Duales System Deutschland Müllkonzern Remondis greift nach dem Grünen Punkt
Düsseldorf Fast ein Jahr lang haben sie gefeilscht, vergangenen Juni sogar die Gespräche abgebrochen. Nun aber könnte es schnell gehen. Schon nächste Woche wird Deutschlands größter Abfallentsorger, Remondis, voraussichtlich einen Kaufvertrag unterzeichnen, der ihm das Verpackungsrücknahmesystem des Grünen Punkts einbringt. Das erfuhr das Handelsblatt aus Insiderkreisen.
Den Informationen nach wird der Konzern aus dem westfälischen Lünen nicht die komplette Firma Duales System Deutschland (DSD) übernehmen, die durch das Mülltrennsystem Grüner Punkt bekannt wurde. Einen Teil will Remondis Wettbewerbern überlassen – und zwar eine DSD-Tochter, die seit 2010 Kunststoffabfälle aus dem gelben Sack und der gelben Tonne zu Regranulaten recycelt. Ein DSD-Sprecher bestätigte lediglich, dass seit Längerem ein Verkaufsprozess laufe, ohne Einzelheiten zu nennen. Remondis erklärte, zu Marktgerüchten äußere man sich nicht.
Eine Einigung über den Verkauf war mehrfach an den unterschiedlichen Preisvorstellungen gescheitert. So forderten die verkaufsbereiten Finanzinvestoren HIG Capital und Bluebay zunächst rund 300 Millionen Euro – und damit etwa das Zehnfache des Ertrags vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Zuletzt war von Forderungen zwischen 250 und 200 Millionen Euro die Rede. Remondis, das dem familiengeführten Mischkonzern Rethmann (Rhenus, Saria) unterstellt ist, soll dagegen gerade einmal 130 Millionen Euro geboten haben.
Der Wert des DSD dürfte in den vergangenen Wochen unter Druck geraten sein. Zum einen stoppte China die Importe deutscher Kunststoffabfälle, sodass die DSD-Manager nun auf einem Teil ihrer Müllmenge sitzen bleiben. Zum anderen kündigte der Discounter Lidl den Entsorgungsvertrag mit dem DSD und wechselte mit einem geschätzten Umsatz von 90 Millionen Euro zum Kölner Wettbewerber Interseroh.
Gegründet worden war der einstige Monopolist DSD als privatwirtschaftliche Umsetzung der Verpackungsverordnung von 1991. Sie hatte bestimmt, dass jeder Gewerbebetrieb Verpackungen zurücknehmen muss, die er in Verkehr bringt. Weil es aber Karstadt oder Deichmann nicht zuzumuten war, riesige Mülltonnen vor der Kasse aufzubauen, übernahm das DSD – zunächst als Non-Profit-Organisation – die Abwicklung.
Die Gesellschaft versprach jedem Hersteller und Händler, der den Grünen Punkt bei ihr kostenpflichtig zeichnet, vereinbarte Abfallmengen über gelbe Tonnen und Säcke einzusammeln. Für diese Aufgabe schreibt das DSD seither Sammelaufträge an Abfallfirmen aus. Bezahlt werden diese aus den Lizenzeinnahmen für den Grünen Punkt.
Seit 2003 muss die Grüne-Punkt-Firma, so will es das Bundeskartellamt, Wettbewerber neben sich dulden. Die Marktführerschaft hat das DSD bis heute mit rund 35 Prozent behalten, muss sich das Geschäft inzwischen aber mit Belland Vision, Interseroh, Landbell und sechs weiteren Systemen teilen. Dennoch scheint fraglich, ob das Bundeskartellamt die DSD-Übernahme so anstandslos durchwinkt, wie es das Management von Remondis hofft. Zwar gab es dazu Vorgespräche in Bonn, wie das Handelsblatt erfuhr, Bedenken aber blieben. Die EU-Kommission muss zudem prüfen, ob sie nicht selbst für den Deal zuständig ist. Da die Rethmann-Gruppe zuletzt 6,1 Milliarden Euro umsetzte, das DSD weitere 640 Millionen Euro, wird die von Brüssel gesetzte Schwelle von fünf Milliarden Euro bei der geplanten Transaktion überschritten.
Leitet die EU den Fall nach Bonn weiter, muss er auch dort noch einmal formell angemeldet werden. Dann bleiben vier Monate Zeit für das Genehmigungsverfahren – falls es nicht zu Auflagen und einer Fristverlängerung kommt.
Experten rechnen hier mit Schwierigkeiten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einfach zu einer Genehmigung kommt“, sagt Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE): „Eine solche Übernahme würde in der Branche zu erheblichen Verwerfungen führen.“
Schon jetzt gebe es in Deutschland Regionen, in denen Remondis kaum noch auf Wettbewerb stoße. Erhielte der Marktführer auch noch Zugriff auf das größte Duale System in Deutschland, würde sich die Situation verschärfen. Bei einer DSD-Ausschreibung für die Abfallsammlung erhielte Remondis Einblick in Angebote der Konkurrenz. Das Sortieren und Verwerten etwa von Kunststoffabfällen aus der gelben Tonne könne Remondis sogar übernehmen, ohne dass zuvor eine Ausschreibung erforderlich sei.
„Die Mengen würden dadurch automatisch dem Markt entzogen“, sagt Rehbock. Nicht nur kleinere Wettbewerber blieben auf der Strecke, auch die Entsorgungspreise gingen seiner Ansicht nach unkontrolliert nach oben. „Am Ende zahlt der Verbraucher“, warnt der BVSE-Hauptgeschäftsführer.
2003 war das Bundeskartellamt schon einmal beim Grünen Punkt eingeschritten. Damals besaß DSD noch das Monopol. Die Bonner Behörde drohte dem Unternehmen mit Untersagung, falls es weiterhin Entsorger wie Remondis im eigenen Gesellschafterkreis dulde. Um Schlimmeres zu verhindern, verkaufte die Rethmann-Tochter daraufhin ihren Anteil und zog den eigenen Vertreter aus dem DSD-Aufsichtsrat zurück.
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