Esforin „Eine Art negatives Kraftwerk“ – Wie eine flexible Stromvermarktung bei der Energiewende helfen soll

Deutschland hat noch Probleme damit, überschüssigen Strom zu speichern. In der Energiewirtschaft gibt es verschiedene Ansätze, um diese Herausforderung zu lösen.
München Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es ein zentrales Problem: Manchmal steht Strom aus Wind- und Sonnenkraft im Überfluss zur Verfügung, während die Nachfrage gering ist. Zu anderen Zeiten ist es dann genau umgekehrt. Noch gibt es nicht ausreichend Speicher für den Ausgleich.
Esforin (Energy Services for Industry) ist angetreten, um das Problem zumindest teilweise zu lösen. Das Unternehmen, sagt Gründer Christian Hövelhaus, steuere intelligent und vollautomatisiert die Nachfrage zwischen der Industrie, der Strombörse und den Erzeugern.
Das Essener Unternehmen ist auf die Algorithmus-gesteuerte Flexibilitätsvermarktung von Strom spezialisiert. Sind die Netze voll und überlastet, kauft Esforin günstig Strom für seine Industriekunden. Die können dann automatisiert zum Beispiel Öfen und Anlagen kurzzeitig etwas stärker hochfahren – und wieder etwas runter, wenn die Strompreise anziehen.
Die Direktvermarktung für die Erzeuger sieht etwa so aus: Ein Anlagenbetreiber übermittelt die geplante Produktion für den Folgetag. Esforin übernimmt die Einspeiseprognosen, den Marktzugang und die Rechnungsstellung und erhält eine Erfolgsbeteiligung für die Mehrerlöse. Zu den Kunden gehören zum Beispiel Stadtwerke.
Ein weiterer Nutzer der Esforin-Plattform ist beispielsweise der Papierkonzern UPM. „Als Papierhersteller zählen wir zur energieintensiven Industrie“, sagte UPM-Westeuropa-Director Rainer Häring dem Handelsblatt.
Daher habe der Konzern für seine sechs deutschen Werke schon bislang alle Flexibilisierungsmöglichkeiten genutzt, die im Rahmen der Produktionsprozesse möglich sind. Über Esforin könne UPM jetzt noch deutlich kurzfristiger Strom abgeben oder zukaufen, wenn sich ungeplant Abweichungen zwischen erwartetem und tatsächlichem Strombedarf ergeben.

Das Essener Unternehmen versteht sich als intermediäre Ebene zwischen Industriekunden und Erzeugern.
Gibt es kurzfristig Knappheiten in der Energieerzeugung – und damit hohe Preise –, kann UPM zudem die Papierwerke kurzfristig etwas herunterfahren und eigene Stromkapazitäten abgeben. Damit unterstütze man die Stabilität der Netze und so wiederum die Energiewende. „Wir sind eine Art negatives Kraftwerk und können kurzfristig CO2-freie Leistung zur Verfügung stellen.“ Denn andernfalls müssten konventionelle Kraftwerke hochgefahren oder ausgebaut werden, um den Bedarf anderer Nutzer zu den Spitzenzeiten zu decken.
Für Hövelhaus ist das Geschäftsmodell eine „Win-win-Situation für alle Beteiligten“. Die Erzeuger fänden über die Strombörse rein marktpreisorientiert Abnehmer in Momenten, in denen die Nachfrage eigentlich gering ist. Die Industrie wiederum könne einkaufen, wenn der Strom am billigsten ist. „Die Industrie kann als eine Art Speicher dienen“, sagt Hövelhaus.
Verschiedene Ansätze in der Branche
In der Energiewirtschaft gibt es viele Ansätze, um die Schwankungen zu stabilisieren. So bietet EWE zum Beispiel die Stromvermarktung „Vario“ an. Die Betreiber von Biogasanlagen können sich an ein virtuelles Kraftwerk anschließen und ihren Strom als Minutenreserve oder Sekundärregelenergie anbieten.
Der Umsatz von Esforin – dieser umfasst auch die vermittelten Erlöse – sei in den vergangenen Jahren prozentual jeweils mindestens zweistellig auf zuletzt mehr als 100 Millionen Euro gewachsen. In diesem Jahr wolle man „in Richtung 200 Millionen wachsen“.
In den nächsten drei bis fünf Jahren wolle das Unternehmen auf einen Umsatz von 600 bis 800 Millionen Euro kommen, kündigt der Gründer und CEO im Gespräch mit dem Handelsblatt an. „Wir sehen unbegrenztes Wachstumspotenzial.“ Auch langfristig ist er optimistisch. „Irgendwann wird es auch in den Milliardenbereich gehen.“ Die Finanzierung der Pläne sei gesichert – ein Börsengang aber eine Option.
Schließlich bietet das Umfeld in den kommenden Jahren Chancen. Die Energiewende und der bevorstehende Wechsel zur Elektromobilität bedeuten einen Stresstest für die Stromnetze in Deutschland. Die Steuerung der sensiblen Infrastruktur wird in den nächsten Jahren deutlich komplizierter werden.
Schon heute werden die Grenzen immer wieder berührt. So stand die Stromversorgung in Europa Anfang des Jahres kurz vor dem Blackout. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien bringt Schwankungen in der Stromerzeugung und Belastungen der Netze mit sich, die von den Netzbetreibern beherrscht werden müssen“, wird im Netzentwicklungsplan gewarnt.
Intraday-Handel soll Engpässen bei der Kapazität entgegenwirken
Zu den möglichen Gegenmaßnahmen zählt die Agora-Studie „Klimaneutrales Deutschland“ unter anderem einen Ausbau des Lastmanagements der Industrie, um den Stromverbrauch zeitlich zu verlagern, indem kurzzeitige Lastspitzen gemindert und Erzeugungsspitzen durch erneuerbare Energien besser genutzt werden.
Hier kommt unter anderem Esforin mit seinen automatisierten Systemen ins Spiel. Das Unternehmen bietet unter anderem permanenten algorithmischen Intraday-Handel. Mit mehr als zwei Millionen Trades im Jahr 2020 an der Strombörse EpexSpot sieht sich das Unternehmen als führenden Anbieter.
Im Industriebereich sieht Esforin derzeit nach Einschätzung von Hövelhaus keine Konkurrenten. Große Versorger und Stadtwerke würden teilweise den Intraday-Handel selbst betreiben. Da fehle dann aber ein unabhängiger Dienstleister zwischen Anbieter und Kunde.
Hövelhaus hatte vor der Gründung unter anderem bei einer Unternehmensberatung gearbeitet, bei RWE das Strategie- und M&A-Geschäft mitverantwortet und natGAS mit aufgebaut. Er sagt selbstbewusst: „Ich habe Erfahrung darin, wie man ein Unternehmen auf die Liberalisierung der Energiemärkte ausrichtet.“
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