Deutsche Post Wie hart ist die Arbeit als Postbote? Diese Zustellerin nimmt uns mit auf Tour

Zustellerin Sandra (l.) und Orange-Reporterin Luisa: „Mädchen, mach das richtig.“ (Foto: Luisa Kuhn / Orange)
Dieser Artikel ist am 28. Mai 2018 bei Orange - dem jungen Portal des Handelsblatts - erschienen.
Vor lauter Paketen sieht Sandra die Welt nicht mehr. Zwischen Arm und Bauch klemmt sie einen Karton und stapelt noch zwei weitere oben drauf. Sie blickt auf ihr Lesegerät, während sie vollbepackt die Straße runter sprintet. Bis das Parkverbotsschild sie stoppt. Sie läuft geradeaus in den Metallpfosten. Die Pakete fallen zu Boden. Die Zustellerin bleibt unverletzt, die Kartons haben sie geschützt. Eine Ausnahme, denn die Pakete sind ihr größtes Berufsrisiko.
Zusteller bei der Deutschen Post: Die Angst läuft immer mit
Sandras Arbeitgeber, die Deutsche Post, muss sich derzeit einiges an Kritik anhören: Da sind einerseits unzufriedene Kunden, die (teils vergebens) tagelang auf ihre Pakete warten und andererseits wütende Angestellte, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln. Um dem Traum vom unbefristeten Vertrag näher zu kommen, dürfen Zusteller nicht mehr als zehn Tage im Jahr fehlen – eine unrealistische Zahl, analysiert der Gesundheitsreport einer Krankenkasse.
Kein Wunder, dass die Post um den Nachwuchs kämpfen muss: Nur 36 von 100 Auszubildenden bleiben nach Abschluss ihrer Ausbildung im Betrieb. Daher wirbt das Unternehmen um Neueinsteiger – mit Einstiegsgehältern in Höhe von 2172 Euro. Das ist im Gegensatz zu den Paketen leichtes Geld: Statt einer Ausbildung gibt’s nach drei Monaten Vollzeitarbeit einen Wissenstest. Danach ist man „zertifizierter Zusteller“.
Wie hart ist ein Job bei der Post wirklich? Ein Ortsbesuch
Wir haben’s getestet und Postbotin Sandra Zimmermanns bei der Arbeit begleitet.
9:00 Uhr morgens. Ich warte am Treffpunkt: Odenkirchenerstraße 15 in Jüchen, zehn Kilometer südlich von Mönchengladbach. Es regnet leicht. Der Maibaum und die bunten Girlanden, Überbleibsel von Pfingsten, sind zu bunt für den grauen Himmel. Ich stehe vor einem gelben Haus, zwischen einer Bushaltestelle und einem mit schwarzem Graffiti beschmierten Briefkasten. Gelbe Tonnen säumen die Straße. Die Post empfängt mich Ton in Ton.
Ich gehe um die Ecke und sehe gelb: Acht Postautos stehen dort nebeneinander und werden von jeweils einem Zusteller beladen. Das muss der Hof der Poststelle sein. Ich frage nach Sandra. Ihr Auto steht ganz hinten. Als ich näher komme, steigt sie aus dem Wagen. Ich bin überrascht: So habe ich sie mir nicht vorgestellt.
Gehalt als Zusteller bei der Post: 2100 Euro im Monat. Der Chef verdient mehr als 300-mal so viel.
Sie trägt ihre Postuniform. Aber die Hose scheint fast zu groß für ihren schmalen Körper zu sein, das Lesegerät an ihrem Gürtel zu schwer. Einzig ihr Schmuck scheint wirklich zu ihr zu gehören, wobei dieser so gar nicht zu der übergroßen Arbeitskleidung passt: Jedes ihrer Ohrläppchen ist mit jeweils drei Ohrringen geschmückt. An ihrem Handgelenk klimpern zwei silberne Armbänder, um ihren Hals trägt sie eine Kette mit Herzanhänger. Ihr Fußkettchen macht keine Geräusche, es ist ein Tattoo.

Sandra ist 26 Jahre alt. Mit 18 hat sie noch im Sonnenstudio am Tresen gejobbt, 2011 ist sie als Quereinsteigerin zur Post. „Als ich zur Post ging, sagte mein Vater nur: „Mädchen, mach das richtig!“ Zunächst arbeitet sie ohne Ausbildung, dann entscheidet sie sich aber doch für die zweijährige Lehre zur Zustellerin.
„Der 22. Juli 2015 war einer der schönsten Tage in meinem Leben. Da habe ich meine Abschlussprüfung geschrieben.“ Seitdem ist Sandra unbefristet angestellt und verdient 2100 Euro monatlich.
Sie wird nach dem Tarifvertrag der Post bezahlt. Post-Chef Frank Appel hat im vergangenen Jahr laut Geschäftsbericht (PDF, S. 45) rund acht Millionen Euro verdient – mehr als 300-mal so viel wie Sandras Lohn. Bei manchen ihrer Kollegen ist der Abstand noch größer.
Zusteller der Tochterfirma „DHL Delivery“, die nun mit den Post-Betrieben zusammengeschlossen wird, erhalten für die gleiche Arbeit rund ein Viertel weniger Lohn. Jeder fünfte Zusteller hofft bei der Post auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag, berichtet die „BamS“. Das Warten kann Jahre dauern.
Sandra wuchtet die Pakete mit einer unerwarteten Kraft in den Rückraum des Wagens – mit System: Die 26-Jährige sortiert die Päckchen nach Straße und Hausnummer. Die schwersten stellt sie nahe der Tür, damit sie sie später nicht so weit tragen muss. Sie ist froh: Heute sind es nur 52, da die meisten Pakete schon zu Beginn der Woche ausgeliefert worden sind. Sonst können es auch mal doppelt so viele sein.
Bevor sie einlädt, scannt sie jedes Paket. So können die Kunden ihr Paket von zu Hause aus genau mitverfolgen. Heute ist eine VIP-Sendung dabei: Eine Bestellung von einem Wert über 500 Euro, die extra gescannt wird. Mit dabei sind noch 1000 Briefe. Sandra ist Verbundzustellerin: Sie liefert sowohl Briefe als auch Pakete aus.
Arbeitszeiten als Zusteller: 6.30 Uhr bis 16 Uhr
Sandra ist schon länger wach als ich. Um 6:30 Uhr beginnt ihr Arbeitstag. Jeden Morgen kommen zwei Lastwagen in der Poststelle in Jüchen an. Einer aus Krefeld, voll mit Paketen, der andere vom Briefzentrum in Mönchengladbach, voll mit Umschlägen.

Sandra zeigt mir ihren Schreibtisch, an dem sie morgens die Großbriefe nach Straße und Hausnummer sortiert. Sie sitzt jeden Tag woanders. Sandra ist Springerin. Noch hat sie keinen eigenen Bezirk. Da die Post an sechs Tagen die Woche liefert, die Zusteller aber nur an fünf Tagen arbeiten, würde die Post an einem Tag liegen bleiben – gäbe es Leute wie Sandra nicht. Sie vertreten ihre Kollegen und haben daher immer wechselnde Bezirke. Irgendwann will sie die Post in ihrem eigenen Bezirk austragen können.
An ihrem heutigen Arbeitsplatz kleben zwei BVB-Tickets. Ihr Vater, Harald Storms, sitzt dort normalerweise und hat seinen Lieblingsverein farblich passend gewählt. Er arbeitet seit 22 Jahren bei der Post, heute hat er frei. Ihr große Schwester ist ebenfalls bei der Post – und das seit 19 Jahren. Bei der Familie geht jeden Tag die Post ab.
Als wir um 9:50 Uhr mit der Tour starten, sind wir der letzte Wagen, der den Hof verlässt – ein gelber VW T5. Geschickt parkt sie das große Auto aus. Wir starten in der Bahnhofstraße in Jüchen.
Zusteller bei der Post haben drei bis fünf Minuten Zeit pro Paket
Sandra stellt ihren Wagen, dort wo Platz ist, an der Straße ab, läuft die umliegenden Häuser ab und kehrt dann zum Auto zurück. Pro Paket hat sie drei bis fünf Minuten Zeit. Viele der Bewohner kennt sie beim Namen. Obwohl sie in 20 verschiedenen Bezirken austrägt, kennt sie diesen hier recht gut. Es ist ja auch der ihres Vaters.
Die meisten Anwohner sind nett. Eine Kundin fragt sie nach ihrem Urlaub. Sie war eine Woche in der Türkei. Manchmal bekommt sie auch Trinkgeld, „letzte Woche waren sogar 20 Euro von einer Dame dabei“, erzählt mir Sandra lächelnd. Sonst sind es meist nur ein bis zwei Euro, aber immerhin darf sie das Geld behalten. „Unfreundliche Leute blende ich aus. Wenn ich ab und zu mal Witze mache, bekommen das viele Leute in den falschen Hals, weil sie meinen Humor nicht verstehen. Da bleibe ich locker.“
Teilweise muss ich ihr hinterher rennen, wenn sie die Pakete vom Auto zur Tür bringt. Ihr Dutt löst sich mit jedem Schritt mehr. Sie steht unter Zeitdruck. Ihre Schicht endet zwischen 15 und 16 Uhr, und damit auch ihr Versicherungsschutz – dann darf kein Brief mehr im Auto liegen. Wenn sie mal nicht alles schafft, bringt sie die Post wieder zurück zur Dienststelle und muss sie am nächsten Tag verteilen.
Jeden Tag läuft sie zwischen sechs und 20 Kilometern. Manchmal sind es auch 23 – diese Strecke legt sie im Schnitt täglich mit dem Auto zurück. In ihrer Freizeit macht sie keinen Sport. Lieber liest sie und verbringt viel Zeit mit ihrer Familie. Sie trägt eigens für die Post entworfene Turnschuhe von Adidas in schwarz-gelb. Im Schnitt verschleißt sie pro Jahr zwei Paar Schuhe.
Zusteller bei der Post? „Wir müssen sehen, ob unsere Mitarbeiter wirklich geeignet sind“
Die von Sandra sehen noch aus wie neu. Trotzdem tun ihr die Füße weh. Laut der Techniker Krankenkasse fehlten Arbeitnehmer im Post-, Kurier und Expressdienst im vergangenen Jahr durchschnittlich 21,5 Tage. Bei der Post wird’s somit schwer, an einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu kommen.
„Ob ein Mitarbeiter entfristet wird, liegt bei der zuständigen Niederlassung. Die Zehn-Tage-Regel ist nur zur Orientierung. Dabei wird zwischen ernsthaften Verletzungen und körperlicher Überforderung unterschieden. Wer ein gebrochenes Bein hat, muss keine Angst vor einem weiteren befristeten Vertrag haben. Wir müssen sehen, ob unsere Mitarbeiter wirklich geeignet für den Job sind“, sagt ein Sprecherin der Deutschen Post.
Ich trage nun auch mal ein Paket. Es ist zwar groß, dafür aber leicht. Ich trage es vor meinem Bauch wie einen Schutzpanzer. Die Sendung ist für die Gesamtschule. Sandra trägt die meisten Pakete alleine. Manchmal helfen ihr die Anwohner. Bis zu 30 Kilogramm könne sie tragen, sagt sie, obwohl ihr das schon in den Rücken gehe.
Ich sage lieber nichts dazu. Gegen Ende meiner Asien-Reise bin ich unter meinem Rucksack schier zusammengebrochen. Und der hat gerade mal 18 Kilogramm gewogen. An diesem Tag hat sie einen 20 Kilo schweren Rasenmäher im Gepäck, den sie selbst zur Türe tragen wird.
Viele Zusteller beschweren sich regelmäßig über die hohe Belastung
„Ich liefere alles aus: Von Hundefutter bis Autoreifen. Ich wäre gerne früher Zustellerin gewesen, als die Leute noch über den Otto-Katalog bestellt haben. Aber immerhin bringt uns das Online-Geschäft neue Arbeit“, erklärt sie mir mit rotem Kopf und zerzaustem Haar. Wir klingeln an der Schultür, aber niemand macht uns auf. Es sind Pfingstferien. Im Auto steht eine Sackkarre, die Sandra aber nie benutzt. „Das wäre zu umständlich. Dafür habe ich keine Zeit.“

Gegen elf Uhr legen wir eine Pause ein. Sandra zündet sich eine Zigarette an. Sie hat seit einigen Tagen Halsschmerzen und heute weder getrunken, noch gegessen. Es kommt öfter vor, dass sie vergisst zu essen. „Ich denke nur an die Post, nicht ans Essen. Aber wer bei der Post arbeitet, kann sowieso nicht zunehmen.“
Pro Tag stehen ihr 30 Minuten Pause zu, die sie sich selbst einteilen, oder auch mal ausfallen lassen kann, wenn die Zeit rennt. Zur Arbeit kommt sie immer, trotz Halsschmerzen. „Ich kann ja laufen.“
Viele Kollegen beschweren sich regelmäßig über zu viel Post und die extreme Arbeitsbelastung, was Sandra jedoch nicht verstehen kann. „Das hat etwas mit der Grundeinstellung zu tun.“
Gegen 11:30 Uhr mache ich mich auf den Heimweg – eine halbe Stunde früher als geplant. Sandra hat mich darum gebeten, das Interview vorzeitig zu beenden. Sie hat Angst, nicht rechtzeitig fertig zu werden.
Am nächsten Tag versuche ich Sandra anzurufen, da ich noch einige Fragen habe, die ich ihr gerne stellen würde. Sie muss mir absagen, obwohl sie frei hat. Sie liegt mit einer Mandelentzündung im Bett. Morgen wird sie trotzdem wieder zur Arbeit gehen.
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