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Energie

Energiebranche Krise der Windkraft: Das verschwiegene Firmengeflecht von Enercon gerät in Gefahr

Die Windenergiebranche schimpft auf die Politik. Viele Probleme sind aber hausgemacht – vor allem bei Enercon. In einem internen Schreiben räumt der Windriese selbst Fehler ein.
28.11.2019 - 13:45 Uhr Kommentieren
Durch die Probleme bei Enercon sollen mehr als 3000 Angestellte ihren Job verlieren. Quelle: dpa
Windkraft in der Krise

Durch die Probleme bei Enercon sollen mehr als 3000 Angestellte ihren Job verlieren.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Als Windenergie den meisten Menschen noch gar kein Begriff war, schraubte Aloys Wobben vor mehr als 30 Jahren schon an seiner ersten Turbine. In der eigenen Garage, im ostfriesischen Aurich. Heute sieht man die Windanlagen mit den unverkennbaren grünen Ringen schon von Weitem. Sie stehen über das ganze Land verteilt. 

Das Geschäft mit der Windkraft machte den heute 67-jährigen Wobben zum Milliardär und sein Unternehmen zu einem der größten Windkonzerne der Welt. Wie kein zweiter steht Enercon für den Aufstieg der Branche und den Erfolg der deutschen Energiewende. Bis jetzt.

Anfang November verkündete der niedersächsische Turbinenhersteller den größten Stellenabbau in der Geschichte des Unternehmens. Über 3.000 Angestellte werden ihren Job verlieren. „Die Krise der Energiewende ist auch bei uns angekommen“, kommentierte Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig die Nachricht.

Zum ersten Mal seit der Gründung des Unternehmens schreibe man rote Zahlen. 200 Millionen Euro Miese allein im vergangenen Jahr. 2019 dürften es noch deutlich mehr werden. Der Schuldige war schnell gefunden: Die Politik habe Enercon „den Stecker gezogen“, kritisierte Kettwig. Nur am Rande räumt er eigene strategische Fehler ein. 

Tatsächlich sind die Gründe für die Krise von Enercon zwar auch in der Energiepolitik zu suchen, aber hauptsächlich im Unternehmen selbst. In einem internen Schreiben an die Belegschaft räumt die Geschäftsführung selbst Fehler ein. Die Ursachen für die Krise seien „zum Teil hausgemacht“, heißt es.

Fehlgeleitete technische Entwicklungen, zu hohe Produktionskosten und eine „verspätete Reaktion auf das sich verschlechternde Marktumfeld“ zählt das Management zu den größten Verfehlungen. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt vor. Enercon habe seinen Kunden keine wettbewerbsfähigen Produkte mehr liefern können. Jetzt müssten vor allem die Kosten deutlich runter. Und zwar um bis zu 30 Prozent, wie aus dem Schreiben hervorgeht.

Auf Anfrage schreibt Enercon dazu, man habe den Trend im Markt „nicht zu hundert Prozent berücksichtigt“, sich in der Vergangenheit zu stark auf technologische Aspekte fokussiert. Der Einbruch des deutschen Marktes habe die Entwicklung aber „dramatisch verschärft“.  

In der Tat steckt die ganze Branche in der Krise. Nachdem die Unternehmen jahrelang von einem Rekord zum nächsten gejagt waren, begann 2017 der Absturz. Auslöser waren neue Rahmenbedingungen. Erst wurde das System von festen staatlichen Vergütungen auf Ausschreibungen umgestellt, in denen nur noch die billigsten Anbieter den Zuschlag bekamen.

Dann wurden Bürgerenergiegesellschaften zu den Auktionen zugelassen, ohne dass sie eine Genehmigung vorlegen mussten. Gleichzeitig dauern Genehmigungsverfahren immer länger, und kaum ein Windpark wird mehr gebaut, ohne vor Gericht zu landen.

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Die Folgen sind dramatisch. Im ersten Halbjahr 2019 fiel der Ausbau der Windkraft in Deutschland auf ein historisches Tief. Gerade einmal 86 Anlagen sind neu dazugekommen – ein Rückgang von 82 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kommt die von der Bundesregierung geplante Abstandsregelung von 1.000 Metern zwischen einem Wohngebiet und dem nächsten Windrad tatsächlich, fürchten Experten einen nahezu totalen Stillstand der Windenergie in Deutschland. Zeitgleich tobt weltweit ein heftiger Preiskampf.

Mit den Auswirkungen hat nicht nur Enercon zu kämpfen. Allein die großen deutschen Windkonzerne Siemens Gamesa, Senvion und Nordex haben in den vergangenen zwei Jahren mehrere Zehntausend Stellen abgebaut. Auch Enercon musste vor einem Jahr bereits knapp 900 Jobs streichen.

Der Hamburger Turbinenbauer Senvion knickte schließlich als erstes Unternehmen ein und meldete im April Insolvenz an. Ähnlich wie bei Enercon war auch hier jedoch nicht nur der kriselnde deutsche Markt Auslöser für die Pleite. Senvion hatte sich zu lange auf das Geschäft in der Heimat verlassen und sich mit der viel zu späten Expansion ins Ausland schließlich übernommen. Den Hamburgern war das Geld ausgegangen. 

Etwas Ähnliches soll nun auch Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig bei einem Krisentreffen mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) und Gewerkschaftsvertretern am 13. November gesagt haben. Es sei kein Geld mehr da. Mehrere Teilnehmer berichten, der langjährige Geschäftsführer wirke „komplett überfordert“. Fast so, als habe er nichts mehr zu sagen.

Bei einem weiteren Treffen am vergangenen Mittwoch sei er schließlich gar nicht mehr dabei gewesen. Gerüchte über einen möglichen Wechsel an der Spitze werden laut. Das sei nicht der Fall, heißt es dazu auf Anfrage aus Aurich. 

Jahrelang hatte Enercon sich als deutscher Marktführer auf dem boomenden Heimatmarkt ausgeruht. Während Konkurrenten wie Siemens Gamesa und Nordex schon früh in andere Länder expandierten, ging Enercon nur mit angezogener Handbremse ins Ausland. Auch das vielversprechende Geschäft mit der Windkraft auf See überließ man komplett der Konkurrenz. 

„Bei Enercon liegt das Problem in der eigenen Wertschöpfungskette, die Enercon nahezu im Alleingang verantwortet und in Deutschland betreibt, und damit in einer zu hohen Kostenstruktur sowie der fehlenden oder zu späten Ausrichtung auf andere attraktive Märkte“, sagt Experte Dirk Briese vom Marktforschungsunternehmen Windresearch. 

Man habe sich zu lange darauf verlassen, dass die deutsche Politik es schon richten werde. Aber Enercon hat sich verzockt, mit hohem Einsatz. Mehr als die Hälfte seiner Umsätze erwirtschaftet der Konzern in Deutschland. Der Einbruch hierzulande trifft die Ostfriesen deswegen besonders hart. 

Komplette Neuausrichtung soll Enercon retten 

Jetzt bleibt nur die Flucht nach vorn. Der träge Windriese bewegt sich plötzlich wieder – mit massiven Schritten. Erst trat Simon Wobben, der Neffe des Gründers Aloys Wobben, im Sommer überraschend von seinem Posten als Co-Geschäftsführer zurück. Wenige Tage später verkündete Enercon eine Erweiterung der Führungsriege. Vier zusätzliche Manager stehen jetzt an der Seite von Kettwig als Vorsitzendem. 

Neben zwei langjährigen Mitarbeitern hat sich der ostfriesische Konzern mit Jörg Scholle und Thomas Cobet sogar Expertise bei den heimischen Konkurrenten Nordex und Siemens Gamesa eingekauft. Zusätzlich wurde ein Beratungsunternehmen an Bord geholt. Die Münchner Agentur Oliver Wyman soll Enercon wieder auf Kurs bringen. So etwas hat es in dem bis dato autokratisch regierten Familienunternehmen noch nie gegeben. Bislang habe das Management stets auf das eigene Können gesetzt, heißt es aus der Branche. Das können sich die Ostfriesen jetzt nicht mehr leisten. 

Obwohl der Windkonzern in den vergangenen Jahren Rekordumsätze verkündete, schmolzen die Gewinne seit drei Jahren rapide ab. Bei 5,1 Milliarden Euro Umsatz machte Enercon 2016 noch 603 Millionen Euro Gewinn. Ein Jahr später blieben bei einem Umsatz von 5,1 Milliarden Euro schon satte 30 Prozent weniger in der Kasse.

2018 rutschte das Unternehmen schließlich in die roten Zahlen. Man befinde sich „in einer noch viel bedrohlicheren Lage als zunächst befürchtet“, schrieb Enercon-Chef Kettwig an seine Mitarbeiter. Die finanzielle Lage sei als „deutlich angespannt zu bewerten“. Insider berichten über laufende Gespräche mit den kreditgebenden Banken. Es ist die Rede von einem „Standstill Agreement“, also einer Vereinbarung zwischen Gläubigern und Schuldnern, vorübergehend auf die Schuldentilgung zu verzichten. 


Verschlossener Windkonzern
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