Pflegeheim Rating Report Pflegebranche sucht Investoren

Der Pflegebedarf steigt durch den demografischen Wandel stark an.
Frankfurt Deutschland altert – und das beschert der Pflegebranche sattes Wachstum. Sie ist der am schnellsten wachsende Sektor im Gesundheitsmarkt und soll bis 2030 um mehr als ein Viertel auf 66 Milliarden Euro zulegen. Das zeigt der der aktuelle Pflegeheim Rating Report, der dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
„Die Pflegebranche ist gesund und kann sich auf weitere drei Jahrzehnte mit steigender Nachfrage einstellen“, sagt Studien-Mitautor Sebastian Krolop über den zuletzt rund 47 Milliarden Euro schweren Markt. Während im Krankenhausmarkt rund zehn Prozent der Häuser insolvenzgefährdet sind, sind es im Pflegemarkt gerade mal zwei Prozent, so die Studie. Den Report haben die Beratungsfirma Deloitte, das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und das Institute for Healthcare Business gemeinsam erstellt.
Allerdings könnte die positive Entwicklung des Pflegemarktes auch ausgebremst werden: „Die Nachfrage wird nicht befriedigt werden können, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht bald ändern“, warnt Krolop. Ohne den Einsatz von mehr Personal, Kapital und Technologie werde die Branche unter ihren Möglichkeiten bleiben, so der Leiter des Gesundheitsbereiches bei der Unternehmensberatung Deloitte.
Strategische und Finanz-Investoren haben den deutschen Pflegemarkt längst als attraktives Betätigungsfeld entdeckt. Die M&A-Aktivitäten sind stark gestiegen, sowohl bei den Betreibern als auch im Bereich der Immobilien. So ist der französische Pflegekonzern Korian mit dem Erwerb der Häuser von Curanum und Casa Reha zum größten Pflegeheimbetreiber in Deutschland avanciert, die Beteiligungsgesellschaft Oaktree baut gerade mit den erworbenen Betreibern Pflege & Wohnen und Vitanas einen weiteren großen Player auf.
Die Private-Equity-Firma Carlyle sucht einen Käufer für den mittlerweile zweitgrößten deutschen Betreiber Alloheim. Und von unten arbeitet sich die neue Marke Dorea, unterstützt von der Frankfurter Quadriga Capital, seit Mitte 2015 mit konsequenten Zukäufen Richtung Top Ten vor.
Dennoch bleibt der Kapitalbedarf eine Herausforderung: Die Autoren des Reports rechnen bis 2030 mit einer Summe von fast 70 Milliarden Euro, die benötigt wird, um ausreichend Pflegeheimplätze zu schaffen. Rund 32 Milliarden Euro davon würden auf Neuinvestitionen entfallen, der übrige Teil auf Investitionen in den Bestand. „Ohne privates Kapital wird diese Summe kaum zu erreichen sein“, meint Studienautor Krolop.
Ein Wust von Gesetzen verschreckt Investoren
Im vergangenen Jahr wurden für insgesamt drei Milliarden Euro Pflegeimmobilien verkauft. Laut Immobiliendienstleister CBRE wird dieser Rekordwert in diesem Jahr zwar nicht erreicht, das Investoreninteresse sei aber nach wie vor hoch. Allerdings drohen immer neue Vorgaben Investoren zu verschrecken, wie Markus Bienentreu, Geschäftsführer der auf Sozialimmobilien spezialisierten Unternehmensberatung Terranus, analysiert.
Seit der Föderalismusreform 2006 gibt es statt einem Bundesheimgesetz 16 Landesheimgesetze und eine Heimmindestbauverordnung mit länderspezifischen, teilweise sehr unterschiedlichen Bauvorschriften, erläutert Bienentreu. Wer in Deutschland investieren will, muss sich also je nach Bundesland mit verschiedenen Regeln auseinandersetzen. So dürfen etwa in Baden-Württemberg ab 2019 nur noch Einbettzimmer vergeben werden. In Nordrhein-Westfalen müssen ab Juli 2018 80 Prozent aller Apartments Einbettzimmer sein. „Auch in anderen Bundesländern, wie aktuell beispielsweise in Hessen, wird über eigene Bauvorschriften für Pflegeheime diskutiert“, sagt Bienentreu.
„Es kann nicht sein, dass ich heute nach den aktuellen Auflagen baue, aber nicht weiß, ob diese in fünf Jahren noch Bestand haben“, sagt Jens Nagel, Deutschland-Chef des schwedischen Staatskonzerns Hemsö, der seit 2011 in deutsche Alten- und Pflegeheime investiert. Er warnt, dass in den kommenden Jahren wegen der Auflagen in einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie fehlenden Investments in Sanierung und Neubauten massenhaft Plätze verloren gingen.
Auch die Rekordwerte am Immobilieninvestmentmarkt könnten daran nichts ändern: „Wir reden hier über Eigentümerwechsel, aber keine neuen Pflegeheimplätze“, sagt Nagel. Und die müssten dringend entstehen, wenn man den Schätzungen der Autoren des Pflegeheim-Rating-Reports folgt: In den nächsten 13 Jahren würden rund 270.000 neue stationäre Pflegeplätze benötigt.
Unter der Annahme, dass weiterhin nur 27 Prozent der Pflegebedürftigen stationär betreut werden, ergibt sich der Bedarf allein aus den steigenden Gesamtzahlen: Aktuell gibt es rund 2,9 Millionen Pflegebedürftige Menschen in Deutschland, im Jahr 2030 könnten es 4,1 Millionen sein.
Das seit Jahren beklagte Thema Fachkräftemangel könnte sich übrigens zu einer weiteren Bremse im Markt entwickeln: Schon jetzt können die offenen Stellen nicht besetzt werden, bis 2030 werden zusätzliche 180.000 Pflegefachkräfte benötigt.
Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, die Nachfrage nach stationären Pflegeplätzen zu steuern, indem etwa die ambulante Pflege oder die Reha gestärkt werden. Studienautor Krolop kritisiert, dass immer mehr Patienten direkt aus dem Krankenhaus ins Heim überwiesen werden und auch die Zahl an gering Pflegebedürftigen stark steigt – auf mittlerweile 40 Prozent der Bewohner. „Beide Entwicklungen sind besorgniserregend“, sagt der Deloitte-Berater.
Durch die Einbindung von Sozialdiensten, digitale Überwachungssysteme und andere Maßnahmen könnten viele Pflegebedürftige länger in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben.
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