Mütter als Unternehmerinnen Wenn nach dem Kind das Start-up kommt

Mutter und Unternehmerin.
Düsseldorf Irgendwann war Esther Eisenhardt an dem Punkt angekommen, wo ihr klar wurde: So funktioniert das nicht mehr. Ihre Vollzeitstelle in einem Internetunternehmen und ihr Job als Mutter mit zwei kleinen Kindern, das war ein Spagat, der sich mit ihrem eigenen Anspruch an ihre Arbeit nicht vereinbaren ließ. Gerade auch die vom Arbeitgeber geforderte Präsenz im Büro war für sie nicht zu leisten, ohne dass irgendwann einer der beiden Bereiche auf der Strecke blieb.
Schon lange hatte sie den Wunsch, etwas Eigenes zu machen, sich ihre Zeit selbst einteilen zu können, mehr von zu Hause arbeiten zu können. Doch ihr fehlte jegliche Erfahrung als Gründerin. Also besuchte sie Start-up-Events, absolvierte die Berlin Startup Academy, suchte sich ein Team. Ihre Idee: eine Jobbörse für Mütter. Doch sie erlebte, was viele Gründer erleben: Sie schätzen Angebot und Nachfrage falsch ein. Nachdem sie viel Zeit, Nerven und Geld investiert und vergeblich nach der richtigen Förderung gesucht hatte, war klar, dass es nicht passte.
Doch was sie gewonnen hatte, war die Erkenntnis, dass es viele Mütter gibt, die den Wunsch haben, sich selbstständig zu machen. Und die fast alle vor den gleichen Herausforderungen stehen – und in der überwiegend männlich geprägten Start-up-Szene schnell als Exoten betrachtet werden. Also gründete sie das Netzwerk „Mompreneurs“, ein Begriff zusammengesetzt aus den Begriffen „Mom“ und Entrepeneur, also Mutter und Unternehmer. Nun ist sie selbstständig – als Beraterin für andere Mütter-Unternehmerinnen.
Davon gibt es mehr, als viele denken. Erstmals hat jetzt das Research- und Analyseunternehmen Statista im Auftrag der Onlineplattform Ebay das Volumen des Mompreneur-Business ermittelt. Danach sind in Deutschland aktuell mehr als 460.000 Mütter mit noch minderjährigen Kindern selbstständig. Rund die Hälfte von ihnen hat zwei oder sogar mehr Kinder.

Heike Thierbach, Gründerin von „Supermamafitness“, hat inzwischen 150 Lizenznehmer in Deutschland, der Schweiz und Italien.
Ein echter Wirtschaftsfaktor. Nach den Zahlen, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen, werden die Mütter-Unternehmerinnen dieses Jahr zusammen 42,4 Milliarden Euro Umsatz erzielen. „Vermutlich ist die Zahl sogar noch höher, weil viele Mütter neben ihrem Teilzeitjob schon selbstständig arbeiten, das aber noch nicht offiziell angemeldet haben“, sagt Eisenhardt.
Die beliebteste Branche ist dabei das Gesundheits- und Sozialwesen. Nach den Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts von 2014 arbeiten dort fast 100.000 selbstständige Mütter.
Eine von ihnen ist Heike Thierbach. Die dreifache Mutter genießt die Freiheiten, die ihr die Selbstständigkeit bringt. Aber die sind zugleich hart erarbeitet. Nur durch penible Organisation ist der berufliche Alltag zu bewältigen – hat sie schließlich zu Hause mit ihren Kindern im Alter zwischen acht Monaten und fünf Jahren praktisch noch ein zweites Start-up. „Es gibt Tage, da denke ich, ich bin verrückt. Aber dann gibt es Tage, da bin ich nur glücklich“, sagt Thierbach.
Der Nachmittag gehört den Kindern
Die gelernte Fitnesstrainerin begann 2010 während ihrer ersten Schwangerschaft unter der Marke „Supermamafitness“ ein Konzept für Fitnesstrainings in der Schwangerschaft zu entwickeln. Waren es anfangs Outdoorkurse mit wenig Aufwand, kam bald ihr eigenes Studio dazu, die Turnfabrik. Weil die Nachfrage nach ihrem Konzept so groß war, begann sie 2013, selbst Trainer auszubilden. Mittlerweile hat sie 150 Lizenznehmer in Deutschland, der Schweiz und Italien. Zwei Bürokräfte unterstützen sie bei der Organisation. Doch trotz aller Expansion hat sie eine wichtige Regel: „Die Nachmittage gehören den Kindern.“
Viele Mütter geraten nach Schwangerschaft und Elternzeit beruflich in eine Sackgasse. Vollzeit arbeiten können oder wollen sie nicht, aber als Teilzeitstellen werden oft nur anspruchslose Jobs angeboten, die ihrer Erfahrung und ihrer Ausbildung nicht gerecht werden. Zudem herrscht in vielen Betrieben trotz allen Bekenntnisses zur Familienfreundlichkeit immer noch wenig Verständnis für die notwendige Flexibilität.
Doch viele Frauen scheuen das Risiko einer Selbstständigkeit, insbesondere wenn sie dafür viel Kapital aufnehmen müssen. Deswegen entdecken immer mehr den E-Commerce auf Plattformen wie Ebay oder Amazon, wo sie mit relativ wenig Aufwand und überschaubaren Mitteln ihre Selbstständigkeit in kleinen Schritten aufbauen können. Von den 42 000 selbstständigen Müttern im Einzelhandel leiten schon 5200 ein Onlineunternehmen.
Den Zahlen von Statista zufolge sind viele davon noch klein. Bei 97.141 Euro liegt der Umsatz dieser Onlinehändlerinnen durchschnittlich pro Jahr. Den Prognosen zufolge dürfte er aber stark zulegen – bis 2020 auf etwa 128.000 Euro.
Einen dieser stark wachsenden Webshops betreibt Annedore Lindner. 1999 fing die studierte Landwirtin ohne Berufserfahrung an, über Ebay gebrauchte Babykleidung zu verkaufen. Siebzehn Jahre später leitet sie in Halle an der Saale einen „Baumarkt ohne Baustoffe“, wie sie es selber bezeichnet. Sie beschäftigt 19 Mitarbeiter und hat ein 5000 Quadratmeter großes Lager.
Über ihren Webshop anndora vertreibt sie Produkte für Haus, Garten und Freizeit. Ihre Spezialität sind große Holzsonnenschirme, wie sie in der Außengastronomie eingesetzt werden. Mittlerweile hat sie einen der umsatzstärksten Ebay-Shops aus Sachsen-Anhalt.
Mit der Größe ihres Unternehmens ist Annedore Lindner für eine selbstständige Mutter fast schon untypisch. Viele Mompreneurs sind Solo-Unternehmerinnen ohne Mitarbeiter. „Anders als Männer haben Frauen selten den Ehrgeiz, das nächste Facebook zu gründen“, beobachtet Esther Eisenhardt. „Sie wollen einfach nur finanziell auf eigenen Beinen stehen.“
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