Coronakrise „Situation ist dramatisch“ – So hart treffen die Corona-Maßnahmen die Schausteller

Die klassischen Weihnachtsmärkte fallen aus. Mancherorts dürfen Schausteller immerhin Essen und Glühwein to go anbieten.
Essen, Köln Willi Kipp steht im Regen. An diesem nasskalten Dezembertag, sagt er, sei er eigentlich ganz froh, dass sein Riesenrad im Kölner Rheinauhafen geschlossen ist. Nur kann Kipp darüber längst nicht mehr selbst entscheiden. Denn seit dem teilweisen Lockdown Anfang November darf der 26-Jährige seine Gondeln nicht mehr fahren lassen.
„Dieses Ungewisse, wann geht es endlich weiter für uns, das ist sehr hart“, sagt Kipp. Dabei hatte er große Pläne: Er wollte Kundschaft vom Weihnachtsmarkt nebenan anlocken und Glühwein für die Fahrt in 55 Meter Höhe anbieten. Im Sommer noch hatte er 42 neue Gondeln bestellt. Kipp war vorbereitet, doch Corona durchkreuzte sein Vorhaben.
So wie Kipp geht es vielen Schaustellern – ihnen entgeht die umsatzstärkste Jahreszeit. 2,88 Milliarden Euro nehmen sie jährlich allein auf den etwa 3000 Weihnachtsmärkten in Deutschland ein. Bis zuletzt war die Hoffnung groß, die Märkte könnten unter strengen Hygienemaßnahmen öffnen. In Oberhausen etwa standen die Buden schon, als die endgültige Absage kam. Jetzt gleicht der Platz vor dem Centro-Einkaufszentrum einer Geisterstadt. Die Schausteller sind zur Untätigkeit verdammt.
„Die Situation ist sehr dramatisch“, sagt Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes (DSB). Manche hätten ihre letzten Umsätze vor einem Jahr gemacht. „Wir brauchen Hilfe vom Staat, solange wir unseren Beruf nicht ausüben dürfen.“
Ritter ist selbst Schausteller in fünfter Generation. Den Familienbetrieb führen inzwischen Tochter und Sohn. Den Senior hält die Lobbyarbeit auf Trab. Er sei in ständigen Gesprächen mit den Ministerien, schreibe „teils nachts noch SMS mit dem Staatssekretär“.
Verbände fordern gesetzlich geregelte Entschädigungen
Mit der zuletzt beschlossenen Überbrückungshilfe III für das erste Halbjahr 2021 habe sich die Lage „etwas verbessert“. Denn diese sei weniger bürokratisch als die Hilfen zuvor – wie etwa die Novemberhilfe, die Unternehmen 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat zusichert.
Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz ist der DSB-Präsident allerdings nicht einverstanden. Darin sind Abstandsgebote und Kontaktbeschränkungen geregelt sowie die Möglichkeit, Betriebsschließungen zu veranlassen, um der Verbreitung des Virus entgegenzuwirken.
Das Gesetz halte aber nicht fest, wie Schausteller und andere Branchen für die Opfer, die diese brächten, entschädigt würden, kritisiert Ritter. Wegen dieser finanziellen Unsicherheit im Falle weiterer Lockdowns prüfen der DSB sowie Tourismus- und Gastronomieverbände, ob sie dagegen Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen. Der vom Gesetz ermöglichte Eingriff in die Grundrechte eines Unternehmens und eines Unternehmers müsse mit entsprechenden Entschädigungen verbunden sein.
Willi Kipp hatte zwar Glück und konnte zumindest im Sommer und Herbst sein Riesenrad öffnen, doch seit dem November-Lockdown ist das vorbei. Auch er musste bereits einen Kredit der KfW aufnehmen. Damit würde er ein paar Monate auskommen, sagt Kipp.
„Eine Kollege steht jetzt bei Rewe hinter der Fleischtheke“
Die kurzfristige Bekanntgabe neuer Corona-Einschränkungen sieht er zwiegespalten. „Einerseits finde ich es gut, dass man nicht schon sechs Monate im Voraus Veranstaltungen absagt. Auf der anderen Seite ist das natürlich schwer zu planen.“
Damit ist Kipp nicht allein. Einige Schausteller haben sich bereits übergangsweise andere Jobs gesucht. Dies bestätigt auch DSB-Präsident Ritter.
Er kenne viele Schausteller, die sich in der Krise erst mal umorientiert hätten, weil ihnen Geld fehle, sagt Ritter. „Ein Kollege, der mal Metzger gelernt hat, steht jetzt bei Rewe hinter der Fleischtheke. Andere sind bei der Müllabfuhr, weil sie einen Lkw-Führerschein haben.“ Doch alle stünden bereit, ihr Geschäft wieder aufzumachen, wenn es die Lage zulasse.
Dabei ist sich der 67-Jährige auch dessen bewusst, dass seine Branche nicht systemrelevant ist: „Das Brot muss man kaufen, man muss auch zum Metzger gehen.“ Ob das Geld für eine Karussellfahrt reiche, überlege man sich da schon eher.
Aber, sagt Ritter: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, das Lachen und das Fröhlichsein ist genauso wichtig für die Volksgesundheit.“

Der 65-Jährige ist Schausteller in fünfter Generation und seit vielen Jahren Präsident der Interessenvertretung.
Das Riesenrad von Willi Kipp leuchtete am Nikolausabend zum vorerst letzten Mal im Kölner Nachthimmel. „Wir haben keine Chance mehr, vor dem 10. Januar noch mal zu öffnen, dies wäre unser letzter Tag gewesen“, sagt der Schausteller. Seine Mannschaft ist bereits dabei, das Riesenrad abzubauen – der Platz am Schokoladenmuseum wird in der Weihnachtszeit leer bleiben.
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