Energiemarkt Die Ölkonzerne stehen vor ihrer größten Herausforderung

In der Ölindustrie trifft derzeit ein Überangebot auf eine geringe Nachfrage.
Düsseldorf Nur vier Jahre nach der letzten Krise steht die einst „Big Oil“ getaufte Branche vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die Gewinnmaschinerie der Rohstoffriesen ist ins Stottern geraten. Und zwar so sehr, dass selbst der Chef des umsatzstärksten Ölkonzerns der Welt es nicht mehr beschönigen kann.
„Der Kraftstoffverbrauch bleibt langfristig niedriger als vor der Krise, auch wenn die Corona-Pandemie überstanden ist. Es wird eine permanente Delle für viele Jahre bleiben“, sagte Shell-Chef Ben van Beurden vor wenigen Tagen im Interview mit dem Ölmarktexperten Daniel Yergin.
Hohe Verschuldung, niedrige Rohstoffpreise und der Druck, stärker auf erneuerbare Energien zu setzen, belasten die Branche schon länger. Doch durch die Coronakrise verschärfen sich all diese hausgemachten Probleme und stellen „Big Oil“ besonders auf den Prüfstand.
Die Großkonzerne stehen dabei vor einer grundsätzlichen Herausforderung: Bei einem Ölpreis von aktuell knapp 40 Dollar pro Barrel der Nordseemarke Brent ist fast die Hälfte der weltweiten Ölvorkommen zu teuer, um gewinnbringend aus der Erde geholt zu werden. Zwar gehen Experten davon aus, dass die Preise langfristig wieder steigen. Um wie viel, ist allerdings umstritten. Eine Gefahr, die auch die ersten Multis nicht mehr ignorieren können.
Der britische Ölriese BP hat seine langfristige Preiskalkulation deswegen schon nach unten korrigiert – auf 55 Dollar pro Barrel Brent bis 2050. Vor ein paar Monaten rechnete das Londoner Unternehmen noch mit einem Durchschnittspreis von 70 Dollar für die kommenden 20 Jahre.
Für BP bedeutet das 17,5 Milliarden Dollar an Abschreibungen im zweiten Quartal. Auch Shell hat seine Preise angepasst und muss 15 bis 22 Milliarden Dollar abschreiben. US-Konkurrent Chevron hatte bereits im November eine Bilanzanpassung vorgenommen, die eine Abwertung von knapp elf Milliarden Dollar nach sich zog.
Nachfrage dürfte langfristig niedrig bleiben
„Und andere werden folgen“, ist sich Ölexperte Walter Pfeiffer vom Beratungsunternehmen Roland Berger sicher. „Die Ölkonzerne sind in keiner einfachen Situation. Durch die Gefahr einer zweiten Virus-Welle scheint der Nachfrageeinbruch länger anzuhalten als gedacht“, erklärt Pfeiffer den radikalen Schritt der Konzerne.
Seit dem Ausbruch der weltweiten Coronakrise sieht sich die Ölindustrie einem noch nie da gewesenen Problem gegenüber: Da Industrie und Verkehr in vielen Ländern drastisch heruntergefahren wurden, brach die Nachfrage nach der wichtigsten Energiequelle der Welt plötzlich ein. Zwar nährte die Vereinigung der erdölfördernden Länder und Russland, die sogenannte Opec-plus-Allianz, erst in der vergangenen Woche die Hoffnung, dass die Förderkürzungen um 9,7 Millionen Barrel pro Tag ab August schrittweise zurückgenommen werden könnten.
Gleichzeitig warnte die Internationale Energieagentur (IEA) jedoch, dass die Pandemie auch weiterhin „einen Schatten auf den Ausblick“ für den globalen Ölmarkt wirft. „Die große und in einigen Ländern steigende Zahl der Covid-19-Fälle ist eine verstörende Erinnerung daran, dass die Pandemie noch nicht unter Kontrolle ist“, warnten die IEA-Experten.
Die Folgen bekommt nun eine Ölindustrie zu spüren, die schon vor Corona unter Druck stand. Die Preise für Öl und Gas waren extrem niedrig. Denn schon vor der Krise produzierten die Unternehmen mehr Öl und Gas, als die Welt verbrauchte. Zu viel Öl auf dem Markt drückt den Preis, der pro Barrel der Sorte Brent schon im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent gefallen ist.
Noch schlimmer sieht die Situation auf dem Gasmarkt aus. Besonders stark trifft es das Flüssigerdgas, kurz LNG (Liquefied Natural Gas). Hier fielen die Preise 2019 sogar um fast 40 Prozent.
Der Schlagabtausch zwischen den beiden Ölfördergiganten Saudi-Arabien und Nordamerika verschärfte die Situation zunehmend. Die Preise für Rohöl fielen weiter. Als dann aufgrund von Corona erst die Nachfrage in China einbrach und schließlich im Rest der Welt, traf das die Ölpreise massiv. Im April stürzte der Preis für US-Öl am Terminmarkt sogar zum ersten Mal in der Geschichte ins Minus. Seitdem folgt auf eine Schocknachricht die nächste.
So entschied sich Branchenriese Shell zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges dafür, seine Gewinnausschüttung zu kürzen. Die Investoren sollen eine Quartalsdividende von 0,16 Dollar erhalten – zwei Drittel weniger als zuletzt. BP kündigte an, 10.000 seiner insgesamt 70.000 Stellen weltweit zu kürzen und verkaufte gleich seine gesamte Petrochemiesparte im Wert von zehn Milliarden Dollar, um Geld in die Kasse zu bekommen.
Rekordschulden im zweiten Quartal
Insgesamt nahmen die sieben größten Ölkonzerne – Shell, Exxon Mobil, Chevron, BP, Total, Equinor und Eni – im zweiten Quartal 60 Milliarden Dollar Schulden auf. Das ist das Ergebnis einer Auswertung der US-Datenagentur Refinitiv. Damit stehen die Konzerne gemeinsam für fast die Hälfte aller Neuschulden in der globalen Öl- und Gasbranche.
Das meiste Geld lieh sich BP mit 16 Milliarden Dollar. „BP steht gerade besonders schlecht da“, sagt Branchenexperte Parul Chopra von der Energieunternehmensberatung Rystad Energy. Nach dem Unglück auf der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko im Jahr 2010 muss BP bis heute einen milliardenschweren Schuldenberg abbezahlen.
„Deswegen haben sie damals viele Projekte um ein paar Jahre verschoben, aber ab 2014 weiter verfolgt“, erklärt Chopra die Sonderstellung des britischen Konzerns. „Dafür hat BP neue Schulden aufgenommen, weil man langfristig mit einem höheren Ölpreis gerechnet hat. Einige Projekte sind erst 2019 gestartet. Und dann kam Corona.“
Aber auch bei den anderen Ölkonzernen ist die Lage angespannt. Zwar haben die „Supermajors“ die letzte Krise genutzt, um ihre Produktionskosten radikal zu senken und unprofitable Konzernteile abzustoßen. Laut der US-Bank Goldman Sachs haben sich die Kosten der großen Fünf seit 2013 so halbiert.
„Uns geht es nicht um Volumen, sondern um Qualität“, wiederholen BP-Chef Bernard Looney und Shell-CEO van Beurden bei jeder Gelegenheit. „40 Dollar pro Barrel sind zwar kein Vergnügen, aber es gibt einige Öl- und Gas-Portfolios, die auch damit schon profitabel arbeiten“, ist Experte Pfeiffer überzeugt.
Anders sieht es allerdings bei den nordamerikanischen Fracking-Unternehmen aus. Obwohl sich auch der Kurs für die US-Ölsorte WTI mit rund 42 Dollar je Barrel mittlerweile etwas erholt hat, befinden sich viele der hochverschuldeten Schieferölunternehmen in einer finanziell prekären Situation.
Seit dem Fracking-Boom 2012 haben sie sich in der Hoffnung auf einen steigenden Ölpreis immer mehr Schulden aufgeladen, um die aufwendige und teure Fördermethode zu finanzieren. Aber nach dem Preis-Crash von 2014 fehlt vielen jetzt das finanzielle Polster, um auch eine zweite Krise zu überstehen.
Mehr als 20 nordamerikanische Ölproduzenten haben in diesem Jahr laut US-Anwaltskanzlei Haynes & Boone schon Konkurs angemeldet. Weitere werden folgen, wenn die Ölpreise auf dem derzeitigen Niveau bleiben.
Trotz Sparkurs nutzen daher einige der großen Ölkonzerne die Chance und gehen auf Einkaufstour. Erst am Montag verkündete Chevron, seinen heimischen Konkurrenten Noble Energy für fünf Milliarden Dollar zu übernehmen. Inklusive der hohen Verschuldung des texanischen Unternehmens beläuft sich der Wert der Transaktion sogar auf 13 Milliarden Dollar.
Es ist die größte Übernahme in der Branche, seit die Corona-Pandemie die Industrie in Schockstarre versetzt hat. Die Großen wird auch diese Situation nicht in die Knie zwingen, ist Pfeiffer überzeugt. „Aber der Wandel im Kerngeschäft wird jetzt in vielen Teilen anstrengender, weil die Unternehmen in einer schwierigen Situation sind“, räumt er ein.
Denn während die Ölgiganten von einer Krise in die nächste schlingern, steht die Energiewelt mitten im Wandel hin zu Erneuerbaren. Zwar wird der Energiebedarf der Welt weiter wachsen, aber die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen wird mit Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel zurückgehen – das wissen auch die Ölkonzerne. Sprach man früher von dem sogenannten „Peak Oil“, also dem Ende der natürlichen Ölvorkommen, redet die Industrie heute nur noch vom „Peak of demand“, dem Ende des Nachfrage-Booms.
Druck auf europäische Ölkonzerne
Während die US-Ölkonzerne wie Exxon Mobil und Chevron sich immer noch auf die fossile Rohstoffförderung konzentrieren, steht die Konkurrenz in Europa unter deutlich mehr Druck, ihr Geschäft auf CO2-freundlichere Energieformen umzustellen. Shell, BP, Total, der italienische Eni-Konzern und die norwegische Equinor haben deswegen angekündigt, bis 2050 komplett klimaneutral zu werden.
Dabei wird zwar weiter Öl und Gas gefördert, aber es sollen eben auch Milliarden in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen. An den Themen grüner Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und Bioenergie sind die Ölmultis besonders interessiert.
Erst in der vergangenen Woche legte Fuels Europe, der Verband der europäischen Mineralölwirtschaft, dafür sogar ein Konzept in Brüssel vor. „Spätestens bis 2050 könnte jeder Liter flüssiger Kraftstoff für den Verkehr netto klimaneutral sein und so die Defossilisierung des Luft-, See- und Straßenverkehrs ermöglichen“, sagte Fuels-Europe-Chef John Cooper. Für den Wandel zur Klimaneutralität sind Investitionen von bis zu 650 Milliarden Euro geplant.
„Während Ölunternehmen aus den USA ihre langfristige Strategie noch nicht angepasst haben, handeln europäische Ölkonzerne proaktiv und reden offen über den Wandel hin zu Erneuerbaren“, beobachtet auch Rystad-Analyst Chopra. Einen großen Unterschied werde man zwischen den Milliardenkonzernen in den nächsten Jahren trotzdem nicht bemerken.
„Alle großen Player haben viele Projekte in der Pipeline und auch nicht vor, das so schnell zu ändern“, sagt der Experte. Schließlich seien es sehr große Unternehmen, „und der Wandel wird viel Zeit in Anspruch nehmen.“
Mehr: Chinas Ölreserven werden zum Machtfaktor an den Märkten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Ohne Oel wird es in den naechsten Jahrzehnten nicht gehen und die Verbraucher muessen
zahlen, was die Produzenten verlangen. Ich gehe davon aus dass die Oelanbieter die
Preise auf ein vernuenftiges (hoeheres) Niveau bringen - sie muessen sich zusammenraufen und werden das auch tun.
Ohne Oel wird es in den naechsten Jahrzehnten nicht gehen und die Verbraucher muessen
zahlen, was die Produzenten verlangen. Ich gehe davon aus dass die Oelanbieter die
Preise auf ein vernuenftiges (hoeheres) Niveau bringen - sie muessen sich zusammenraufen und werden das auch tun.