Nach Wirecard-Skandal EY-Deutschlandchef Barth tritt zurück – Waigel führt Expertenkommission an

Die Wirtschaftsprüfung wehrt sich gegen Vorwürfe, die Bilanzen von Wirecard nicht ordnungsgemäß geprüft zu haben, und sieht sich als Opfer eines ausgeklügelten Betrugs.
Düsseldorf, Frankfurt Der Chef von EY Deutschland, Hubert Barth, tritt zurück. Das Unternehmen bestätigte am Donnerstagmittag entsprechende Informationen des Handelsblatts aus Branchenkreisen. Er zieht damit die Konsequenzen aus dem Beschuss, dem EY nach dem Wirecard-Skandal ausgesetzt ist und der die gesamte Organisation belastet.
Barth verlässt den Konzern jedoch nicht, sondern übernimmt eine neue Position innerhalb des EY-Netzwerks. Im Sommer 2021 steht dort die geplante Reorganisation des Europageschäfts an. Unter anderem wird eine neue Einheit Europa-West gegründet. Barth soll dort eine neue Führungsposition erhalten. Er wird also auf eine höhere Ebene befördert, die allerdings im operativen Geschäft der national organisierten Prüfungsgesellschaften nicht viel zu sagen hat.
Barth wird von einer neuen Doppelspitze abgelöst, in die einer der erfahrensten internationalen Prüfungsexperten aus dem EY-Netzwerk einzieht. Es handelt sich um Jean-Yves Jégourel, der aktuell bei EY global für die Festsetzung, Einführung und Überwachung von Prüfungsstandards verantwortlich ist. Der 59-Jährige war zuvor Leiter der europäischen Prüfungspraxis.
Der Franzose soll sich ganz darauf konzentrieren, das im Zuge des Wirecard-Skandals verlorene Vertrauen im EY-Prüfungsgeschäft wiederherzustellen und die internen Standards auszubauen. Die Firma reagiert damit auf die Sorge, dass sie weiteres Renommee in der klassischen Wirtschaftsprüfung verlieren könnte.
Jégourel wird ein zweiter Chef zur Seite gestellt, der Experte in den anderen EY-Geschäften ist und die deutsche Organisation gut kennt: Henrik Ahlers, der bereits Mitglied der Geschäftsführung von EY Deutschland ist und das Steuerberatungsgeschäft verantwortet. Der 53-Jährige soll unter anderem für Aufbau und Leitung von Qualitäts-, Risiko- und Complianceabteilungen verantwortlich sein.
Der bekannteste Name in der neuen EY-Führung ist aber Theo Waigel (CSU). Der frühere Bundesfinanzminister wird Vorsitzender eine neuen unabhängigen Expertenkommission. Sie soll die Fortschritte bei Qualitäts- und Vertrauensaufbau bei EY Deutschland überwachen und das Unternehmen dabei beraten. Waigels Stellvertreterin wird die ehemalige Bundeswirtschafts- und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Dritter im Bunde ist Hans Michael Gaul, langjähriger Chef des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat von Siemens.

Der CSU-Ehrenvorsitzende wird EY für eine Expertenkommission zur Verfügung stehen.
„Der eingeleitete Prozess zur Stärkung der Wirtschaftsprüfungspraxis drückt aus, dass EY Deutschland sich seiner Verantwortung für die Erhaltung des Vertrauens in das eigene Unternehmen, den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und – nicht zuletzt – den Finanzplatz Deutschland sehr bewusst ist“, sagte Georg Graf Waldersee, der den Aufsichtsrat leitet. EY unterstütze uneingeschränkt die geplanten gesetzlichen Schritte zur Qualitätsverbesserung in der Abschlussprüfung – auch die stärkere Trennung von Prüfung und Beratung. In der Branche ist diese Regulierung sehr umstritten.
Der Führungswechsel soll spätestens am 30. Juni vollzogen sein. Barth soll bis dahin die Geschäftsführung nach und nach übergeben. Er wird in seiner aktuellen Funktion noch im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Fall Wirecard aussagen. Dort ist er am 19. März gemeinsam mit weiteren Kollegen von EY und vom Konkurrenten PwC vorgeladen.
Barth steht seit 2016 an der Spitze des deutschen Ablegers von EY. Dieser war deutlich in die Kritik geraten, da er den Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München elf Jahre lang geprüft hatte, darunter zehn Jahre ohne öffentlichen Einwand. Wirecard war im Juni 2020 im Zuge eines milliardenschweren Bilanzskandals untergegangen.
In Kreisen von EY heißt es, mit der Entscheidung zu Barth sei keinerlei Schuldeingeständnis verbunden. Die Wirtschaftsprüfung wehrt sich gegen Vorwürfe, die Bilanzen von Wirecard nicht ordnungsgemäß geprüft zu haben, und sieht sich als Opfer eines ausgeklügelten Betrugs. Barth hatte sich intern immer hinter die Arbeit der EY-Prüfer bei Wirecard gestellt.
EY droht große Klagewelle
Er selbst war zwar nicht mit direkten Prüfungsaufgaben bei dem Zahlungsdienstleister betraut. Doch war er schon früh in die Kommunikation mit der Wirecard-Führung eingebunden, etwa als es im Frühjahr 2019 um die von der „Financial Times“ aufgedeckten Betrugsvorwürfe gegen Wirecard-Geschäftspartner in Singapur ging. Barth hatte sich damals darüber auch mit der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas ausgetauscht.
EY sieht sich einer großen Klagewelle von Investoren und Wirecard-Gläubigern ausgesetzt. Anders als EY selbst sind deren Anwälte überzeugt, dass die Abschlussprüfer bei Wirecard vorsätzlich fehlerhaft geprüft und ihre Pflichten verletzt hätten. Das erste Verfahren dazu startet bereits im März.

Der Manager stand seit 2016 an der Spitze des deutschen Ablegers von EY.
Entscheiden die Gerichte gegen EY, könnten aus dieser Klagewelle milliardenschwere Schadensersatzzahlungen entstehen. Möglicherweise wird die Prüfungsgesellschaft früh gezwungen sein, einen außergerichtlichen Vergleich einzugehen – darauf spekulieren letztlich einige der Klägeranwälte.
In jedem Fall werden die rechtliche Auseinandersetzung und die weitere Aufarbeitung des Wirecard-Falls in den nächsten Monaten und Jahren zu einer schweren Belastung für EY Deutschland. Durch diese Phase soll nun die neue Führungsspitze das Unternehmen steuern.
Es sind nicht allein die drohenden Rechtslasten, durch die EY in Bedrängnis gerät. Der gesamte von Barth entworfene Wachstumsplan für die kommenden Jahre gerät wegen Wirecard ins Wanken. Die Gesellschaft galt als „Tiger“ unter den Prüfungsgesellschaften und hat im Zuge der Rotationspflicht gerade im Dax 30 viele wichtige neue Mandate gewonnen – unter anderem die Deutsche Bank, Lufthansa, Munich Re, Volkswagen und die Deutsche Telekom.
Wirecard-Skandal belastet alle EY-Mitarbeiter
Schon ohne diese neuen Mandate hatte sich EY auf Platz zwei unter den „Big Four“ in Deutschland vorgearbeitet. 2019/20 (zum 30.Juni) kam die Gesellschaft auf einen Umsatz von 2,2 Milliarden Euro und rückte an den Marktführer PwC heran, der einen Umsatz von 2,35 Milliarden Euro erreichte. KPMG und Deloitte lagen zurück.
Doch dieser Erfolg droht zu zerfallen. Die Commerzbank und die KfW haben sich bereits von EY als neuem Abschlussprüfer getrennt, ebenso die Fondsgesellschaft DWS. Sie wollen als Wirecard-Gläubiger Schadensersatzklagen gegen EY einreichen oder prüfen dies.
Bei der Deutschen Telekom hat der Bund als Ankeraktionär darauf gedrängt, EY nicht zum neuen Abschlussprüfer zu machen. Wie das Handelsblatt aus Regierungskreisen erfuhr, wird EY das Mandat verlieren. Wer nun ab dem kommenden Jahr die Telekom-Bilanzen prüfen wird, ist noch unklar.
Intern, so heißt es unter EY-Mitarbeitern, sei die Lage sehr angespannt. Die Wirecard-Krise belastet nicht nur das Stammgeschäft mit Abschlussprüfung, sondern den Kreisen zufolge auch die Consultinggeschäfte. Gerade die Managementberatung hat EY in den vergangenen Jahren kräftig ausgebaut. In der Steuer- und Rechtsberatung hat die Gesellschaft unter den „Big Four“ der Wirtschaftsprüfung eine Top-Position.
Bei Mandanten habe man verstärkt Erklärungsbedarf, was die Zukunft der Gesellschaft betrifft, heißt es unter Mitarbeitern. Konkurrenten wie PwC, Deloitte und KPMG könnten von EYs schwieriger Lage profitieren.
Das Abwerben ganzer Teams etwa in der Rechts- und Steuerberatung ist in der Branche auch in ruhigen Zeiten üblich und könnte sich bei EY nun verstärken. Dem soll die neue Führung in Deutschland entgegensteuern. Nach Angaben von EY verläuft das aktuelle Geschäftsjahr operativ stabil.
Profiteure bei den wegfallenden Abschlussprüfungsmandaten von EY dürften vor allem KPMG und Deloitte sein. PwC hat schon einige neue Großaufträge im Dax 30 ergattert, die beiden anderen haben noch Nachholbedarf. EY wird absehbar einen weiteren großen Auftrag verlieren: Ab 2023 muss sich die Siemens AG einen neuen Abschlussprüfer suchen.
Das aber hat nur indirekt mit Wirecard zu tun: Aktuell haben die Münchener noch einmal mit EY als langjährigem Prüfer verlängert. Ab 2023 greift aber die neue Rotationsregel, wonach sämtliche Unternehmen von öffentlichem Interesse alle zehn Jahre ihre Abschlussprüfer wechseln müssen. Diese Frist hat EY dann bei Siemens erreicht. Die neue Regel ist Teil der von der Bundesregierung geplanten schärferen Regeln für Wirtschaftsprüfer.
Siemens ist einer der bestdotierten Prüfaufträge in Deutschland: Das Honorar für EY betrug für den 2020er-Abschluss rund 58 Millionen Euro plus zehn Millionen Euro prüfungsnahe Dienstleistungen. Die Deutsche Bank, bei der EY ab 2020 KPMG ablöst, zahlte für den 2019er-Abschluss Prüfungshonorare von 60 Millionen Euro plus prüfungsnahe Dienstleistungen in Höhe von 13 Millionen Euro.
Das Wirecard-Mandat fiel im Vergleich dazu mickrig aus: EY bekam für das letzte Testat der Bilanz 2018 gerade mal 2,1 Millionen Euro.
Mehr: Den gesamten Fall Wirecard können Sie im Handelsblatt-Crime-Podcast nachhören.
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Den Typen sollte man feuern und nicht einfach versetzen. Er hat den Ruf eine ganzen Branche besudelt.
Es ist mir immer noch unverständlich, weshalb in der HV 2021 sowohl Siemens als auch Siemens Energy EY als Abschlussprüfer vorgeschlagen haben. In beiden HV wurde übrigens der EY Vorschlag jeweils mit großer Mehrheit bestätigt.