Micha Kaufman Wie der Fiverr-Gründer ein virtuelles Heim für digitale Nomaden geschaffen hat

„Jobs mit fixen und verbindlichen Bürozeiten verlieren an Attraktivität.“
Tel Aviv Als der Israeli Micha Kaufman vor mehr als zehn Jahren behauptete, dass Freiberuflichkeit und die damit häufig verbundene Arbeit aus dem Homeoffice unsere Zukunft sein würden, wollte ihm niemand so recht glauben. Inzwischen, rund eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie, ist Kaufman derjenige, der von genau diesem Trend profitiert. Denn während der Krise haben viele Menschen rund um den Globus ihre Vorstellungen vom Arbeitsleben grundlegend überdacht.
Mit Fiverr hat der 50-Jährige in Tel Aviv ein globales Start-up aufgebaut, das sich als „Heim für digitale Nomaden“ versteht. Für Menschen, die freiberuflich arbeiten wollen. Von zu Hause aus. Die Geschäftsidee hinter Fiverr passt zur modernen, vernetzten Arbeitswelt im digitalen Wandel. „Fiverr“, sagt Kaufman, „bringt als globale Freelancer-Plattform Unternehmen aller Größenordnungen mit qualifizierten Freiberuflern zusammen.“
Sein Start-up hat eine virtuelle Begegnungsstätte entwickelt, auf der Freelancer ihre Expertise anbieten können. Wurde Fiverr anfänglich vor allem als Ort für günstige Dienstleistungen wahrgenommen, findet man dort inzwischen auch Anspruchsvolles wie Datenanalyse oder Website-Programmierung.
Die Coronakrise war für Fiverr zwar ein Wachstumsbeschleuniger. Aber das Geschäftsmodell hätte ohne die Epidemie ebenfalls funktioniert, ist Kaufman überzeugt. Denn Flexibilität gehöre für Arbeitnehmer aktuell zu einer der dringendsten Anforderungen, hat eine von Fiverr in Auftrag gegebene Umfrage ergeben. Ein Drittel der Befragten gibt an, einen „guten Flowzustand zu erreichen“, wenn sie ihre Aufgaben flexibel priorisieren können.
Kaufman sieht sich aufgrund der Umfrage, die mit Censuswide im Juli unter 1005 Büroangestellten in Deutschland durchgeführt wurde, bestätigt: „Jobs mit fixen und verbindlichen Bürozeiten verlieren an Attraktivität.“ Dass sich die Art und Weise wandle, wie Menschen über ihre Arbeit denken, zeigt sich auch in einer von LinkedIn durchgeführten Umfrage. 74 Prozent der Befragten geben an, dass sie aufgrund der Erfahrung, die sie während der Pandemie mit Fernarbeit gemacht haben, ihre derzeitige Work-Life-Balance neu überprüfen.
Fiverr ist bereits Kaufmans viertes Start-up
Von seinem Büro aus im Zentrum von Tel Aviv kann Kaufman die Kanzlei sehen, in der er nach dem Jura-Studium seine berufliche Karriere als Patentanwalt begann, bevor er drei Unternehmen gründete und managte. Fiverr ist sein viertes Start-up – das mittlerweile zu den zehn größten börsennotierten Unternehmen Israels gehört. Kaufman ist zudem Partner bei einer Risikokapitalfirma und privater Investor in einer Reihe von disruptiven Internetunternehmen für Konsumenten.
Den Mehrwert, den seine Firma bietet, bringt er auf die Kurzformel „Abbau von Friktionen und Risiken“. Erwerb und Verkauf einer Dienstleitung sollen so einfach sein wie eine Transaktion auf Amazon. Das Problem sei freilich, dass die Produkte, die über Fiverr gehandelt werden, nicht „von der Stange“ zu haben sind, was erhöhte Anforderungen an die Software stelle. Sie übernehme auch das Marketing, kontrolliere den Zahlungseingang und stelle Verträge zur Verfügung, deren Einhaltung von Fiverr überwacht wird.
Sowohl Freiberufler als auch Unternehmer könnten, so Kaufman, von seiner Plattform profitieren. Für Erstere entfallen Marketing- und Suchkosten, die ohne Fiverr am Anfang ihrer Tätigkeit 100 Prozent ihrer Zeit beanspruchen, um Kunden zu finden. Und auch für Unternehmer sei die Plattform ein Effizienzgewinn. Waren diese einst bis zu 30 Tage auf der Suche nach Freiberuflern, sind sie jetzt auf Fiverr einen Klick vom Produkt entfernt, das sie benötigen.
Der etwas ungewöhnliche Name Fiverr ist Programm. Er stehe für den Anspruch, in weniger als fünf Minuten das Angebot zu finden, das man brauche, sagt Kaufman. Derzeit daure das im Durchschnitt zwar noch 15 Minuten. Aber die Software-Entwickler würden alles daransetzen, um das Ziel von fünf Minuten zu erreichen.
Kritiker werfen dem System Fiverr vor, es würde die Rechte der Freiberuflichen abbauen, weil sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen hätten. Für Arbeitgeber sei der Anreiz zudem groß, die Belegschaft abzubauen und die Arbeiten auszulagern. Doch Kaufman sieht das anders. Arbeiten sei heute auch eine Entscheidung über den Lebensstil, doziert er.
Fiverr will in Deutschland weiter wachsen
Auch wenn Fiverr mit Anbietern wie Upwork und mehreren kleinen Firmen im Wettbewerb steht, sieht der Israeli für seine Firma ein riesiges Potenzial, weil 95 Prozent der Freiberufler ihre Angebote immer noch offline anbieten würden. Inzwischen ist aber vielen Unternehmen und auch Freelancern Fiverr als Online-Lösung für digitale Dienstleistungen bekannt.
Die Firma werde deshalb weiter wachsen, ist Kaufman überzeugt, auch in Deutschland, wo marketingwirksame Dienstleistungen wie das Entwerfen von Slogans, aber auch die Themen Online-Nachhilfe und das Verfassen von Drehbüchern und Geschäftsbriefen eine starke Nachfrage erleben.
Deutschland sei für ihn ein „wichtiger strategischer Markt“, in dem er „massiv“ investieren werde, sagt Kaufman. Fiverr verdient 25,5 Prozent der Vertragssumme. 20 Prozent werden vom Freelancer bezahlt, der Rest vom Auftraggeber. Vor zwei Jahren entschied Kaufman, sein Start-up an die New Yorker Börse zu bringen. Bereits am ersten Handelstag Mitte 2019 schoss der Kurs 90 Prozent nach oben. Mittlerweile gab es seit dem IPO eine Performance von über 400 Prozent – trotz der Korrektur in den letzten Wochen, haben Analysten ausgerechnet.
Im zweiten Quartal stiegen die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahresquartal zwar um stolze 60 Prozent auf 75 Millionen Dollar. Aber der jüngste Ausblick liegt unter den Erwartungen des Marktes, was die Aktie derzeit unter Druck setzt. Für das laufende Jahr rechnet Fiverr mit Einnahmen von rund 280 bis 288 Millionen Dollar. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einem Wachstum von 48 bis 52 Prozent.
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