Onlinecasinos Neuer Glücksspielstaatsvertrag holt Branche aus der Illegalität – Kritik von Suchtexperten

Mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag, der am 1. Juli in Kraft tritt, werden bisher verbotene virtuelle Automatenspiele im Internet sowie Onlinecasinos mit Poker oder Roulette erlaubt.
Berlin Fast jeder kennt die Werbespots: Promis wie Boris Becker oder H.P. Baxxter werben im Fernsehen für Onlinecasinos oder Pokerportale. Und am Ende der Werbung wird in rasender, nahezu unverständlicher Geschwindigkeit ein Satz dahingerattert: „Das Angebot gilt nur für Personen mit Wohnsitz in Schleswig-Holstein.“
Ab dem 1. Juli wird dieser Satz überflüssig. Der neue Glücksspielstaatsvertrag tritt in Kraft – in ganz Deutschland gelten dann für die Glücksspielbranche einheitliche Regeln. Online-Glücksspiel wird aus der geduldeten Illegalität herausgeholt und legalisiert, zugleich sollen Spieler endlich besser vor Spielsucht geschützt werden.
Der neue Glücksspielstaatsvertrag steckt auf fast 70 Seiten den Rahmen für den milliardenschweren Glücksspielmarkt komplett neu ab: juristisch, regulativ und föderal. Er ist aber vor allem eines: ein teils absurdes Lehrstück über Regulierung im Spannungsverhältnis zwischen Föderalismus, Verbraucherschutz sowie staatlichen und wirtschaftlichen Interessen.
Die ersten Folgen sind bereits zu beobachten, noch bevor der Vertrag überhaupt in Kraft getreten ist. In Baden-Württemberg tobt seit der Bildung der neuen Landesregierung ein erbitterter Kampf zwischen Glücksspielbranche und Politik. Tausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Und auch wenn der Glücksspielvertrag offiziell ab dem 1. Juli gilt, werden Spieler vielleicht Jahre ungeschützt sein. Denn die Aufsichtsbehörde, die die neuen Regeln durchsetzen sollen, werden noch lange im Aufbau begriffen sein.
Im Glücksspielmarkt in Deutschland wurde im Jahr 2019 ein Bruttospielertrag von rund 13,3 Milliarden Euro umgesetzt. Rund 200.000 Menschen sind in der Branche direkt und indirekt laut Schätzungen beschäftigt. Das entspricht etwa der Summe der Beschäftigten im Bereich der Pharma- und Möbelindustrie.
Ökonom Haucap: „Lehrstück für politisches Versagen“
Der Markt teilt sich grob in drei Segmente auf: Der erste ist reguliert, zu ihm zählen etwa staatliche Lotterien, Spielbanken oder Spielhallen. Das zweite Segment war bislang ein Graumarkt, darunter fallen private Sportwetten-Angebote sowie Onlinecasino-Spiele, die in anderen EU-Ländern erlaubt sind und so den Weg ins Netz fanden. Daneben gibt es noch einen relativ großen Schwarzmarkt, der vor allem von asiatischen Betreibern gesteuert wird.
Laut dem Düsseldorfer Wettbewerbsökonomen Justus Haucap war die Glücksspielregulierung der vergangenen 20 Jahre ein einziges „politisches Versagen“. Unter fortwährender Missachtung von Europa- und bisweilen auch Verfassungsrecht seien zum einen Grundfreiheiten der Bürger eingeschränkt worden, zum anderen habe es keinen wirksamen Jugend- und Spielerschutz gegeben.
2012 scherte auch noch das Land Schleswig-Holstein aus dem bis dahin geltenden Glücksspielstaatsvertrag aus und vergab Lizenzen für Online-Glücksspiele, die sonst überall verboten wurden. So erklärt sich der Einschub in der Fernsehwerbung. Es war klar: Es muss etwas geschehen, ein neuer Glücksspielstaatsvertrag musste her.
Dass im föderalen Klein-Klein überhaupt eine Einigung auf einen neuen Vertrag gelang, wird allgemein als Erfolg gewertet. So sagt Georg Stecker, Vorstandssprecher der Deutschen Automatenwirtschaft: „Der neue Staatsvertrag hat viele gute Ansätze. Er verankert den Qualitätsgedanken, wie wir ihn schon lange gefordert haben, und stärkt damit legale und spielerschützende Angebote, wodurch auch der Schwarzmarkt bekämpft wird.“
Auch Ökonom Haucap findet, der Vertrag gehe „prinzipiell in die richtige Richtung“. Allerdings weise er im Hinblick auf Werberegeln, Spielprogramme, Einsatzlimits „noch Schwächen auf“. Und zwar sowohl für die Branche als auch für die Spieler. Nur einer profitiert fast immer: der Staat.
Die Online-Glücksspielbranche ist in den vergangenen Jahren zu einem Milliardenmarkt geworden, obwohl sie in der Illegalität agierte. Dass die Politik Online-Glücksspiele nun legalisiert, halten Suchtexperten für einen Kniefall vor der Branche.
Zwielichtige Geschäfte
Die Onlinebetreiber hätten mit ihrem aggressiven Vorgehen Fakten geschaffen, denen die Politik dann gefolgt sei. So ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt etwa wegen des Verdachts der unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen gegen mehrere Anbieter von Onlinecasinos, darunter Tipico. Die Firmen sollen bundesweit Onlinecasino-Spiele um Geld angeboten haben, ohne dafür eine Lizenz in Deutschland zu haben.
Viele Experten finden dagegen: Verhindern könne die Politik die Onlinezockerei ohnehin nicht. Dann sei eine Regulierung in der Legalität besser als gar keine Regulierung in der Illegalität. Doch es bestehen erhebliche Zweifel, dass die neue staatliche Regulierung in Gänze greifen wird.
Der Online-Glücksspielmarkt, der nun neu reguliert wird, teilt sich in zwei Hälften: Der erste Teil ist eine Art Onlinekopie von Spielautomaten, wie man sie aus Spielhallen und Eckkneipen kennt, sowie Onlinepoker. Der zweite Teil sind Onlinespiele, wie man sie aus Casinos kennt, etwa Roulette oder Black Jack.
Die erste Kategorie sollen private Anbieter abdecken. Bei der zweiten aber wollen die Länder selbst kräftig mitmischen. Sie vergeben extra Konzessionen, die, so befürchten es Experten und Branchenvertreter, an staatliche Lotterien oder landesgestützte Casinos gehen. Der Freistaat Bayern etwa hat bereits einen entsprechenden Antrag bei der EU gestellt. Die Länder begründen dies mit einem besseren Spielerschutz.
Experten fürchten aber, das Angebot der Länder könnte im Vergleich zu den Angeboten auf dem Schwarzmarkt nicht attraktiv genug sein, gerade wenn jedes Land sein eigenes Süppchen kocht. Das Internet mache an den Grenzen eines Bundeslandes nun mal nicht halt.
Manch einer findet, dem Staat gehe es bei der Neuregulierung des Markts ohnehin zu viel ums eigene Geld. 2019 nahm der Fiskus 5,4 Milliarden Euro aus dem erlaubten Glücksspielmarkt ein.
Nun kommt auch noch eine neue „Spieleinsatzsteuer“ von 5,3 Prozent für virtuelle Automatenspiele und Onlinepoker hinzu, die es in anderen Ländern so nicht gibt. Setzt ein Zocker 100 Euro ein, gehen davon also 5,30 Euro an die Staatskasse. Damit wird allerdings die bei diesen Spielen branchenübliche Auszahlquote von 96 Prozent unmöglich.
Dirk Quermann, Präsident Deutscher Online Casinoverband, sagt: „Der Sonderweg Deutschlands bei der Besteuerung von virtuellen Automatenspielen und Onlinepoker wird sich rächen. Leidtragende werden die lizenzierten Anbieter, die Verbraucher und auch der Fiskus sein.“
Denn: Die Steuer dürfte ein massives Abwandern von Spielern in den Schwarzmarkt induzieren, sagt Ökonom Haucap. Er warnt sogar: „Die überbordende Besteuerung könnte letztlich den gesamten Glücksspielstaatsvertrag zum Scheitern bringen.“
Umfassender Spielerschutz dürfte auf sich warten lassen
Weitere erhebliche Unwägbarkeiten bestehen beim Spielerschutz, den die Politik so gern betont. So sieht der Staatsvertrag gleich mehrere Halteregeln vor, die Spieler vor exzessiver Zockerei schützen sollen.
So soll das Einzahllimit 1000 Euro je Spieler im Monat betragen. Auch soll verhindert werden, dass ein Spieler parallel spielen kann, also etwa in einem Casino vor Ort und gleichzeitig online. Jeder Spieler muss sich zudem in einer spielformübergreifenden, bundesweiten Sperrdatei registrieren. Wenn er spielen will, werden die Daten vorher abgeprüft.
Es gibt allerdings Zweifel, dass diese Haltelinien schnell eingezogen werden können. Die dafür zuständige Glücksspiel-Behörde mit Sitz in Halle nimmt zwar ebenfalls am 1. Juli ihre Arbeit auf. Doch die Behörde wird noch bis zum Jahr 2023 aufgebaut und erst dann voll einsatzfähig sein. Und viele Experten glauben, dass es noch länger dauern wird.
Zugleich halten Branchenvertreter die Behörde im Vergleich zu ihren ausländischen Pendants für zu wenig schlagkräftig. Die Glücksspielbehörde müsse personell gut ausgestattet werden, „etwa nach dem Vorbild Großbritanniens oder Dänemarks“, fordert Stecker.
Neben den Limits und der Spielersperrdatei macht der neue Staatsvertrag weitere Vorgaben, die ausschließlich echte Spielhallen betreffen. So sieht der neue Staatsvertrag Abstandsregelungen von bis zu 500 Metern vor. Sowohl zwei Spielhallen dürfen nicht innerhalb dieses Radius liegen, und auch zu Kinder- und Jugendeinrichtungen muss der Mindestabstand eingehalten werden.
Einige Länder wie Rheinland-Pfalz oder Bayern haben diese Regel schon aufgeweicht. Dies können die Länder unter bestimmten Voraussetzungen tun, etwa wenn eine Spielhalle ihre Mitarbeiter weiterqualifiziert oder eine bestimmte Zertifizierung vorweist, also Qualität anbietet.
Anders als andere Länder hält die neue grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg zum Entsetzen der Branche strikt an den Mindestabständen fest. Damit zerstöre die Landesregierung Hunderte meist familiengeführte Betriebe und 8000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg, zürnt die Automatenwirtschaft. Zugleich drohe eine Klagewelle. „Das Zollstock-Prinzip erfasst nicht die Qualität des Angebots. Das kann man nur mit Qualitätskriterien“, sagt Vorstandssprecher Stecker.
Gerade der neue Staatsvertrag biete den Ländern die Chance, durch eine Spielhallen-Regulierung gute von schlechten Angeboten zu trennen, so Stecker. „Sie sollten diese Chance unbedingt nutzen.“
Mehr: Wie Zahlungsabwickler illegales Online-Glücksspiel unterstützen
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