Tourismus Die Sharing-Economy wird zum Milliardengeschäft – zum Leidwesen von Tui

In Zukunft will Airbnb nicht mehr nur Unterkünfte anbieten.
Düsseldorf An diesem Donnerstag soll es losgehen. Campingtouren zu den Wasserfällen Costa Ricas, Motorrad-Safaris durch die Mongolei, Übernachtungen in kalifornischen Geisterstädten – wer auf das Portal des Privatzimmer-Vermittlers Airbnb klickt, glaubt auf einer Spezialseite von Tui, Thomas Cook oder Alltours gelandet zu sein.
Der bemerkenswerte Unterschied: Nicht die Touristikindustrie stellt die bislang mehr als 200 Abenteuerpakete zusammen, sondern einheimische Privatleute. „Die Preisgestaltung ist Sache der Gastgeber“, sagt Joseph Zadeh, der als Vice President die neue Airbnb-Sparte „Adventures“ leitet.
Schon seit 2016 wildert das vor elf Jahren gegründete Vermittlungsportal mit Macht im Revier von Tui, Neckermann und anderen klassischen Reiseveranstaltern. Über 30.000 eintägige Aktivitäten der Airbnb-Gastgeber – vom Ausflug rund um Lissabon bis zum Surfkurs auf Hawaii – bietet der US-Konzern, dem die Vermittlung privater Zimmer und Wohnungen längst nicht mehr genügt.
Vergangenes Jahr knackte der Sharing-Pionier mit all seinen Dienstleistungen die Umsatzmarke von 3,5 Milliarden Dollar. Mit den mehrtägigen Komplettangeboten, die jetzt dazukommen, wird Airbnb aber endgültig zur Gefahr der Reiseanbieter.
Relikt aus den 60er-Jahren?
Umso erstaunlicher ist, dass die Sharing-Economy, das Überlassen privat genutzter Besitztümer an Fremde, in Deutschland immer noch von vielen belächelt wird. „Das gab es schon in den 60er-Jahren“, lästert etwa der Kieler Touristikexperte Martin Lohmann. „Damals reiste man zu Tante und Onkel nach Föhr oder Berchtesgaden in die Sommerfrische“, erinnert sich der Psychologieprofessor. „Später wollte das keiner mehr haben. Wieso also jetzt?“
Wer die Wachstumszahlen sieht, stellt diese Frage nicht mehr. 24,1 Milliarden Euro, schätzt PwC-Partner Nikolas Beutin, setzte die Sharing-Branche 2018 allein in Deutschland um – und damit ein Fünftel mehr als im Vorjahr.
22 Prozent aller Sharing-Deals weltweit, errechnete die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma PwC, gingen auf das Konto von Privatübernachtungen, deren Zahl seit 2010 sechsmal so schnell wuchs wie das Hotelgewerbe.
Ihr Umsatz summierte sich in Deutschland damit auf gut fünf Milliarden Euro, wobei Privatübernachtungen nicht einmal die einzige touristische Dienstleistung der Sharing-Economy darstellten. Der ungebremste Vormarsch der Privatanbieter droht damit die traditionellen Urlaubsveranstalter kalt zu erwischen.
Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen, dass Portale wie Airbnb, 9flats oder Couchsurfing zu einer ernst zu nehmenden Macht im Bettengewerbe aufgestiegen sind. 48,8 Millionen Privatübernachtungen zählte es 2018 in Deutschland, was einem Marktanteil von 8,6 Prozent entspricht – so viel, wie die drei größten Hotelkonzerne Accor („Ibis“, „Mercure“), Best Western und Intercontinental („Holiday Inn“, „Crown Plaza“) in Deutschland zusammen schafften.
„Der Tourismus ist eine der am stärksten von der Sharing-Economy betroffenen Wirtschaftssparten“, ermittelte der Research-Dienst des Europäischen Parlaments. Auch das Gewerbe der klassischen Personenbeförderung spürt den Sharing-Trend. Nur mit rabiaten Streikblockaden und juristischen Scharmützeln gelingt es dem Taxigewerbe vielerorts noch, den Vermittler Uber von Privatfahrten abzuhalten.
In Paris ist ein Staatskonzern bereits eingeknickt. So startete Frankreichs Eisenbahn SNCF unter der Marke „Ouigo“ Billigzüge, um die Abwanderung von Bahnkunden an die Mitfahrzentrale Blablacar in den Griff zu bekommen.
„Wie Smartphones vor wenigen Jahren Film- und Fotokameras verdrängten“, ist sich PwC-Partner Beutin sicher, „hat die Share-Economy das disruptive Potenzial, in vielen Bereichen Eigentum durch zeitweise Nutzung von Produkten und Services zu ersetzen.“ Weltweit, glaubt er, könnte sich die Sharing-Industrie bis 2025 auf mehr als 335 Milliarden Dollar Jahresumsatz ausweiten.
Das Beunruhigende aus Sicht der klassischen Reiseveranstalter: Waren es bis vor Kurzem fast ausschließlich Vermittler von Privatzimmern, die ihnen lästige Konkurrenz bereiteten, gesellen sich nun völlig andere Anbieter hinzu.
Einer von ihnen ist der Onlineanbieter Yescapa. Gegründet in Frankreich, vermittelt die Firma 6.500 Campingmobile in ganz Europa – und ist damit so etwas wie das Airbnb auf Rädern. Die Idee dahinter ist simpel: Europaweit soll es 1,7 Millionen privat genutzte Wohnmobile geben, 450.000 davon allein in Deutschland, die üblicherweise die meiste Zeit des Jahres ungenutzt am Straßenrand stehen und unnötig Kosten verursachen.
Yescapa hat aus der Not der Besitzer ein Geschäftsmodell entwickelt. Die meisten Buchungskunden, heißt es dort, fliegen zum Urlauben in südeuropäische Destinationen und mieten von dort – etwa in Lissabon oder Malaga – einen Campingbus von Privat. Wer als Urlauber dort nichts findet, sucht alternativ bei den Wettbewerbern Paulcamper, Shareacamper oder Campanda.
Auch auf dem Wasser wird mit dem privaten Teilen inzwischen kräftig Geld verdient. Auf bereits 14 Millionen Euro Außenumsatz kommt die in Bordeaux gegründete Sharing-Plattform Samboat im zweiten Jahr ihres Bestehens.
30.000 Boote und Jachten vermittelt die von Laurent Calando und Nicolas Cargou gegründete Firma, die vergangenes Jahr vom französischen Charterer Dream Yacht aufgekauft wurde. „Wir wollen bei der Vermittlung privater Jachten Marktführer werden“, gibt sich Deutschlandchefin Eva Bernhard kämpferisch.
Dass Samboat bislang drei Viertel des Umsatzes in Frankreich erzielt, liegt allerdings an den restriktiveren Gesetzen im übrigen Europa. Peer-to-Peer-Deals, wie Fachleute das Vermieten von Privat an Privat nennen, sind bei Jachten in nahezu keinem anderen Land erlaubt – ausgenommen in den USA.
Samboats Wettbewerber wie die in Berlin residierende Springer-Beteiligung Zizoo oder die spanische Nautal beschränken sich deshalb darauf, ausschließlich Boote gewerblicher Jachtfirmen online zu vermarkten. Selbst ins Fluggeschäft ist die Sharing-Economy eingedrungen. Mit einem Startkapital von nur einer halben Million Euro startete 2015 das Pariser Internetportal Wingly, an dessen zwei Millionen Euro schwerer Anschlussfinanzierung sich später auch Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler beteiligte.
Längst ist Deutschland für die Mitflugzentrale zu einem der Hauptmärkte geworden. Rund 10.000 Piloten mit Propellermaschinen bieten dort Flüge an, die schon ab 100 Euro problemlos übers Internet zu buchen sind. Weil den Hobbyfliegern in der Regel ein Gewerbeschein fehlt, gilt für Wingly-Nutzer das Wort „teilen“ wörtlich: Der Flugpreis entspricht stets der Hälfte der laufenden Betriebskosten.
Doch auch Wingly fliegt nicht allein am Sharing-Himmel. Neben der „Mitflugzentrale“ versucht sich in Leipzig zudem das 2015 gegründete Start-up Flyt.club an der Privatflugvermittlung, finanziert zunächst mit einem Stipendium des Bundeswirtschaftsministeriums.
An Geldern für Sharing-Plattformen mangelt es heute allerdings kaum noch. 23 Milliarden Dollar Risikokapital seien seit 2010 in solche Unternehmen geflossen, rechnete vergangenes Jahr die City University New York vor.
Und längst nicht bei allen von ihnen verpufften die Gelder. Von den drei Milliarden Dollar, die Investoren in Airbnb steckten, gab der Wohnungsvermittler nach Expertenschätzungen gerade einmal 300 Millionen Dollar aus. Mit einem Betriebsgewinn von 450 Millionen Dollar vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen finanzierte sich der Konzern zuletzt vermutlich sogar selbst.
Aus Sicht der klassischen Reiseveranstalter alarmierend: Meist sind es jüngere Urlauber und Freizeitsuchende, die solche Angebote dankend annehmen. 53 Prozent der Nutzer, fand PwC in einer Studie heraus, befanden sich 2017 im Alter zwischen 18 und 39 Jahren. Tui, Alltours oder FTI droht daher der Nachwuchs auszugehen.
Es ist nicht nur der Preis, der jüngere Urlauber zu Privatanbietern treibt – auch wenn er bei der Hälfte von ihnen laut einer aktuellen Umfrage im Vordergrund steht. Eine Studie des Urlaubsportals Holidaycheck legt nahe, dass im Gegenzug zum Aufstieg der Sharing-Economy der Ruf der Pauschalreise verblasst.
Pauschalreise in der Imagekrise
In Interviewrunden mit Verbrauchern, die zur Jahrtausendwende ins Arbeitsleben eintraten, fanden die Tester heraus: Ohne Instagram-fähige Erlebnisse scheint den „Millennials“ der Urlaub nahezu wertlos. Gefragt ist das maßvolle Eintauchen in fremde Kulturen – ohne ein gekünsteltes Bild von Land und Leuten.
Entsprechend fremdeln viele dieser Generation mit der Pauschalreise. „Inbegriff von Fremdbestimmung“, „Massenabfertigung“ oder „Bunker“ fielen den Befragten als spontane Beschreibung ein, „ein Kindergarten für Erwachsene“.
Dass der Urlaub im Paket meist billiger ist und Pauschalreisen gegen mögliche Pleiten von Fluglinien und Hoteliers absichern, wird laut Studie von den Millennials selten wahrgenommen. „Die Urlaubsveranstalter erhalten derzeit Druck von allen Seiten“, beobachtet PwC-Experte Beutin. „Auch die Sharing-Economy trägt einen Teil dazu bei.“
Zu besichtigen ist das an der Börse. Mit stattlichen 16 Milliarden Dollar bewertet die Wall Street aktuell den amerikanischen Privatchauffeur-Vermittler Lyft, der Ende März auf dem Parkett startete, Wettbewerber Uber liegt mit einem Gesamtwert von gut 73 Milliarden Dollar sogar weit darüber.
Auch den Zimmervermittler Airbnb, der ebenfalls für 2019 einen Börsengang plant, bewertete eine Finanzierungsrunde 2017 mit 31 Milliarden Dollar. Die klassischen Reiseveranstalter können von solchen Bewertungen nur träumen.
Tui, der weltweit größte Urlaubskonzern, sackte nach zwei Gewinnwarnungen zuletzt auf einen Marktwert von fünf Milliarden Euro. Verfolger Thomas Cook („Neckermann“, „Öger“, „Condor“) hat mit 0,3 Milliarden Euro fast nur noch Erinnerungswert.
Jeden dieser Reisekonzerne könnten sich die mächtigen Sharing-Anbieter im Handumdrehen per Aktientausch einverleiben – falls sie es nur wollten.
Mitarbeit Fulya Cayir
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