Alfred Stern Im Spannungsfeld zwischen Erdöl und Kunststoff: Der neue OMV-Chef muss den Konzern versöhnen

Der neue OMV-Chef leitete mehrere Jahre lang Borealis. Die Beteiligung am Kunststoffunternehmen stockte OMV 2020 auf 75 Prozent auf.
Wien Der Aufsichtsrat des Erdölunternehmens OMV will dem deutschen Manager Rainer Seele, 61, das Schicksal der „lahmen Ente“ offenbar ersparen: Schneller als erwartet findet bei Österreichs größter Firma der Stabwechsel statt. Der Einheimische Alfred Stern, 56, übernimmt die Leitung der Gesellschaft bereits am 1. September dieses Jahres. Zuvor hatte der Aufsichtsrat der OMV den Anschein erweckt, als ob Seele noch bis Mitte kommenden Jahres das Unternehmen leiten würde.
Eile ist bei OMV allerdings angezeigt. Zeitweise ähnelt das Unternehmen nämlich einem Tollhaus: Strategiediskussionen, Managerquerelen und Konflikte mit Umweltorganisationen bestimmen den Alltag – und oft auch ein typisch österreichisches Kasperltheater. Und seitdem Seele Ende April bekanntgegeben hatte, dass er seinen Vertrag nicht verlängern wolle, tobte im Unternehmen ein Diadochenkampf.
Stern, der seit April dieses Jahres dem OMV-Vorstand angehört und für den neu geschaffenen Bereich Chemicals & Materials zuständig ist, hat sich in dieser Auseinandersetzung immer vornehm zurückgehalten. Ihm war wohl bewusst, dass er einer der Favoriten des schweizerisch-australischen OMV-Aufsichtsratspräsidenten Mark Garrett war.
Und dieser wollte die Phase der Unsicherheit anscheinend möglichst rasch beenden, indem er bei der Führungsfrage Klarheit schuf. Er traut Stern, dem Beobachter Bodenhaftung und eine ruhige Hand attestieren, offenbar zu, wieder Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Stern gilt nicht als „Showman“, aber als glaubwürdiger Kommunikator. Diese Eigenschaft wird bei OMV in den kommenden Jahren gefragt sein.
Wie andere Erdölfirmen muss sich OMV nämlich neu ausrichten. Ein Unternehmen, das nichts anderes macht, als Erdöl aus der Erde zu pumpen, hat bei den Investoren und in der Öffentlichkeit mittlerweile einen schweren Stand. Rohstofffirmen müssen diese Stimmung aufnehmen, sonst laufen sie Gefahr, an der Börse an Wert zu verlieren.
Die Transformation hat Unruhe ausgelöst
OMV hat deshalb unter der Leitung von Seele eine Transformation gestartet. Unter anderem stockte das Unternehmen im vergangenen Jahr die Beteiligung am Wiener Kunststoffunternehmen Borealis von 36 auf 75 Prozent auf. Die Idee hinter dieser Transaktion besteht darin, das von der OMV geförderte Erdöl nicht mehr bloß als Kraftstoff zu verbrennen, sondern teilweise zu Kunststoff zu verarbeiten. Aus OMV soll mit anderen Worten auch eine Petrochemiegesellschaft werden.
Unter der alten Garde der 25.000 OMV-Mitarbeiter hat diese Transformation allerdings Unruhe ausgelöst. Einst waren sie die ungekrönten Könige des Unternehmens, nun befürchteten sie, an den Rand gedrängt zu werden, und zwar zugunsten der Chemiespezialisten.
Der zweifache Familienvater Stern soll die verunsicherten Mitarbeiter durch eine offene Kommunikation nun „mitnehmen“. Seinem Vorgänger Seele wird nämlich angekreidet, dass er in dieser Hinsicht zu wenig unternommen habe. Zu oft habe er von oben herab kommuniziert und damit Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen, heißt es aus der Firma.
Ohnehin tat sich der Deutsche oft schwer mit gewissen wienerischen Gepflogenheiten: In Österreichs Hauptstadt reicht es eben nicht, wenn ein Manager „bloß“ gute Zahlen abliefert, wie das Seele gelungen ist. Man muss auch den „Schmäh“ und das Kaffeegespräch pflegen, gleichzeitig aber aufpassen, nicht in die Kumpanei zu verfallen. Die Österreicher seien „die Latinos des deutschsprachigen Raums, meist entspannt und humorvoll“, sagte Garrett vor Kurzem im Gespräch. Im Vergleich mit ihnen seien die Deutschen ernst.
Von 2018 bis März 2021 an der Spitze von Borealis
Stern hat jedoch auch den richtigen beruflichen Werdegang, um OMV in die Zukunft zu führen. Er stammt nicht aus dem traditionellen Rohölgeschäft, sondern ist Kunststofftechniker. An der Montanuniversität Leoben hat er promoviert. Von 2018 bis März 2021 führte er Borealis. In dieser Funktion habe Stern, so sagt Garrett, das Unternehmen in Richtung Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt. Als Borealis-Chef war Stern ausgerechnet auf Garrett gefolgt, der von 2007 an der Spitze des Kunststoffherstellers gestanden hatte.
Diese Konstellation dürfte bei OMV zumindest kurzfristig für weitere Unruhe sorgen. Die Traditionalisten der Erdölfraktion haben bereits in den vergangenen Monaten moniert, dass die Tochterfirma Borealis gleichsam die Muttergesellschaft OMV übernehme.
Gleichzeitig ist die Auswahl an Managern in Österreich aber beschränkt. Garrett sagte vor Kurzem, er wisse nicht, ob er als Seele-Nachfolger auch Kandidaten ins Auge fassen könne, die nicht Deutsch sprächen. Die Zweifel waren offenbar zu stark. Selbst das Experiment „Manager aus Deutschland“ hat man bei OMV abgebrochen – nun soll es ein Einheimischer richten.
Mehr: Konflikte mit Aufsichtsrat und Umweltschützern: Rainer Seele gibt Chefposten bei OMV ab
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.