Werberiese WPP übernimmt Thjnk Der Ausverkauf der Agenturen geht weiter

Die Hamburger Agentur wird vom britischen Werbekonzern WPP übernommen.
Düsseldorf Gibst Du mir mal die Telefonnummer vom Martin? Mit dieser durchaus ernst gemeinten Frage auf der Facebook-Seite von Thjnk-Chefin Karen Heumann reagierte ein Hamburger Werber am Donnerstag auf den Megadeal des Jahres: Martin Sorrell, Chef des weltgrößten Werbekonzerns WPP aus Großbritannien, kauft die Hamburger Vorzeigeagentur Thjnk.
Die Übernahme löste unter Kreativen und Beratern viel Begeisterung aus, dazu ein wenig Zweifel ob der neuen Abhängigkeit der Firma – und den Wunsch von einigen, es den Thjnk-Werbern gleichzutun. Verkaufen, solange und so gut es geht. Über den Kaufpreis vereinbarten beide Seiten Stillschweigen. Klar ist aber: Der vor einigen Jahren begonnene Ausverkauf der deutschen Agenturlandschaft wird weitergehen.
Das britische Unternehmen WPP ist mit rund 200.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von fast 20 Milliarden Euro die Nummer eins im internationalen Werbemarkt. Agenturmarken wie Grey, Ogilvy & Mather, Scholz & Friends und Group M gehören zum Portfolio. Der Neuerwerb Thjnk ist ungleich kleiner: Knapp 400 Mitarbeiter erzielen einen Umsatz von rund 40 Millionen Euro.
Und doch hat WPP ein Auge auf die Hamburger geworfen. Konzernchef Sorrell, der als agiler und zahlengetriebener Manager gilt, habe sich persönlich um den Deal gekümmert, heißt es in Unternehmenskreisen. Die Größe von Thjnk habe er als genau richtig empfunden, so heißt es. Eine Frau an der Spitze sei ebenfalls ein Vorteil. Und die hohe Bereitschaft der Agentur zur Umsetzung habe ihm imponiert. „Wir sind froh, mit Thjnk den ,rising star‘ der deutschen Agenturlandschaft für WPP gewonnen zu haben“, sagte Sorrell am Donnerstag.

Eine der „heißesten Agenturmarken im deutschen Markt“.
„Mich überrascht die Übernahme überhaupt nicht“, meinte Oliver Klein, Chef der Beratung Cherrypicker, die Unternehmen bei der Agentursuche unterstützt. Die Thjnk zeichne sich durch ein hohes Wachstum aus, betreue große Kunden wie Audi, Ikea und Commerzbank und stelle eigene Agentureinheiten, sogenannte Customized Agencies, für Werbekunden bereit. Für Berater Klein ist das Unternehmen eine der „heißesten Agenturmarken im deutschen Markt“.
Um etwa den Etat der Fastfoodkette McDonald’s für sich zu gewinnen, schufen die Hamburger 2014 kurzerhand ein Joint Venture mit dem Wettbewerber Leo Burnett, der zum französischen Werbekonzern Publicis gehört. Auch für den Industriekonzern Thyssen-Krupp boten die Kreativen eine maßgeschneiderte Lösung: Die 2016 eingerichtete Agentur Bobby & Carl ist ein Joint Venture des Dax-Konzerns und der Agentur.
Zäher Scheidungskrieg
Entstanden ist Thjnk 2012 aus der Agentur Kemper-Trautmann, als die Strategin Karen Heumann und der Kreative Armin Jochum zu der Firma wechselten. Beide kamen von dem Rivalen Jung von Matt und wollten unternehmerisch tätig werden. Oder, wie es Heumann später gerne formulierte, mit „49 noch mal die beste Agentur der Welt bauen“. André Kemper und Michael Trautmann hatten die Firma ursprünglich 2004 gegründet.
Mit dem Einstieg der beiden Jung-von-Matt-Werber änderte sich so einiges: Der Name wandelte sich in Thjnk um, eine Abkürzung der vier Nachnamen Trautmann, Heumann, Jochum und („n“) Kemper. Letzterer verließ kurz darauf die Firma, und es entspann sich ein zäher Scheidungskrieg.
Doch der Umbau ging weiter: 2016 holten Heumann und Jochum ihren früheren Kollegen, den Jung-von-Matt-Finanzvorstand Ulrich Pallas, in ihre Mitte. Und im vergangenen Mai gaben sie bekannt, dass Mitgründer Trautmann in den Aufsichtsrat wechseln werde. Nach der Übernahme soll das Management in der aktuellen Dreier-Formation weitermachen, teilte Thjnk mit. Die Gründungspartner würden mindestens noch fünf, wenn nicht gar acht Jahre an Bord bleiben, so heißt es unter Insidern.
Thjnk verspricht sich – neben dem finanziellen Gewinn – einen „direkten Zugriff auf das stärkste Expertennetz der Welt“, wie es Thjnk-Chefin Heumann formulierte. Das ist inzwischen der Knackpunkt vieler deutscher Inhaberagenturen: Sie haben große Werbekunden, die auf globalen Märkten tätig sind, und können deren Kommunikationswünsche nicht immer erfüllen. Ein PR-Dienstleister im Ausland oder ein Experte für bestimmte Social-Media-Dienste muss mit großem Aufwand ausgewählt werden.
„Mit einem starken Partner können sie viel mehr bewegen“, meinte auch Agenturkenner Klein. Damit folgt Thjnk einem Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet: dem Verkauf deutscher Inhaberagenturen ans Ausland. Denn die großen Werbekonzerne sitzen in London, New York oder Paris, nicht aber in Deutschland. Der Brite Sorrell machte bereits 2011 einen guten Fang auf dem deutschen Markt, als er die Werbeholding Commarco kaufte, zu der die renommierte Agentur Scholz & Friends gehört.
Attraktiver deutscher Markt
Sorrells größter Konkurrent, das US-Werbenetzwerk Omnicom, griff ebenfalls zu: Die Amerikaner kauften 2014 die Kreativagentur Heimat aus Berlin und verbanden sie mit der kriselnden Agenturmarke TBWA. Anfang 2015 erwarben sie die Berliner Digitalagentur Torben Lucie und die gelbe Gefahr und trugen ihr auf, die angestaubte Firma Rapp aufzuhübschen. Der Gedanke dahinter: Starke Inhaberagenturen sollen schwächere Marken aus den Netzwerken unterstützen. Diese Schützenhilfe muss Thjnk innerhalb des WPP-Netzwerkes nicht leisten. „Thjnk bleibt – im Rahmen des Netzwerkes – unabhängig“, heißt es.
Deutschland gilt international als ausgesprochen interessanter Markt, da hier zahlreiche inhabergeführte Agenturen tätig sind. Diese sind bei werbetreibenden Unternehmen beliebt, die den direkten Kontakt zum Gründer oder zum Inhaber suchen. Werbekonzerne wie WPP und Omnicom klopfen regelmäßig bei deutschen Inhaberagenturen an, doch die Preisfindung und die Konditionengestaltung erweisen sich oft als schwierig, so dass es dann doch nur bei Vorgesprächen bleibt.
„Die internationalen Agenturkonzerne interessieren sich generell wieder für den deutschen Markt und machen das – wie immer – durch den Aufkauf unabhängiger Agenturen deutlich“, kommentierte Florian Haller, Chef der inhabergeführten Gruppe Serviceplan aus München, die Übernahme. „Ich glaube nicht, dass das sehr nachhaltig ist. Denn am Ende verlieren diese inhabergeführten Agenturen dadurch ihren Antrieb und meistens nach kurzer Zeit auch das Management, das sie dahin gebracht hat, wo sie heute stehen.“ Marktführer Serviceplan legt großen Wert auf Unabhängigkeit, und ist in Anbetracht seiner Größe – zuletzt 340 Millionen Euro Umsatz mit 3 100 Mitarbeitern – fast schon zu groß für einen möglichen Verkauf.
Jung von Matt, Philipp und Keuntje, Grabarz & Partner, Kolle Rebbe – sie gehören zu den verbleibenden großen eigenständigen Agenturen in Deutschland. Einige der Inhaber werden vielleicht schon die Telefonnummern von Sorrell & Co. in ihren iPhones abgespeichert haben. Der Ausverkauf der deutschen Agenturlandschaft wird noch weitergehen, glauben Experten. Für Norbert Lindhof von der Beratung Aller-Best kein Grund zum Jammern: „Das gibt wieder Chancen für neue Agenturgründer“, meinte er.
Das sieht Klein von Cherrypicker ähnlich. Er wünscht sich eine neue Art des Unternehmertums in der Branche, einen Aufbruch wie es ihn Ende der 90er-Jahre gab, als viele der großen Agenturmarken in Deutschland entstanden. „Ansonsten hat man als Kunde bald nur noch die Wahl zwischen einer Handvoll internationaler Networks.“
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