Skandal bei Spitzenkanzlei Hogan Lovells Der Anwalt und der Detektiv

Affäre um die GPS-Bespitzelung eines ehemaligen Mitarbeiters.
Düsseldorf Nikolaus Behr hatte in der EWE AG seinen idealen Arbeitgeber gefunden. 17 Jahre lang war der Manager in verschiedenen Funktionen für den großen Energieversorger aus Oldenburg tätig. Im August 2012 zog er als Personalvorstand in das höchste Führungsgremium des Milliardenkonzerns ein. Ein Jahr vor Ende seines Dreijahresvertrags wurde seine Bestellung um fünf Jahre verlängert – bis 2020. Behr wäre dann 59 Jahre alt gewesen und hätte in aller Ruhe seine Optionen wiegen können. Es kam anders.
Im September 2016 wurde Behr von der EWE mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Dann stellte der Konzern den Vorstand vor eine Wahl: Rücktritt und Wahrung seiner Rentenansprüche – oder fristlose Kündigung mit Verlust aller Versorgungsansprüche, die Behr als Vorstand der EWE gesammelt hatte. Behr trat zurück.
Was hatte Behr falsch gemacht? Er habe auf den falschen Anwalt vertraut, sagt Behr. Einen Anwalt, der über jeden Zweifel erhaben schien. Der Jurist war Partner bei Hogan Lovells, einer der renommiertesten Kanzleien der Welt. Behr schaltete ihn ein, um ein Problem zu lösen. Nun ist er seinen Job los.
Dabei war das Problem eigentlich überschaubar. Im September 2010 stellte Behr einen Abteilungsleiter ein. Der Mann kam von einem großen Konkurrenzunternehmen und brachte genau die Expertise mit, nach der Behr suchte: Erfahrung mit einer Abrechnungssoftware, die EWE einführen wollte. Doch die Freude über die vermeintliche personelle Verstärkung währte nur kurz: Zwölf Monate nach der Einstellung hatte sich der Neue mit allen verkracht – den Mitarbeitern, den Betriebsräten, seinen Vorgesetzten. „Fachlich war der Mann top“, sagt Behr. „Aber wir mussten uns bald die Frage stellen, ob er uns mehr schadete als nützte.“
Im Juli 2012 wurde der Abteilungsleiter freigestellt, danach gekündigt. 21 Monate dauerte seine Anstellung bei der EWE. Der Streit, den der Mann dann vor das Arbeitsgericht trug, währte mehr als doppelt so lang.
Streit um die Abfindung
Behr war verwirrt. Ein volles Jahresgehalt wollte der Konzern dem Abteilungsleiter zusprechen – bei einer Verweildauer von weniger als zwei Jahren im Unternehmen ein fürstliches Angebot. Doch der Mann forderte das Vierfache. Als das Jahr 2015 endete und der Streit immer noch nicht durchgestanden war, führte Behr schweres Geschütz in den Arbeitskampf: die Kanzlei Hogan Lovells.
Sein Ansprechpartner war einer der führenden Partner der Sozietät. Renommiert, Autor von Standardliteratur, in fast allen Ranglisten seines Rechtsgebiets rangierte er sehr weit oben. Auch Behr war schnell beeindruckt, von seinem Anwalt persönlich wie von der Kanzlei Hogan Lovells an sich. „Da konnte man eine Frage stellen, und 24 Stunden später lag eine langseitige juristisch fundierte Einschätzung vor“, berichtet der Personalmanager.

Der Ex-Energiemanager sieht sich von seiner Anwalt „bis auf die Knochen blamiert“.
Mit der Trennung von dem Abteilungsleiter kam die EWE trotzdem nicht voran. Bis Ende 2015 hatte der Konzern sechs Kündigungen ausgesprochen, vor Gericht hatte keine von ihnen Bestand. Behr fragte seinen Anwalt, wie man weitere Kündigungsgründe finden könne. Dieser hatte, so Behr, einen Vorschlag.
Der ehemalige Abteilungsleiter sollte beschattet werden – mithilfe von Detektiven. Während er mit der EWE vor Arbeitsgerichten kämpfte, hatte der Mann sich als Berater selbstständig gemacht. Verstieß er dabei vielleicht gegen das vertraglich vereinbarte Konkurrenzverbot? Der Hogan-Lovells-Anwalt empfahl laut Behr für die Spurensuche eine Detektei in Hamburg, mit der er seit Jahren gute Erfahrungen gemacht habe.
Wie beschattet man einen ehemaligen Mitarbeiter? Ganz einfach, erklärte der Detektiv, ein ehemaliger Landeskriminalbeamter. Zwei seiner Spezialisten würden dem Mann vier Wochen lang hinterherfahren und aufschreiben, wo er war. Das klang teuer, fand Behr. Er fragte seinen Anwalt, ob man die Aufgabe nicht auch technisch lösen könne. Mit einem GPS-Sender zum Beispiel.
Der gab die Frage an die Detektei weiter. „Machbar“, kam als Antwort zurück. Allerdings warnte der Detektiv den Hogan-Lovells-Anwalt vor rechtlichen Problemen: „Ich muss Ihnen nicht erklären, wie legal eine GPS-Überwachung ist.“
An dieser Stelle gehen die Darstellungen des Vorstands und seines Anwalts auseinander. Behr sagt, der Jurist habe die juristische Bedenklichkeit des GPS-Senders nicht erwähnt. Sein ehemaliger Anwalt sagt das Gegenteil. Unstrittig ist, dass die Nerven schon blank lagen. Der Rechtsstreit mit dem Ex-Mitarbeiter tobte seit dreieinhalb Jahren. Personalchef Behr befürchtete, der Mann habe interne Quellen bei der EWE, die ihm Informationen zutrugen. Über die Beschattungsaktion kommunizierte er mit dem Hogan-Lovells-Mann nur über seine private Mailadresse. Bezahlt wurden die Honorare aber von der EWE.
Legalität hin oder her, ab Februar 2016 klebte ein Peilsender am Auto des ehemaligen EWE-Abteilungsleiters. Wenn der Hogan-Lovells-Mann juristische Bedenken hatte, so waren sie schwer zu erkennen. Im März schrieb er an Behr: „Persönlich würde ich den Auftrag sogar noch vier Wochen laufen lassen.“
Es waren vier Wochen zu viel. Im April 2016 entdeckte der Ex-Mitarbeiter das Spionagewerkzeug. Er übergab den Sender der Polizei. Nun überwachte er seine Überwacher selbst. Am 8. April nahm er per Kamera auf, wie ein Fremder am späten Abend erfolglos versuchte, einen neuen Sender an seinem Wagen zu befestigen. Am 11. April, mitten in der Nacht, folgte der nächste Anlauf. Nun war der GPS-Sender an der Stoßstange angebracht. Es bedurfte der örtlichen Polizei, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Sie durchsuchte die Detektei, dort fand sie auch Mails von Behr. Sein Anwalt hatte seine Fragen einfach an den Detektiv weitergeleitet. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Behr sind inzwischen ohne Geldauflage eingestellt. Seinen Vorstandsjob ist er trotzdem los.
Auch beim Staranwalt von Hogan Lovells wurden Ermittlungen ohne Geldauflage eingestellt. Er arbeitet weiterhin für die Kanzlei. Eine Leitungsfunktion büßte er zwar ein, auf der Internetseite von Hogan Lovells wird er jedoch weiterhin als Topanwalt gepriesen.
Behr hat inzwischen eine andere Meinung von seinem ehemaligen Anwalt. Er macht ihn für den Verlust seines Arbeitsplatzes verantwortlich – und fordert von dessen Kanzlei Hogan Lovells einen siebenstelligen Betrag als Schadensersatz. Behrs Klagegrund: Falschberatung. Der Hogan-Lovells-Anwalt hätte ihn wissen lassen müssen, dass eine GPS-Überwachung illegal sei.
Genau das habe er getan, sagt der. Er behauptet dies nicht öffentlich, auf Nachfrage des Handelsblatts wollte sich der Anwalt nicht zu dem Fall äußern. Hogan Lovells schreibt, es handele sich um einen „singulären Vorfall“, und die Kanzlei „dulde solche rechtswidrigen Überwachungen nicht“. Bereits festgehalten ist allerdings, wie der Anwalt den GPS-Auftrag gegenüber internen Ermittlern der EWE beschrieb. Er sei nur Ausführender gewesen, beteuerte er. Ausdrücklich habe er Behr gewarnt, dass eine solche Überwachung rechtswidrig sei
Bis auf die Knochen
Behr hält die Äußerungen seines Ex-Anwalts für eine reine Schutzbehauptung. Mehr als 120.000 Euro habe Hogan Lovells in diesem Fall abgerechnet. Am Ende habe aber die Kanzlei nicht das Problem gelöst, sondern ihren Auftraggeber bis auf die Knochen blamiert und obendrein geschädigt. Die Ironie der Geschichte: Im September 2016 gewann die EWE den letzten Prozess gegen den Mitarbeiter, der 2012 freigestellt wurde. Die Abfindung betrug ein halbes Jahresgehalt – die Hälfte des ursprünglichen Angebots der EWE. Die Erkenntnisse aus der GPS-Überwachung spielten dabei keine Rolle.
Behr kann über diese Komik nicht lachen. „Ich hätte doch nie eine GPS-Überwachung in Auftrag gegeben, wenn mir mein Anwalt gesagt hätte, dass so etwas rechtswidrig ist“, sagt Behr. „Ich bin ja nicht wahnsinnig.“
Nun muss er neuen Anwälten vertrauen. Behr ist zuversichtlich. „Die Beweislast liegt bei meinem ehemaligen Anwalt. Er muss jetzt beweisen, dass er mich im Februar 2016 über die Rechtswidrigkeit der GPS-Überwachung aufgeklärt hat“, sagt Behr. „Das wird nicht gelingen, weil er es eben nicht tat.“
Im Zweifel, sagt Behr, werde er seinen ehemaligen Anwalt mit dessen eigenen Mails überführen. „Im März 2016 schrieb er mir, dass die GPS-Überwachung verlängert werden soll“, berichtet der Ex-Vorstand. „Ich bin ja kein Anwalt. Aber wenn etwas im Februar illegal ist, kann ich es nicht im März verlängern. Auch nicht mit Anwaltslogik.“
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Schon die klassischen Regeln des Anstands hätten Herrn Behr sagen müssen, dass so eine Aktion nicht geht. Manchmal hilft gesunder Menschenverstand eben weiter als Top-Kanzleien.
Dass er jetzt versucht, den Anwalt dafür verantwortlich zu machen, ist schon putzig. Selber denken hätte hier schon vorher geholfen.