Atheneum Berliner Expertenplattform erhält frisches Geld von US-Investoren

Plattformen wie Atheneum erstellen eine Datenbank von Experten und greifen dafür beispielsweise auf Linkedin zurück.
Hamburg Ein persönliches Gespräch mit einem Branchenexperten ist oft gewinnbringender als die Lektüre einer langen Studie. Auf dieser einfachen Erkenntnis beruht das Geschäftsmodell von Mathias Wengeler. Er hat vor elf Jahren in Berlin die Beratungsplattform Atheneum gegründet. Sie bringt Unternehmenskunden mit Tausenden Experten aus aller Welt zusammen.
Nun will Wengeler das Wachstum von Atheneum beschleunigen und weiter internationalisieren. Eine Finanzierungsrunde über rund 128 Millionen Euro, angeführt vom US-Wachstumsfinanzierer Guidepost, werde dabei helfen, sich gegen die globale Konkurrenz zu behaupten, sagte er dem Handelsblatt. Denn Wengeler ist nicht der Einzige mit globalen Ambitionen.
Es gibt eine Handvoll Anbieter, die ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgen: Sie identifizieren etwa über Linkedin Experten für ein Thema und sprechen sie an, um sie ihrer Datenbank hinzuzufügen. Anschließend bringen sie die Fachleute per Video-Call mit Unternehmenskunden zusammen, die Beratungsbedarf haben. Zudem bieten sie breiter angelegte Expertenumfragen an. Die Bezahlung der Experten wickelt die Plattform ab.
Die Konkurrenz ist agil. In Japan beispielsweise entstand der Konkurrent VisasQ um dieselbe Zeit wie Atheneum. 2002 gründete die Tokioter Goldman-Sachs-Beraterin Eiko Hashiba das Unternehmen und brachte es 2020 an die Börse.
Am Mittwoch vergangener Woche kündigte Hashiba an, mit einem Teil des eingesammelten Geldes den US-Konkurrenten Coleman Research übernehmen zu wollen. Der Kaufpreis liegt bei 102 Millionen Dollar. „Zusammen mit Coleman werden wir das Wachstum beschleunigen, um die Nummer eins unter den globalen Wissensplattformen zu bauen“, erklärte Hashiba.
Auch der chinesische Anbieter Capvision hat angekündigt, nach der Expansion in Asien auch verstärkt Kunden in Europa und Amerika ansprechen zu wollen. Der US-Anbieter Guidepoint hat bereits ein Büro in Düsseldorf.

Seine Firma hat mittlerweile Büros an elf Standorten.
Wengelers direktes Vorbild, der bereits 1998 in New York gegründete Anbieter GLG, ist ebenfalls längst in Europa aktiv. Mit 2000 Mitarbeitern ist GLG den Deutschen deutlich voraus. Wengeler hatte sich von GLG inspirieren lassen, als er vor der Finanzkrise einige Jahre als Berater in Boston aktiv war. Zurück in Berlin baute er Atheneum als deutschen Anbieter nach ähnlichem Prinzip auf.
Der 41-jährige Ex-Berater will nun den Abstand zur Konkurrenz verringern. Dazu will er Atheneum einerseits weiterhin im Heimatmarkt als europäischen Anbieter positionieren, andererseits die bereits 2014 begonnene Expansion auf den US-Markt forcieren.
„Wir wollen die globale Plattform weiter ausbauen sowie den Fokus auf den Ausbau der Technologie und neuer Produkte setzen“, sagte Wengeler dem Handelsblatt. Daher habe er bewusst Investoren aus den USA gesucht, die mit einem Teil des Geldes einige deutsche Investoren der ersten Stunde rauskaufen. Andere Bestandsinvestoren wie der Wirtschaftsverlag Vogel, der zusammen mit dem Berliner Risikokapitalgeber Redstone seit Beginn an Bord ist, investieren hingegen mit.
Auch der Investor Crosslantic ist erneut dabei. Sein erstes Investment aus dem Jahr 2017 habe er versechsfacht, sagte Managing-Partner Sascha van Holt. Er sieht Atheneum als einen Vertreter für die zukunftsträchtige Kombination aus „menschlicher Interaktion und Technologie“. Allerdings habe das Geschäftsmodell eine längere Anlaufphase gebraucht, um eine ausreichend große Expertendatenbank aufzubauen.
Atheneum hat ambitionierte Umsatzziele
Redstone-Chef und Erstinvestor Michael Brehm verweist auf das steigende Wachstumstempo von Atheneum, das für ein elf Jahre altes risikokapitalfinanziertes Start-up noch recht umsatzschwach ist. „Wir haben keine der großen Berliner Hype-Wellen mitnehmen können, weil wir nicht die Buzzwords bedienen“, sagte er. Daher sei Atheneum erst jetzt auf den Schirm von größeren Investoren geraten, die derzeit viel Geld zu verteilen haben.
Brehm ist seit der ersten Investition von 200.000 Euro in das Start-up seines Studienfreunds Wengeler dabei. Vor allem in den ersten Jahren habe es viele Absagen von potenziellen Kunden und Geldgebern gegeben. „Meine Lehre aus der Reise mit Atheneum ist, dem eigenen Instinkt zu folgen, kreativ zu sein und Leute zu finden, die an eine große Vision glauben“, meint der frühere Chef des Studentennetzwerks StudiVZ. Sowieso brauche der Aufbau des B2B-Geschäftsmodells Zeit, da Atheneum ohne große Suchmaschinenwerbung auskomme.
Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei gut 33 Millionen Euro, in diesem Jahr soll er auf bis zu 60 Millionen Euro steigen. Für 2022 peilt Wengeler 85 Millionen Euro an. Seine 456 Mitarbeiter könnten derzeit 680.000 Experten vermitteln, sagt der Gründer. Aktuell gibt es elf Büros zwischen New York und Schanghai. Beim Aufbau des weltweiten Geschäfts half eine Finanzierungsrunde über zehn Millionen Euro vor drei Jahren.
Dabei beurteilen Mitarbeiter das Unternehmen auf Bewertungsseiten wie „Glassdoor“ teils kritisch. Viele gut qualifizierte Einsteiger blieben nur recht kurz bei Atheneum, da der Alltag oft dem in einem eintönigen Callcenter ähnele, heißt es dort. Wengeler führte die Kritik darauf zurück, dass er wie die großen Unternehmensberatungen bewusst hohe Fluktuation in Kauf nehme.
Mit dem nun eigesammelten Geld will er jedoch auch die Personalarbeit verbessern und mehr erfahrene Mitarbeiter einstellen. Sie sollen neben der internationalen Expansion auch die Technik weiterentwickeln.
Das könnte auch Wengeler und seine Vorstandskollegen entlasten: Bislang hätten sie fast allein die Geschäftskunden überzeugt, sagte er. So habe er beispielsweise das US-Geschäft 2014 im Alleingang mit nur 50.000 Euro Budget für das erste halbe Jahr gestartet. Künftig will Wegener mehr Vertriebler beschäftigen.
Dann hätte er mehr Zeit, über eine mögliche Zukunft nachzudenken: Eines Tages könnte Atheneum dem Konkurrenten VisasQ an die Börse folgen. Die Japaner zeigen das Potenzial des Geschäftsmodells für Investoren. Ihre Aktie hat seit dem Börsengang immerhin um gut 160 Prozent zugelegt.
Mehr: Eine Redstone-Auswertung zeigt, warum Berlin Deutschlands Start-up-Metropole bleibt.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.