IBM Watson Der Doktor und sein Computer

„Wir bringen Watson dazu, zu sehen.“
Frankfurt Lin Yamato hat Lungenkrebs. Die 37-Jährige hat nie geraucht, dennoch wurde ein Tumor bei ihr festgestellt. Ihr zuständiger Arzt Mark Norton will der Patientin nun die nächsten Behandlungsschritte erklären. Um sich ein genaueres Bild von der Erkrankung zu machen, lässt er sich vom IBM System Watson unterstützen.
Der Computer hat die relevanten Informationen aus Frau Yamatos elektronischer Patientenakte bereits mit den vorgeschriebenen Behandlungsleitlinien, wissenschaftlichen Artikeln und der gesammelten Erfahrung der renommierten New Yorker Krebsklinik Memorial Sloan-Kettering abgeglichen. Um bessere Aussagen über eine mögliche Therapie machen zu können, empfiehlt das System Doktor Norton, Frau Yamato erst einmal auf verschiedene Genmutationen zu testen und außerdem bestimmte Krankheitssymptome abzufragen.
Willkommen in der Welt von IBM Watson. Das Computersystem, dessen Name für alle kognitiven Computerlösungen von IBM steht, will auch in der Patientenversorgung eine neue Ära einläuten. Nicht umsonst hat IBM-Chefin Ginni Rometty vor einem Jahr den Start der Geschäftseinheit Watson Health als „Moonshot“ (Mondflug) für den Gesundheitsbereich bezeichnet. Mittlerweile hat IBM seine Watson Health Cloud zu einem riesigen Datenpool ausgebaut, mit Informationen über mehr als 300 Millionen Patienten, Tausenden Kliniken und Gesundheitseinrichtungen sowie mehr als 1,2 Millionen wissenschaftlichen Abhandlungen.
Dazu trugen eine Reihe von Zukäufen bei, für die IBM in den vergangenen Monaten zusammen mehrere Milliarden Dollar ausgab: Die auf Gesundheitsmanagement spezialisierte Softwarefirma Phytel gehört dazu, die klinische Datenbank Explorys sowie Truven Health Analytics, die ehemalige Gesundheitsdatensparte von Thompson Reuters. Mit dem Kauf der Firma Merge, einem führenden Anbieter für die Verarbeitung bildgebender Verfahren wie Ultraschall oder Computertomografien, sicherte sich IBM zudem den Zugriff auf mehr als drei Milliarden Bilder.
Denn die nächste große Aufgabe für Watson soll sein, den Radiologen auch bei der Diagnose von Computertomografien und bildgebenden Verfahren zu unterstützen. Wie die Daten von Merge für IBM Watson nutzbar gemacht werden können, damit beschäftigt sich unter anderem Matthias Reumann im IBM Forschungszentrum in Zürich.
„Ein Radiologe in der Notaufnahme schaut am Tag auf Dutzende, vielleicht mehr als hundert Röntgenaufnahmen oder Computertomografien. Es ist statistisch erwiesen, dass die Augen über die Zeit ermüden, was die Diagnose beeinträchtigen könnte“, sagt Reumann. IBM will Watson so weiterentwickeln, dass das System die wichtigen Informationen für den Arzt herausfiltern kann. „Wir bringen Watson sozusagen dazu, zu sehen“, sagt er.
Auch andere Technologieunternehmen wie der US-Konzern Salesforce oder die deutsche SAP bauen gerade ihre Aktivitäten im Gesundheitsbereich aus.
IBM legt allerdings Wert darauf, dass Watson über die Datenanalyse hinausgeht, indem die Daten mit dem Wissen aus medizinischen Datenbanken abgeglichen werden, um etwa Therapieempfehlungen zu geben. Der Arzt werde dadurch aber nicht ersetzt, betont Reumann: „Kognitive Computersysteme sind Assistenten.“