Energiewirtschaft Ärger für RWE: Konkurrenten gehen gegen Milliarden-Entschädigung für Kohleausstieg vor

RWE hat sich mit der Bundesregierung auf ein Ende der Kohleförderung geeinigt – und erhält dafür 2,6 Milliarden Euro Entschädigung.
Düsseldorf Der Kohleausstieg in Deutschland bekommt ein juristisches Nachspiel – und speziell für RWE könnte das teuer werden. Eine Gruppe von einflussreichen Konkurrenten geht nach Informationen des Handelsblatts gegen die im vergangenen Jahr mit dem Bund ausgehandelte Entschädigung für den Ausstieg aus der Braunkohleförderung und -verstromung vor.
In einem ersten Schritt haben sich die Unternehmen, darunter einige der größten deutschen Regionalversorger, an die EU-Kommission gewandt. Sie sehen in den 2,6 Milliarden Euro, die RWE zugesagt wurden, eine Wettbewerbsverzerrung und fordern die EU-Kommission auf, die Zahlungen im Rahmen der beihilferechtlichen Prüfung zu stoppen. Eines der Schreiben liegt dem Handelsblatt vor.
In einem zweiten Schritt behalten sich die Unternehmen auch Klagen gegen die Kompensation vor, sollte die EU-Kommission die Vereinbarung doch billigen, wie es in Kreisen der beteiligten Unternehmen hieß. „Endet das Beihilfeverfahren mit einer Freigabe, sind eine Nichtigkeits- und eine Konkurrentenklage denkbar. Diese Optionen wären dann zu prüfen“, sagte Anwältin Ines Zenke von der Kanzlei Becker Büttner Held, die einzelne Versorger in der Sache vertritt, auf Anfrage.
Die Intervention der Kommunalversorger ist brisant – schließlich hat die EU-Kommission selbst schon Anfang März Bedenken an der Vereinbarung zum Braunkohleausstieg geäußert und ist in eine vertiefte Prüfung eingestiegen.
Dabei stehen nicht nur für die Konzerne, neben RWE ist auch das ostdeutsche Braunkohleunternehmen Leag betroffen, Milliardensummen auf dem Spiel. Auch die mühsam ausgehandelte Einigung zum Ausstieg aus der Braunkohle insgesamt hängt an den finanziellen Modalitäten. Der dazu geschlossene Vertrag könnte hinfällig werden.
Der Ausstieg aus der Kohleförderung und -verstromung in Deutschland war im vergangenen Sommer von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet sein. Die ersten Kraftwerke sind aber bereits vom Netz, und nach und nach werden immer mehr Kraftwerke und auch die damit verbundenen Tagebaubetriebe ihren Betrieb einstellen.
Während Steinkohlekraftwerke über Auktionen aus dem Markt gedrängt werden, wurde mit den Braunkohleunternehmen ein umfangreicher Vertrag geschlossen, der erst vor wenigen Wochen unterzeichnet wurde. Insgesamt erhalten die Braunkohleunternehmen 4,35 Milliarden Euro. Der Ausstieg aus der Braunkohle ist komplexer als der aus der Steinkohle, weil das Abschalten der Kraftwerke mit dem Zurückfahren der Förderung und der anschließenden Rekultivierung der Tagebauflächen koordiniert werden muss.

Der Stromproduzent hat die erneuerbaren Energien inzwischen zum Kerngeschäft gemacht.
RWE weist Vorwürfe der Konkurrenten zurück: „Die Entschädigung in Höhe von 2,6 Milliarden Euro für RWE liegt deutlich unterhalb des uns tatsächlich entstehenden, durch Gutachten belegten Schadens“, erklärte ein Sprecher.
Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage, „dass die Entschädigungszahlungen an die Betreiber von Braunkohlekraftwerken und Steinkohlekraftwerken rechtlich zulässig und angemessen sind“. Die EU-Kommission prüfe „ergebnisoffen“, ob sie auch bei der Braunkohle mit dem Beihilferecht im Einklang stünden. Die Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens sei „bei komplexen Materien ein üblicher Schritt“. Die Bundesregierung werde sich in das Verfahren „konstruktiv und engagiert“ einbringen.
Die Kommunalversorger bezeichnen die Entschädigung an RWE in dem Schreiben dagegen „aus beihilfe- wie wettbewerbsrechtlicher Sicht“ als „unzulässig“. Die Unternehmen sehen „in der Stromerzeugung ohnehin bereits erhebliche Wettbewerbsnachteile zur marktbeherrschenden RWE“. Diese würden sich „nochmals verschärfen“, weil der RWE-Konzern mit den Entschädigungen aus dem Braunkohleausstieg seine Kraftwerksparks umbauen könne.
RWE hat sich neue Machtposition aufgebaut
Hintergrund der Beschwerde: RWE hat durch den Deal mit Eon eine neue Machtposition bei der Stromproduktion erlangt. RWE gab bei dem Tauschgeschäft zwar die Tochter Innogy an Eon, aber nur mit den Sparten Vertrieb und Netz. RWE selbst verleibte sich die erneuerbaren Energien von Innogy ein und auch die Aktivitäten, die bisher Eon gehörten. Damit steigt RWE zu einem großen Spieler bei den erneuerbaren Energien auf, nachdem der Stromproduzent durch den Atomausstieg und den Bedeutungsverlust der Kohlekraftwerke in Schieflage geraten war.
Nach Auffassung der Kommunalversorger, die ihrerseits in erneuerbare Energien investieren, hat sich RWE durch den Deal mit Eon bereits eine enorme Machtstellung gesichert. Dadurch, dass der ohnehin fällige Kohleausstieg mit milliardenschweren Entschädigungen begleitet wird, werde RWE nun zusätzlich - und unzulässig – gestärkt, argumentieren sie.
Bei der EU-Kommission dürften die Argumente auf Interesse stoßen. Die Behörde leitete Anfang März eine „eingehende Untersuchung“ ein, um zu prüfen, ob die von Deutschland geplanten Entschädigungszahlungen für die vorzeitige Stilllegung von Braunkohlekraftwerken mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen. Die EU-Kommission müsse sicherstellen, „dass der Ausgleich, der den Anlagenbetreibern für den vorzeitigen Ausstieg gewährt wird, auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt wird“, sagte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager: „Die uns bisher zur Verfügung stehenden Informationen erlauben es uns nicht, dies mit Sicherheit zu bestätigen. Daher leiten wir dieses Prüfverfahren ein.“
Im Gegenteil: Die EU-Kommission äußerte „Zweifel an der Vereinbarkeit der Maßnahme mit den EU‑Beihilfevorschriften“. Sie räumte Deutschland und Dritten das Recht zur Stellungnahme ein.
Experten stützen die Kritik an der Höhe der Entschädigungen
Genau das machen die Wettbewerber von RWE mit ihrem Schreiben. Sie wenden sich ausdrücklich gegen die Zahlungen an RWE und nicht gegen die an Leag, weil sie RWE als direkten Konkurrenten betrachten. Den Kohleausstieg an sich begrüßen sie zwar und halten sogar eine Kompensation im bestimmten Rahmen für legitim, solange „schützenswerte Investitionen“ entschädigt würden. „Die von der Bundesregierung für den mit Abstand größten deutschen Stromerzeuger RWE vorgesehenen Zahlungen für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung stellen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts eine Beihilfe dar, für die es keine Rechtfertigung gibt“, heißt es in dem Schreiben aber. Die Summe sei auf „intransparentem Verhandlungswege“ ermittelt worden und „insgesamt in ihrer Höhe unangemessen“.
Die Annahmen zu entgangenen Gewinnen, für die RWE entschädigt werde, seien unrealistisch, kritisieren die Konkurrenten. Sie verweisen unter anderem auf die steigenden Preise für Emissionszertifikate, durch die der Betrieb von Braunkohlekraftwerken ohnehin unrentabel würde. Letztlich werde RWE bei der Transformation vom Kohlekonzern zum Produzenten von erneuerbaren Energien unterstützt, um „einen Energiechampion ,made in Germany'“ zu fördern, heißt es.
In ihrer Kritik an den Entschädigungszahlungen können sich die Kommunalversorger auf Experten stützen wie Felix Matthes vom Öko-Institut. Matthes hatte bereits im vergangenen Sommer, als die Details des Kohleausstiegs bekannt geworden waren, die Vereinbarung zur Braunkohle in einem ausführlichen Gutachten kritisiert. Darin bezeichnet er Pauschalentschädigungen für Braunkohlekraftwerke als „intransparent zustande gekommen“ und „nicht sachgerecht“. Je nachdem, wie hoch man die Umbaukosten für die Tagebaue ansetze, könnte die Entschädigung für RWE um fast eine Milliarde Euro zu hoch gegriffen sein. Im Fall der Leag sei die Entschädigung auf jeden Fall zu hoch angesetzt – um rund eine Milliarde Euro.

Ende des Monats übergibt der Vorstandsvorsitzende von RWE die Führung des Energiekonzerns an den Finanzvorstand.
Selbst Johannes Teyssen kritisierte kurz vor seinem Abschied als Eon-Chef jüngst die Modalitäten des Kohleausstiegs. Im Interview mit dem Handelsblatt bezeichnete er den Kohleausstieg als „ziemlich teuer“. „Die CO2-Preise werden die Kohlekraftwerke von allein sehr schnell unwirtschaftlich machen“, sagte er. Die Kohle habe sich „so oder so erledigt“.
Die Kommunalversorger, die sich an die EU-Kommission gewandt haben, gehören zu der Gruppe von elf Unternehmen, die auch gegen die Transaktion von Eon und RWE vorgehen. Die Versorger wehren sich gegen die Freigabe des Deals durch die EU-Kommission und haben beim Europäischen Gericht Nichtigkeitsklagen eingereicht.
Diese Klage hatten Eon und RWE bislang locker gesehen. Die Intervention in Sachen Kohleausstieg hat für RWE aber eine neue Qualität, weil die EU-Kommission bereits Bedenken hat – auch wenn sich der Konzern nach außen hin noch gelassen gibt: Die Prüfung durch die EU-Kommission sei von allen Beteiligten so erwartet worden, erklärte der RWE-Sprecher. Im Vertrag seien Klauseln vorgesehen auch für den Fall, dass die Kommission beihilferechtliche Bedenken hat. „Wir sind jedoch optimistisch im Hinblick auf unsere Schadensposition.“
Dabei wollte Deutschlands größter Stromkonzern eigentlich in diesen Tagen seine Transformation perfekt machen. Ende des Monats übergibt Konzernchef Rolf Martin Schmitz die Führung an den bisherigen Finanzvorstand Markus Krebber. Schmitz betonte zuletzt wiederholt stolz, dass er mit dem Eon-Deal RWE nicht nur eine neue Perspektive eröffnet habe, sondern nach dem Atom- nun auch der Kohleausstieg besiegelt sei.
Jetzt sieht es aber so aus, als habe Markus Krebber ein schwer zu kalkulierendes juristisches Risiko übernommen.
Mehr: So gefährdet die Regierung mit falschen Prognosen Deutschlands Energiezukunft.
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