Fußball-Bundesliga Sportrechtler Summerer: „Für einen Abbruch der Bundesliga-Saison ist es noch zu früh“

„Änderungen im laufenden Wettbewerb sollten sich stets an den Grundprinzipien des Sports orientieren: Chancengleichheit, Wettbewerbsintegrität, Gesundheitsschutz und Fair Play, bis zu einem gewissen Maße auch Fanakzeptanz.“
Frankfurt Das sich rasant ausbreitende Coronavirus hat den Profisport weltweit faktisch zum Erliegen gebracht. Vor allem die Verantwortlichen im milliardenschweren nationalen und internationalen Profifußball sind durch die sich überschlagenden Entwicklungen zu ständigen Anpassungen ihrer Entscheidungen gezwungen.
Wurden Spiele zunächst noch ohne Zuschauer im Stadion über die Bühne gebracht, ruht der Spielbetrieb in den nationalen Ligen und kontinentalen Wettbewerben inzwischen. Am Montag hat die Deutsche Fußball Liga entschieden, den Spielbetrieb mindestens bis Anfang April auszusetzen. Doch auch dieser Beschluss könnte angesichts der Dynamik der Ereignisse schon bald wieder Makulatur sein.
Der Abbruch nationaler Ligen und Pokale sowie internationaler Vereinswettbewerbe ist längst zum realistischen Szenario geworden, die Verschiebung der im Juni und Juli angesetzten Fußball-Europameisterschaft gilt gar als so gut wie sicher.
Thomas Summerer beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit rechtlichen Fragen rund um den Sport. Er hält es trotz der sich rasanten Ausbreitung des Coronavirus für verfrüht, die aktuelle Saison vorzeitig zu beenden und abzubrechen. Eine Verschiebung der Europameisterschaft könnte den Weg frei machen, die Liga doch noch sportlich zu beenden. Ein Abbruch hätte zudem weitreichende Folgen für die Wertung der Saison – Summerer hält es für nicht zulässig, in dem Fall Meister sowie Auf- und Absteiger zu bestimmen.
Summerer baute für die Deutsche Fußball Liga (DFL) ab 2001 deren Rechtsabteilung auf. Als langjähriger Chefjustiziar betreute er nicht nur die satzungs- und vereinsrechtlichen Themen, sondern begleitete auch die Vermarktungsmodelle der Liga wie etwa die Ausschreibungen der TV-Übertragungsrechte.
Herr Summerer, wann ist ein Abbruch der aktuellen Saison möglich beziehungsweise erforderlich?
Zunächst gilt der allgemeine Grundsatz, dass ein Sportveranstalter sämtliche Regeln einzuhalten hat, die zu Beginn einer Spielzeit in Kraft waren beziehungsweise vereinbart wurden. Auf deren Einhaltung haben schließlich alle Teilnehmer eines Wettbewerbs vertraut.
Die Ereignisse überschlagen sich aber aktuell, es ist fraglich, ob die Saison zu Ende gespielt werden kann.
Für einen sofortigen Abbruch ist es meines Erachtens noch zu früh, da nicht ausgeschlossen ist, dass der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann – sofern die für Juni und Juli vorgesehene Fußball-Europameisterschaft verschoben wird. Ausgehend von dieser Prämisse genießt die DFL allerdings eine weitgehende Autonomie bei der Durchführung des Spielbetriebs. Änderungen des laufenden Wettbewerbs sind stets zulässig, sofern alle Hauptbetroffenen einwilligen.
Einen Abbruch der Saison unterstellt: Kann der Titel an den derzeit Erstplatzierten vergeben werden?
Änderungen im laufenden Wettbewerb sollten sich stets an den Grundprinzipien des Sports orientieren: Chancengleichheit, Wettbewerbsintegrität, Gesundheitsschutz und Fair Play, bis zu einem gewissen Maße auch Fanakzeptanz. Diese Prinzipien sprechen dagegen, bei einem Abbruch des Spielbetriebs einen vorzeitigen Meister zu küren.
Wie sieht es hinsichtlich der Vergabe der Startplätze für die europäischen Wettbewerber aus? Und wäre es zulässig, Auf- und Absteiger nach der aktuellen Platzierung festzulegen?
Die Vergabe der Startplätze in den europäischen Wettbewerben würde ich anders als das Küren eines Meisters beurteilen, da hier kein Sieger ausgerufen wird. Hier wird nur eine – wenn auch lukrative – Teilnahme an einem Turnier ermöglicht. Dies sollte aber mit der UEFA abgestimmt werden. Dagegen sprechen die genannten Grundprinzipien, bei Abbruch des Spielbetriebs Auf- und Absteiger nach der aktuellen Platzierung festzulegen.
Wäre es zulässig, die Saison in einem anderen Modus zu beenden, zum Beispiel durch Play-off-Spiele zu verkürzen und so Meister, UEFA-Teilnehmer und Absteiger festzulegen?
Dies wäre ein sehr weitgehender Eingriff in den seit jeher gewohnten und vereinbarten Spielmodus, aber wohl noch durch die Autonomie der DFL gedeckt, jedenfalls bei Zustimmung der Clubs.
Was könnten Regelungen für die neue Saison vorsehen – könnten zum Beispiel die beiden Bundesligen aufgestockt werden?
Eine Aufstockung der Bundesliga und 2. Bundesliga wäre von der Autonomie der DFL bei der Organisation des Spielbetriebs gedeckt.
Was würde ein Abbruch für die bereits verkauften Einzeltickets beziehungsweise Saisonkarten bedeuten?
Bei einem Abbruch hätten die Inhaber eines Einzeltickets einen vollen, die Inhaber einer Saisonkarte einen teilweisen Erstattungsanspruch.
Und welche Auswirkungen hätte ein Abbruch hinsichtlich der verkauften Fernseh- und Sponsoringrechte?
Nur wenn in den Verträgen Vorbehaltsklauseln enthalten sind, wonach bei unvorhersehbaren Störungen von außen Änderungen des Spielmodus vorbehalten bleiben, bliebe alles beim Alten.
Aber diese fehlen offenbar...
Fehlt eine solche vertragliche Klausel, so ist das Bürgerliche Gesetzbuch heranzuziehen: Danach sind Eingriffe von hoher Hand aufgrund der Corona-Pandemie als Störungen der Geschäftsgrundlage anzusehen, die zu einer Anpassung des jeweiligen Vertrags berechtigen.
Das heißt?
Dann muss man Leistung und Gegenleistung in Relation setzen. Also müsste der Vertragspartner weniger bezahlen und zwar den Anteil, den die DFL weniger an Leistung erbringt.
Sollte es lediglich zu einer Verlängerung der Saison kommen – was wäre zu beachten und welche Auswirkungen hätte dies auf die Verträge?
Im Hinblick auf die Fernseh- und Sponsoringrechte dürfte sich nichts ändern, denn die Liga leistet ja, wenn auch verzögert. Gegebenenfalls müsste man überprüfen, ob es eine Minderleistung ist, wenn eine ganze Reihe von Spieltagen nur noch ohne Zuschauer in den Stadien stattfinden. Allerdings ist zu beachten, dass zahlreiche Spielerverträge, vor allem bei Aufstieg oder Abstieg, am 30. Juni enden.
Herr Summerer, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Die Fußball-Bundesliga pausiert mindestens bis Anfang April.
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