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Überbordende Frachtraten Lieferengpässe aus Fernost bringen Reedereien schwere Kritik

Horrende Lieferverspätungen, Vervierfachung der Frachtraten, Gängelung der Kunden: Die Beschwerden über die Containerreeder wachsen – und erreichen die EU-Kommission.
19.01.2021 - 19:13 Uhr Kommentieren
Die Nachfrage übersteigt das Frachtangebot. Quelle: dpa
Chinesischer Hafen Qingdao

Die Nachfrage übersteigt das Frachtangebot.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Bei Oliver Guttmann, Chef der belgischen Importfirma Intertrading, liegen die Nerven blank. „Wer dringend Containertransporte aus Asien benötigt“, sagt der Aktionswarenlieferant von Lidl und Aldi, „kommt sich inzwischen vor wie auf dem Ticket-Schwarzmarkt vorm WM-Endspiel.“ Das Wettbieten um Stellplätze auf den Frachtern sei derart ruinös, dass bei den vereinbarten Aktionsware-Abnahmepreisen kaum noch Marge übrig bleibe.

Was der Großhändler von Bilderrahmen, Spiegeln und Leinwänden, der pro Jahr rund 1000 Doppelcontainer aus Asien verschifft, in diesen Tagen beobachtet, stellt aktuell fast die gesamte deutsche Importwirtschaft vor enorme Herausforderungen: Seit Ende November explodieren die Frachtraten auf den Weltmeeren, Container sind für den Transport kaum noch frei, Liefertreue verkommt im Schiffsverkehr zunehmend zum Fremdwort.

Stellplätze für die Stahlboxen seien auf den Frachtern bis zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar so gut wie nicht mehr zu bekommen, bestätigt Michael Amri, Seefrachtexperte bei Hellmann Worldwide Logistics, dem Handelsblatt. „In den Häfen Schanghai und Ningbo sind 40-Fuß-Container bis dahin komplett ausgebucht“, sagt er. Vereinzelt könne es auf dem Spotmarkt Möglichkeiten geben – diese dann aber zu „exorbitant hohen Frachtraten“. Auch nach dem chinesischen Neujahrsfest werde sich die Lage erst nur leicht entspannen.

Wie dramatisch sie inzwischen ist, zeigen die Preissprünge am Containermarkt. Wer am vergangenen Freitag einen 20-Fuß-Standardcontainer von China nach Nordeuropa verschiffte, zahlte dafür nach Angaben des Shanghai Containerized Freight Index (SCFI) 4413 US-Dollar. Vor exakt einem Jahr kostete der Transport gerade einmal ein Viertel davon.

Für einen 40-Fuß-Doppelcontainer notierte die britische Beratungsfirma Drewry vergangene Woche auf dem Spotmarkt einen Preis von 8900 Dollar. Möglicherweise würden die Raten sogar in den fünfstelligen Bereich klettern, warnte man dort. Der gesunkene Preis für Schiffsdiesel, berichten Experten, werde den Kunden dagegen erst mit Verspätung weitergereicht.

Reedereien profitieren von der Knappheit

Entsprechend besorgt zeigt sich Anton Börner, Präsident des Bundesverbands Großhandel- und Außenhandel. „Es kann nicht sein“, moniert er, „dass die Reedereien diese historische Krise ausnutzen, um den großen Reibach zu machen.“

Verursacht haben die Schiffsbetreiber die Krise zum Teil selbst. Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie in China legten sie 14 Prozent der weltweiten Frachtflotte vor Anker – damals ein Rekordwert. Tatsächlich aber belebte sich die Weltwirtschaft deutlich rascher als erwartet – getrieben durch China und einen enormen Rückstau in den Häfen.

In der Folge verlegten viele Reedereien den Großteil ihrer Fahrtdienste dorthin, wo die höchsten Frachtraten lockten: ins Fahrtgebiet über den Pazifik, also auf die Strecke zwischen Asien und den USA.

Insbesondere vor Weihnachten riss dies Lücken auf den Transportrouten zwischen Asien und Nordeuropa, die bis heute nicht beseitigt sind. „Das zu transportierende Volumen ist kaum höher als in üblichen Jahren“, schimpft ein deutscher Importeur, der aus Furcht vor künftigen Benachteiligungen nicht genannt werden möchte. „Das Fehlverhalten liegt bei den Reedereien, die keine gewissenhafte Arbeit geleistet haben.“

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Erschwerend kommt hinzu, dass durch die ungleichen Güterströme Leercontainer an Standorten stecken blieben, wo sie niemand brauchte. Nun fehlen sie andernorts – oder müssen durch teure Leerfahrten zurückgeschafft werden.

Speditionen bestätigen dies. „Eine kurzfristige Steigerung der Nachfrage in Kombination mit Leerfahrten und Kapazitätsverlagerungen auf andere Strecken“, warnte Dänemarks Marktführer DSV kürzlich seine Kunden, „hat innerhalb der letzten zwei Wochen zu Preissteigerungen von über 300 Prozent geführt.“

Die Reedereien hätten ihre Vereinbarungen ausgesetzt und böten inzwischen ihre Kapazitäten zu erhöhten Raten an. „Wir gehen davon aus“, heißt es in dem Kundenanschreiben aus der DSV-Zentrale, „dass aufgrund der angespannten Marktsituation nicht alle produzierten Güter bis zum chinesischen Neujahr am 12. Februar 2021 verschifft werden können.“

Speditionen reichen Beschwerde in Brüssel sein

Das Preisgebaren der Reeder löst seit dem Jahreswechsel auch Proteste auf politischer Ebene aus. Am 4. Januar legten der europäische Speditionsverband Clecat und der europäische Industrieverband European Shippers’ Council (ESC) Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein.

Die Verbände monieren die Verletzung bestehender Verträge durch die Reedereien, die „Schaffung unangemessener Bedingungen für die Annahme von Buchungen“ und eine einseitige Festlegung von Sätzen, die weit über den in den Verträgen vereinbarten Frachtraten liegen.

„Diese Situation betrifft insbesondere kleine europäische Unternehmen mit begrenzten finanziellen Reserven“, kritisieren Clecat und ESC. Als Beispiel nennen sie einen französischen Hersteller von Elektrofahrrädern, der durch Lieferverzögerungen und Platzmangel auf den Schiffen seit Wochen keine Ersatzteile aus Asien erhalte und nun vor dem Aus stehe.

„Die Carrier übertreffen sich gegenseitig mit Zuschlägen und allgemeinen Preiserhöhungen“, ist in dem Schreiben an die EU-Kommission zu lesen. „Ebenso werden Versender und Spediteure damit konfrontiert, dass ihre Transporte verschoben werden, wenn andere Speditionen höhere Frachtraten bieten.“ Zu den inakzeptablen Praktiken gehöre auch die Erhebung einer zusätzlichen Gebühr als Preis für die Annahme von Fracht.

Die Schiffsbetreiber selbst weisen die Kritik zurück. „Der Transportpreis ist stets eine Frage von Angebot und Nachfrage“, sagt ein Sprecher von Hapag-Lloyd, dem größten deutschen Containerreeder und weltweit die Nummer fünf. Insbesondere die hohe Nachfrage aus den USA und Europa nach Möbeln, Sportgeräten und Einrichtungsgegenständen erzeuge seit einigen Monaten ein enormes Transportvolumen.

Linderung ist kaum in Sicht. Denn auch in den kommenden zwei Jahren ist keinesfalls damit zu rechnen, dass die Transportkapazitäten auf den Weltmeeren wachsen. Während schon 2019 die Aufträge für Schiffsneubauten um zehn Prozent zurückgingen – wohl auch, weil die Diskussion um neue Brennstofftechnologien für Unsicherheiten sorgt –, sank das Ordergeschäft 2020 um weitere 50 Prozent. Experten sprechen von dem niedrigsten Stand seit mindestens zwei Jahrzehnten.

Hinzu kommt: Neubestellungen wie bei der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, die vor wenigen Wochen sechs Megafrachter für jeweils 23.500 Containereinheiten in Auftrag gab, werden erst zwischen April und Dezember 2023 ausgeliefert.

„Nichts deutet für 2021 auf größere Überkapazitäten hin“, erwartet Adrian Pehl, Analyst für die Transport- und Logistikbranche bei der Commerzbank. „Vor allem dieser Aspekt sollte die künftigen Frachtraten auf hohem Niveau belassen.“

Mehr: Die Coronakrise treibt Trucks auf die Seidenstraße

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