Korian-Chefin Sophie Boissard: „Für unsere Arbeit ist der Mensch unverzichtbar“
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Korian-Chefin Sophie Boissard„Für unsere Arbeit ist der Mensch unverzichtbar“
Korian betreibt die meisten Pflegeheime in Europa, auch hierzulande ist das französische Unternehmen führend. Im Interview spricht Chefin Sophie Boissard über Altern in Deutschland, neue Konzepte für Senioren und Zukäufe.
Neue Konzepte für mehr Lebensqualität im hohen Alter.
(Foto: Imago)
Die Haare streicht sie immer wieder energisch zurück: Wenn Sophie Boissard in ziemlich gutem Deutsch über das Thema Pflege spricht, dann ist sie engagiert bei der Sache. Gerade mal seit einem halben Jahr steht sie an der Spitze des französischen Pflegeheimbetreibers Korian, der auch in Deutschland mittlerweile die Nummer eins ist.
Frau Boissard, bis vor kurzem hat sich Korian in Deutschland noch als „Spezialist für glückliches Altern“ präsentiert. Die meisten verbinden mit glücklichem Altern vieles, aber kein Seniorenheim. Finden Sie den Slogan passend? Die Übersetzung unseres Namenszusatzes „Lea‧der européen du bien vieillir“ mit „Spezialist für glückliches Altern“ war sicher nicht sehr treffend. Wir haben das bereits geändert und sprechen nun von „würdevollem Altern“. Ohnehin überarbeiten wir gerade unsere Strategie und Marktpositionierung. Mir geht es darum, stärker herauszustellen, dass wir uns um die älteren Menschen kümmern. Wir wollen dazu beitragen, dass sie sich wohlfühlen.
Immer wieder berichten Medien über Pflegeskandale und kritische Zustände in Seniorenheimen. Die Branche hat ein Imageproblem. Ist das nur in Deutschland ein Thema? Wir treffen in vielen Märkten, in denen wir aktiv sind, auf Vorbehalte gegen Pflegeeinrichtungen. Wahrscheinlich kommt es daher, dass viele Menschen ein schlechtes Gewissen haben, wenn Mutter oder Vater in ein Seniorenheim gehen. In Deutschland sind die Bedenken am größten.
Sophie Boissard
Die 46-Jährige führt seit Beginn des Jahres Europas größten Pflegeheimkonzern.
(Foto: PR)
Woran liegt das? Bei vielen Menschen ist die Frage im Hinterkopf, ob private, kommerziell ausgerichtete Anbieter überhaupt einen positiven Beitrag zum Thema Pflege leisten können. Hinzu kommt, dass die Arbeit in Pflegeeinrichtungen nicht sehr hoch angesehen ist. Zum Glück fängt es langsam an, sich zu ändern, denn die Personen, die in der Branche arbeiten, machen einen großartigen Job. In den anderen Ländern haben wir die Problematik in dieser Form nicht.
Das Ansehen eines Berufs hat ja viel damit zu tun, wie die Bezahlung ist. Und die ist im Pflegebereich nun einmal schlechter als bei Jobs in der Industrie. Ja, Deutschland ist ein Industrieland, und die Löhne sind in der Industrie proportional höher als in vielen Dienstleistungsbereichen. In Frankreich ist das etwas anders. Die Bezahlung ist nicht höher als in Deutschland, aber es gibt nicht so viele Jobs in der Industrie. Bei uns können auch Menschen ohne Qualifikation einsteigen. Die werden dann ausgebildet und erhalten ein Pflegediplom. Das ist ein attraktives Angebot, das beispielsweise oft von alleinerziehenden Müttern genutzt wird.
Sie sind seit Ende Januar bei Korian. Vorher haben Sie bei der französischen Bahngesellschaft SNCF gearbeitet. Das klingt nach zwei völlig verschiedenen Welten. Bei SNCF habe ich mich unter anderem damit beschäftigt, wie man Bahnhöfe gestalten muss, damit das Alltagsleben erleichtert wird, etwa durch medizinische Dienste oder Kinderbetreuung. Das sind Themen, auf die Sie auch bei der Planung von Wohn- und Betreuungseinrichtungen für Senioren stoßen. Und mit dem Bereich Pflege und Sozialhilfe hatte ich schon während meiner früheren Tätigkeit in der französischen Verwaltung zu tun.
Korian ist in Deutschland mit dem Kauf der Pflegeheimbetreiber Curanum und Casa Reha zum mit Abstand größten Pflegeheimbetreiber aufgestiegen. Unterscheidet sich der Markt von anderen? Korians Markt ist das „alte Europa“. Wir sind in Frankreich, Italien, Deutschland und Belgien aktiv. Kulturell liegen diese Länder sehr nah beieinander. In Deutschland ist jedoch die demografische Entwicklung anders als in Frankreich. Hier gibt es mehr Menschen ohne Kinder, ohne Angehörige. Wenn sie dann betreuungsbedürftig werden, brauchen sie unbedingt eine externe Hilfe, sei es in Form stationärer, teilstationärer oder ambulanter Pflege.
Lange Zeit hieß es, es sei schwierig, in Europa grenzüberschreitende Gesundheitskonzerne aufzubauen, weil die Systeme so unterschiedlich sind. Korian beweist das Gegenteil. Was können Konzerne besser? Unsere Stärke ist die Personalentwicklung und eine Qualitätsstrategie mit starkem medizinischem Fokus. Dafür braucht man eine bestimmte Unternehmensgröße. Wenn es um die Pflege von älteren Menschen geht, muss man sicher sein, dass Qualität gewährleistet wird.
Und die kann ein Pflegeheim mit 50 Plätzen so nicht bieten? Zumindest können dort bestimmte Serviceleistungen nicht angeboten werden. Wir haben beispielsweise Pilotprojekte entwickelt, die alternative Betreuungs- und Beschäftigungskonzepte nach Montessori für an Demenz erkrankte Senioren anbieten. Hier forschen und investieren wir – auch mit der Unterstützung unseres eigenen Instituts. Ebenso investieren wir auch viel in die Ausbildung unserer Mitarbeiter und haben unsere eigene Akademie. So etwas kann man sich nur leisten, wenn man ein großer Konzern ist, der in anderen Bereichen wie Einkauf und IT Synergien nutzen kann. Und wir haben den Vorteil, innerhalb des Konzerns von erfolgreichen Projekten lernen zu können.
Von welchen beispielsweise? In Italien testen wir zurzeit ein System zur elektronischen Dokumentation von Medikamentenabgaben mittels einer App. In Belgien gibt es ein integriertes Konzept von betreutem Wohnen und Pflegeeinrichtung in einer einzigen Einheit mit Hausmeister, Restaurant und verschiedenen kulturellen Aktivitäten. Solche Konzepte entwickeln wir momentan auch in Deutschland.
Welche Zukunft hat die Pflege zu Hause? Eine große. Weil auch die Möglichkeiten des Assisted Living, also der technischen Unterstützung im Alltag, besser werden. Auch Korian will ambulante Pflege anbieten, wenn wir von einer Plattform aus arbeiten können, von der aus wir auch betreutes Wohnen und stationäre Pflege steuern.
Warum? Es ist wichtig, die Infrastruktur für alle diese Dienste an einem Ort zu haben, um Qualität gewährleisten zu können: Fachkräfte, IT, Dokumentation, medizinische Ausrüstung. Es ist für die Mitarbeiter wichtig, sich als Teil eines Teams zu fühlen und nicht als Einzelkämpfer.
Korian ist in vier Märkten vertreten. Wollen Sie in weitere europäische Länder expandieren? Es ist zu früh, um eine Antwort zu geben. Wir überarbeiten gerade unsere Expansionsstrategie.
Wollen Sie in Deutschland weiter zukaufen? Größere Akquisitionen wie zuletzt Casa Reha sind momentan nicht geplant. Aber geografische Ergänzungen oder eine Erweiterung des Angebots an einzelnen Standorten wird es weiterhin geben, wenn sie zu unserer Positionierung im oberen Drittel des Marktes passen.
Was kostet ein Pflegeheimplatz bei Korian? Das hängt von den Pflegestufen ab. Aber ungefähr zwischen 60 bis 120 Euro pro Tag.
Also können sich nicht alle Menschen einen Pflegeheimplatz bei Ihnen leisten? Wir haben bestimmte Ansprüche an unser Angebot, an die Qualität und den Service. Wir wollen den Menschen in unseren Einrichtungen Zeit und Aufmerksamkeit entgegenbringen. Und dazu gehört auch, dass wir höhere Preise nehmen als manche anderen Anbieter.
Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema in der Branche. Finden Sie genug Mitarbeiter? In den größeren Städten von Bundesländern wie Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen ist es wirklich schwer, Pflegefachkräfte zu finden. Deshalb wollen wir viel mehr selbst ausbilden. Wir haben aktuell circa 1 000 Auszubildende in Deutschland. Diese Zahl wollen wir noch weiter erhöhen.
Sind Pflegeroboter eine Lösung gegen Mitarbeitermangel? Wir hatten Roboter testweise im Einsatz. Etwa als Spielpartner für unsere Bewohner. Roboter können auch unsere Mitarbeiter unterstützen zum Beispiel beim Tragen von Menschen oder bei der Medikamentenabgabe. Wir haben aber nicht vor, die Pflegekräfte durch Roboter zu ersetzen. Bei unserer Arbeit ist menschliche Präsenz unverzichtbar.
Vita Sophie Boissard
Sophie Boissard, 46, hat nach Studium und Elite-Verwaltungsschule ENA Berufserfahrung in den Kabinetten verschiedener Minister gesammelt. Danach war die Mutter von vier Kindern sieben Jahre bei der französischen Bahngesellschaft SNCF, bevor sie im Januar 2016 zu Korian gewechselt hat.
Korian ist mit 2,6 Milliarden Euro Umsatz der größte europäische Pflegeheimbetreiber. Durch den Kauf von Curanum und zuletzt Casa Reha ist Korian auch in Deutschland Marktführer.
Themenwechsel zum Schluss: In Deutschland gibt es kaum Frauen in Vorständen börsennotierter Unternehmen. Sie sind hierzulande eine Ausnahme. Spüren Sie das, wenn Sie nach Deutschland kommen? Ja, ich spüre einen Unterschied. Der Tatsache, dass ich eine Frau bin, wird in Deutschland mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Als Frau in einer Führungsposition steht man sicher auch mehr unter Beobachtung.
Sie führen einen Milliardenkonzern und haben vier Kinder. Kennen Sie Work-Life-Balance? In meinem Fall geht es weniger um Work-Life-Balance als darum, Kompromisse zu machen. Aber ich schätze mich glücklich, da ich aus verschiedenen Lebensbereichen positive Energie schöpfen kann und weil ich die Ehre habe, einen sinnvollen und begeisternden Job zu machen.
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