eine virtuelle Welt verabschieden, kritisiert er.

Firmen speichern Suchanfragen der Nutzer in Shops

Die Oberflächlichkeit steigt, und die Kakofonie der täglichen Werbebotschaften ist groß. Studien zufolge sieht ein Mensch pro Tag mehr als 10.000 Werbebotschaften. Die niedrigen Kosten für Onlinewerbung haben es vielen Unternehmen ermöglicht, ein werbliches Sturmfeuer auf die Menschen zu entfachen. Wer durchs Internet surft, wird von einer Parade werblicher Banner, Bilder und Videos verfolgt. Technische Finessen wie Retargeting haben es den Werbetreibenden ermöglicht, die Suchanfragen der Nutzer in Shops zu speichern – und sie ihnen wieder und wieder anzuzeigen. Irgendwann, so das Kalkül, wird der Nutzer schon noch auf den Kaufbutton klicken.

„Da Werbung im Internet billig ist, können Firmen die Leute ja auch zumüllen damit“, meint Psychologe Lönneker. Doch die Kollateralschäden sind groß: Das Image der Unternehmen leide, meint Lönneker, und die Nutzer rächten sich, indem sie Adblocker, also digitale Werbeblockierer installierten.

Die Mediennutzung, schon im jungen Alter, steigt. Quelle: Imago
Familienabend heute

Die Mediennutzung, schon im jungen Alter, steigt.

(Foto: Imago)

Hinzu kommt ein weiteres Medienproblem: Zeit verdaddeln heißt nicht automatisch auch Aufmerksamkeit schenken. Darauf hatte Martin Sorrell, Chef des Werbekonzerns WPP, zu dem die Mediaagentur Group M gehört, in seiner Rede bei der Digitalmesse Dmexco 2015 in Köln hingewiesen. Mediaexperten horchten auf. Sollte es eine Reichweite geben, die besser oder schlechter ist als eine andere?

Auch wenn Firmen kaum gegen gesellschaftliche Entwicklungen ansteuern können, wie Mediaberater Bahr meint, so müssen sie doch Wege finden, um Botschaften wirksam zu platzieren. Bahr nennt den Königsweg: relevante Botschaften senden. Das üben inzwischen immer mehr Unternehmen – und die Abteilungen für sogenanntes Content Marketing wachsen rasant.

Beobachter trauten ihren Augen nicht

Werbetreibende setzen außerdem auf die wenigen verbliebenden „Leuchttürme“, wie die medialen Inszenierungen heißen, die Millionen Zuschauer anziehen. Fußball zählt auf jeden Fall dazu, jetzt zur Europameisterschaft in Frankreich sowieso, aber auch während der übrigen Zeit, wenn die Bundesliga läuft. Eine Rekordsumme von 4,64 Milliarden Euro erlöste jüngst die Deutsche Fußball-Liga aus ihren Medienverträgen ab der übernächsten Spielsaison. Beobachter rieben sich die Augen.

Das ist eine stolze Summe, die sich nach Einschätzung von Group-M-Chef Brüll aber für die Fußball übertragenden Sender Sky, Eurosport sowie ARD und ZDF rechnen wird. „Werbetreibende Unternehmen haben mit einem Schlag eine Riesenreichweite“, sagt der Mediamanager. Der Marktanteil der ARD beim EM-Gruppenspiel Deutschland gegen Nordirland erzielte lag bei rekordverdächtigen 78,5 Prozent. Mediaexperten sprechen bei solchen Traumquoten gerne von medialen Lagerfeuern, von Ereignissen, die alle in ihren Bann ziehen.

Ein reichweitenstarkes Umfeld wie Fußball sei inzwischen eine Seltenheit, sagt Brüll. „Die Nachfrage der Werbekunden ist hoch und steigt auch noch weiter“, meint er. Einzige Limitierung sei die Knappheit der Werbeplätze, die vor allem unter den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern herrsche.

Das treibt die Preise. Die Kosten eines TV-Werbeplatzes inmitten eines EM-Fußballumfeldes liegen zehn bis 15 Mal höher als in anderen Programmen. Doch die hohe Reichweite, die begrenzte Anzahl an Werbeplätzen und somit an Werbebotschaften sowie die positive Stimmung, die dort transportiert wird, sorge für ein sicheres Investment, meint Brüll.

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