Energiebranche im Umbruch Neue Geschäfte – verzweifelt gesucht

Auf der Bühne im Hotel Intercontinental in Berlin: Handelsblatt-Redakteur Klaus Stratmann als Moderator, Vera Gäde-Butzlaff (Vorstandsvorsitzende Gasag AG), Manfred Schmitz (GDF Suez Deutschland), Frank Mastiaux (EnBW) und Marc Oliver Bettzüge (Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln).
Berlin Frank Mastiaux liebt martialische Vergleiche. Die Energiewende, erklärte der EnBW-Chef, habe die Branche wie ein „Boxschlag“ getroffen. In dieser Situation könne man „liegen blieben“, „bei nächster Gelegenheit das Handtuch werfen“ oder sich aufrappeln und „zackig“ wieder auf die Beine kommen.
Mastiaux will nicht als Verlierer aus dem Ring steigen. Das machte der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands drittgrößtem Energieversorger bei der Handelsblatt-Energietagung in Berlin schnell klar. Doch die Aufgaben sind riesig. Seitdem Solar- und Windkraft per Gesetz vorrangig ins deutsche Stromnetz eingespeist werden, bricht EnBW & Co. nichts weniger als das Kerngeschäft weg: der Betrieb großer Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke.
Die Großhandelspreise für Strom befinden sich auf einem historischen Tief. Am Terminmarkt bekommen Stromproduzenten für eine Megawattstunde, die sie im nächsten Jahr liefern, weniger als 25 Euro. Zum Vergleich: Vor vier Jahren waren es noch 50 Euro. Während die Umsätze fallen und die Gewinne erodieren, müssen die Unternehmen parallel in künftige Wachstumsfelder investieren.
„Eine Mammutaufgabe“, gibt Manfred Schmitz zu. Der Chef von GDF Suez Deutschland benennt vier große Trends, denen sich die Branche stellen muss. Erstens, dem Abschied von schmutzigen Energieträgern wie Kohle und Erdöl. Zweitens, einer Stromproduktion, die dezentral, in kleinen Einheiten erfolgt anstatt in zentralen Großkraftwerken. Drittens, dem gesellschaftlichen Wunsch und der ökonomischen Vernunft, effizient mit der Ressource Energie umzugehen. Und viertens: der voranschreitenden Digitalisierung.
„Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Epoche in der Energiewirtschaft“, erklärte Schmitz. Beschränkte sich der Kontakt zwischen Energieversorgern und ihren Kunden früher meist auf das Übermitteln der Zählerstände und die jährliche Stromrechnung, müsse der Markt künftig viel konsequenter „vom Kunden her“ gedacht werden.
Schon jetzt ist absehbar, dass sich insbesondere Stadtwerke zunehmend als Umsorger ihrer Kunden positionieren, die neben Strom, Gas und Wärme auch IT- und Kommunikationsdienstleistungen anbieten. „Die Leute wollen immer weniger fremdbestimmt werden – bis hin zur Autarkie“, analysiert Schmitz.
Weil die Strompreise in Deutschland stetig steigen, hat es etwa für Besitzer von Solaranlagen von Jahr zu Jahr mehr Sinn, den Strom vom Dach zu speichern und selbst zu verbrauchen. Diesen „Prosumern“, die nicht mehr nur Strom konsumieren, sondern ihn auch selbst produzieren, müsse man völlig neue Angebote machen, sagt GDF-Manager Schmitz – etwa clevere Energiemanager, mit denen Kunden den selbst erzeugten Strom effizient mit Haushaltsgeräten vernetzen können.
Klar ist aber: Das Geschäft mit Dienstleistungen kann die Erosion der Umsätze und Gewinne der Energieversorger aus ihrem Kerngeschäft aber nur abmildern. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung Horváth & Partner liegt der Umsatz pro Mitarbeiter eines Energieversorgers im Schnitt aktuell noch bei etwa einer Million Euro. Künftig, wenn das Geschäftsmodell stärker auf Dienstleistungen ausgerichtet ist, werden es pro Mitarbeiter aber nur noch 300.000 Euro sein. Hohe, zweistellige Margen sind damit Vergangenheit.
Vera Gäde-Butzlaff hält die Folgen der Energiewende deshalb für längst „noch nicht ausgestanden“. Die Chefin von Gasag, dem größten kommunalen Gasversorger Westeuropas, warnte zudem eindringlich: „Unsere größten Wettbewerber sind nicht mehr die, die wir kennen, auf die wir uns einstellen können – sondern völlig neue.“ Weltkonzerne wie Google oder Apple greifen beim Smart Home an. Wendige Start-ups machen den Energieversorgern das Geschäft bei der Digitalisierung streitig. Und Autokonzerne wie Tesla, Daimler oder BMW drängen in den Markt für Batteriespeicher.
„Wir rechnen in unserer Planung nicht damit, dass uns irgendwer Geschenke macht“, sagte EnBW-Chef Mastiaux. Wichtig sei zu erkennen, „was man kann und was man nicht kann“. Es bringe nichts, als Unternehmen „jeder Kuh“ hinterherzulaufen. Die Transformation der Energiewelt erfordere, sich ständig selbst infrage zu stellen. Sonst komme früher oder später der nächste Boxschlag. Letztlich gehe es darum, auf „Wunschdenken zu verzichten und das Machbare zu planen“, sagte Mastiaux. Deswegen habe er auch keine Angst vor Start-ups.
Im Überlebenskampf sei am Ende auch entscheidend, ob die Führungsfiguren an der Spitze der Unternehmen den „unbedingten Willen“ zeigen, die Versorger sicher in die Zukunft zu führen.