Großdemos in Duisburg und Berlin: Stahlarbeiter kochen vor Wut
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Großdemos in Duisburg und BerlinStahlarbeiter kochen vor Wut
Duisburg bläst in die Pfeife: Tausende Arbeiter demonstrieren am größten Stahlstandort Europas. Das Thyssen-Krupp-Management unterstützt den Protest. Doch letztlich müssen auch die Unternehmen ihre Hausaufgaben machen.
Duisburg/Düsseldorf Tausende Stahlarbeiter sind am Montag für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße gegangen. Am größten europäischen Stahlstandort in Duisburg zogen die Beschäftigten von Thyssen-Krupp mit Trillerpfeifen und Gewerkschaftsfahnen vor die Hauptverwaltung des Unternehmens. Auf Transparenten wie etwa „Sauberer Stahl ist unsere Zukunft“ forderten sie den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
Es ist eine ungewöhnliche Allianz, die die äußere Bedrohung aus China und der EU da zusammengeschmiedet hat: Stahlkocher, Gewerkschafter, Arbeitgeber. „Von uns wird der komplette Vorstand dabei sein, auch Manager von anderen Unternehmen“, heißt es bei Thyssen-Krupp in Duisburg. So hat Deutschlands größter Stahlkonzern seine Lieferanten und Kooperationspartner in internen Schreiben aufgefordert, sich an den Protesten zu beteiligen. „Machen Sie mit, zeigen Sie Flagge“, heißt es in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. „Je mehr wir sind, desto stärker werden wir wahrgenommen.“
Es gibt nur wenige Branchen, die so eng mit dem Rest der Wirtschaft verflochten sind wie die Stahlindustrie. Auf einen Euro Verlust, den Thyssen-Krupp & Co schreiben, entfallen acht Euro auf andere Branchen.
Die größten Stahlhersteller der Welt
Der mit Abstand größte Stahlproduzent der Welt ist Arcelor-Mittal. Der Konzern mit europäischen und indischen Wurzeln stellte 2015 gut 97 Millionen Tonnen Stahl her.
Quelle: World Steel Association
Der zweitgrößte Hersteller kommt aus China: Die Hebei Iron and Steel Group stellte 2015 rund 47,8 Millionen Tonnen Stahl her. Auch dieser Konzern ging aus einer Fusion hervor, die Unternehmen Tangsteel und Hansteel schlossen sich 2008 zusammen.
Auf Platz drei abgerutscht ist der japanische Konzern Nippon Steel & Sumitomo Metal. Die beiden japanischen Hersteller hatten sich im Oktober 2012 zusammengeschlossen und kamen 2015 zusammen auf ein Produktionsvolumen von 46,3 Millionen Tonnen Stahl, knapp 3 Millionen weniger als im Vorjahr.
Mit einer Produktion von rund 42 Millionen Tonnen Stahl ist Posco der viertgrößte Hersteller. Das Unternehmen ist der größte südkoreanische Anbieter und macht viele Geschäfte mit China.
Auf Platz fünf folgt ein weiterer chinesischer Konzern: Baosteel Group. Das Unternehmen mit Sitz in Shanghai produzierte knapp 35 Millionen Tonnen Stahl. Schlagzeilen machte der Hersteller im Jahr 2000 mit seinem Börsengang, der damals in China Rekorde brach.
Im Vergleich zu Arcelor-Mittal, Hesteel & Co. ist Thyssen-Krupp ein Leichtgewicht. 2015 ging es für den größten deutschen Stahlproduzent mit einer Produktion von 17,3 Millionen Tonnen aber immerhin drei Plätze hinauf auf Rang 16. Ähnlich viel produziert der Konkurrent Gerdau aus Brasilien (17 Millionen Tonnen).
Das gilt vor allem für die Arbeitsplätze: So rechnen die Wirtschaftsforscher von Prognos mit einem Verlust von 380.000 Jobs im gesamten Bundesgebiet, sollten allein die Klimaschutzregeln der EU – wie bislang geplant – ab den Jahren 2020/21 verschärft werden. Rund 250.000 dieser Stellen kämen allein aus dem Dienstleistungssektor, da weniger konsumiert oder transportiert werden würde. Die Stahlbranche würde im Jahr 2030 mit 24.000 Beschäftigten gegenüber knapp 90.000 derzeit zur Randgröße schrumpfen, so ein Ergebnis der Studie.
Das zu verhindern, führte zumindest für einen Tag zum großen Schulterschluss. „Wir konzentrieren uns auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen“, sagte Heiko Reese, Leiter des Stahlbüros der IG Metall in Düsseldorf. Daher die Proteste gegen Dumpingstahl aus China, zusätzliche Belastungen durch den Emissionsrechtehandel und die Beibehaltung des Eigenstromprivilegs im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). „Dann sehen wir durchaus eine leistungsfähige Stahlindustrie in Deutschland.“
Schließlich gehören die deutschen Hütten zu den produktivsten und energieeffizientesten Werken in Europa und dürften von der Forderung der IG Metall und der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dass zehn Prozent der besten Anlagen komplett mit freien Emissionszertifikaten ausgestattet werden sollten, überproportional profitieren.
Auch wenn die Bundesregierung vor allem in der Person von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Verständnis für die Position der Branche und seine Unterstützung zugesagt hat – Branchenexperten gehen trotzdem davon aus, das die Stahlindustrie an einer Konsolidierung und weiteren Spezialisierung in Europa nicht vorbeikommt. Schutzmaßnahmen wie eine Erhöhung der Importzölle könnten ihr nur vorübergehend Luft verschaffen, sagte Nils Naujok von der Unternehmensberatung „Strategy&“. Auch deshalb laufen derzeit die Spekulationen heiß, wer mit wem zusammen gehen könnte, um effizienter zu arbeiten und die Kosten zu senken.
Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Stahlsparte von Thyssen-Krupp, mit einer Kapazität von 15 Millionen Tonnen Deutschlands größter Stahlkocher. Für Konzernchef Heinrich Hiesinger, der sich mittelfristig gern von der Stahltochter trennen möchte, bieten sich zwei Optionen an, die derzeit intensiv durchgespielt werden: Eine strategische Allianz mit dem indischen Tata-Konzern, der am Montag den Verkauf eines ersten Stahlwerks in Großbritannien bekanntgab und sich auf den produktivsten Standort Europas in Ijmuiden an der niederländischen Küste konzentrieren will. Oder die alte Idee einer Deutschland AG mit Salzgitter, die aber nur mit dem Segen der Politik zu verwirklichen ist, da das Land Niedersachen gut 26 Prozent an der Nummer Zwei in Deutschland hält.
Für die Gewerkschaften wäre eine langfristige Übernahme der deutschen Thyssen-Krupp-Hütten durch Tata Steel nur mit erheblichen Zugeständnissen seitens des Konzernmanagements machbar. Schließlich gerieten ihre tradierten Mittbestimmungsrechte in Gefahr. Salzgitter wäre aus Sicht der IG Metall vermutlich die bessere Lösung. Vorrang vor allen Übernahme- und Kooperationsbestrebungen hätten Beschäftigungsgarantien und Standortsicherheit, ließ die Gewerkschaft schon mal vorausschauend wissen. Spätestens wenn konkrete Angebote auf dem Tisch liegen, dürfte die Allianz zwischen Belegschaft und Arbeitgebern deutliche Risse zeigen.