Hauptversammlung Schneller, diverser, internationaler – Was der neue Eon-Chef mit dem Energiekonzern vorhat

An diesem Mittwoch empfing zum ersten Mal der neue Eon-CEO Leonhard Birnbaum bei der Hauptversammlung die Aktionäre.
Düsseldorf Elf Jahre lang empfing Johannes Teyssen die Eon-Aktionäre am Tag der Hauptversammlung. Am Mittwoch gab nun der neue CEO Leonhard Birnbaum seine Premiere – und kündigte eine radikale Digitalisierung des Energiekonzerns an: „Wir können die Energiewelt von morgen nicht mit den Methoden von gestern steuern“, sagte Birnbaum auf der virtuellen Hauptversammlung. „Wir brauchen ein völlig neues, digitales ‚Betriebssystem der Energiewirtschaft‘. Und ich möchte, dass Eon eine solche Plattform baut – für sich und all unsere derzeitigen, aber auch künftigen Partner.“
Alle Prozesse sollen digital optimiert werden – im Vertrieb, aber auch in den Energienetzen. Die insgesamt 1,5 Millionen Kilometer langen Leitungen sollen zur intelligent gesteuerten Schaltzentrale für die Energiewende werden – und dem Konzern neue Umsätze bringen. Genau wie neue digitale Produkte für die mehr als 50 Millionen Kunden. Eon will dabei nach Birnbaums Worten mit Branchengrößen wie Microsoft, Google und SAP zusammenarbeiten, aber auch mit Start-ups.
Nach dem für Eon so harten letzten Jahrzehnt, als der Konzern von Atomausstieg und Energiewende gebeutelt und von Teyssen mehrfach umgebaut wurde, verspricht Birnbaum den Aktionären zum Antritt jetzt bessere Zeiten. „Wir stehen in der Energiewirtschaft vor Dekaden des Wachstums! Ich bin fest entschlossen, diese Chance beim Schopfe zu packen.“
Die Aktionäre werden die Botschaft gern hören – und ihre Umsetzung einfordern. Schließlich ist der Konzern, den Birnbaum übernommen hat, noch in einer schwachen Verfassung: Die Schulden sind hoch, das Eigenkapital ist schwach – und der Aktienkurs war in den vergangenen Jahren eine Enttäuschung.
Birnbaum sieht zwei zentrale Trends in der Energiewirtschaft: „Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“. Und während Eon bei der Energiewende lange hinterherlief und zu lange an der alten Energiewelt festhielt, soll der Konzern die grüne Energiezukunft jetzt in das Zentrum seiner Strategie stellen.
Präsentation vor den Top-100-Führungskräften
Diese Agenda skizzierte der neue Chef, der seit 2013 im Vorstand sitzt und im April den Vorsitz übernommen hat, nach Informationen des Handelsblatts vor zwei Wochen schon seinen Top-100-Führungskräften bei einer zweitägigen virtuellen Konferenz. „Wie können wir unser Potenzial freisetzen?“, lautete die zentrale Frage, die Birnbaum und der Vorstand aus ihrem Studio in der Essener Konzernzentrale den Führungskräften in Deutschland, England, Italien, Osteuropa und Skandinavien stellten.
Eon müsse schneller werden, agiler, diverser, internationaler – schließlich werde der Energiemarkt auch immer komplexer. Die Zeiten der großen Energiekonzerne, die Stromproduktion und -nachfrage regeln, sind schließlich vorbei. Strom wird inzwischen dezentral erzeugt, sogar von Privathaushalten, und immer mehr verbraucht – etwa durch die wachsende Zahl an Elektroautos.
Am ersten Tag ging es um die Herausforderung Nachhaltigkeit, eingeleitet mit einem Statement von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness. Der zweite widmete sich den Chancen der Digitalisierung für Eon. Als Gast war die Deutschlandchefin von Microsoft, Marianne Janik, geladen.
Schon 2018 holten die Essener mit Victoria Ossadnik Expertise aus dem Hause Microsoft zu Eon. Die 52-Jährige war zunächst Vorsitzende der Geschäftsführung von Eon Energie Deutschland und rückte im April mit Birnbaums Aufstieg in den Konzernvorstand vor. Zuvor war sie sieben Jahre lang für Microsoft tätig. Jetzt ist sie als COO für die Digitalisierung bei Eon zuständig.
Noch seien „Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“ Buzzwords, die erst noch mit Leben gefüllt werden müssen, kritisiert ein Manager. In den kommenden Monaten will Birnbaum die beiden Kernpunkte seiner Agenda aber mit Projekten, Zielen und Maßnahmen hinterlegen – und im Herbst den Aktionären seine neue Zukunftsstrategie dann endgültig und ausgearbeitet präsentieren.
Vor allem die Aktionäre lechzen nach neuen Wachstumschancen. Auf den ersten Blick hat Eon nach dem milliardenschweren Tauschgeschäft mit RWE schließlich wenig mit der Energiewende zu tun. Seither konzentriert sich der Konzern auf die Sparten Netz und Vertrieb und hat die grüne Stromproduktion abgegeben. „Aus Sicht des Kapitalmarkts ist Eon der klare Verlierer des Deals mit RWE und Innogy, weil ein Erfolg aus der strategischen Fokussierung auf das Netzgeschäft bisher nicht erkennbar ist. Herr Birnbaum, bringen Sie Eon zurück auf die Gewinnerstraße“, kritisiert Thomas Deser, Portfoliomanager bei Union Investment.
Tatsächlich sieht Birnbaum aber insbesondere die Netze als zentralen Profiteur der Energiewende mit großem Wachstumspotenzial. Jede zusätzlich produzierte Kilowattstunde grüner Strom wird nicht nur in Stromleitungen eingespeist, beim Management von Angebot und Nachfrage nehmen die Netzbetreiber auch eine zentrale Rolle ein. Allein in Deutschland hängen 50 Prozent der Erneuerbaren-Anlagen am Eon-Netz, wie Birnbaum betont. Allein bis 2023 soll das regulierte Netzgeschäft um jährlich vier bis fünf Prozent wachsen.
Wildbergers Abgang kam für Insider nicht überraschend
Aber auch die Sparte Kundenlösungen, wie Eon den Vertrieb nennt, soll von dem Trend zur Nachhaltigkeit profitieren. Industrie und Privathaushalte wollen und müssen ihren CO2-Ausstoß verringern, und Eon will seinen 50 Millionen Kunden dabei helfen. Dabei soll Eon konsequent digitale Prozesse nutzen, um die Gewinne zu steigern – im Netzgeschäft und im Vertrieb.
In Großbritannien migriert Eon derzeit beispielsweise die Kunden auf eine neue digitale Plattform, senkt dadurch die Kosten, steigert die Kundenzufriedenheit und bringt die Problemtochter zurück in die Gewinnzone. Auch in Deutschland sollen bis Ende des Geschäftsjahres 6,5 Millionen Kunden der Kernmarke auf eine neue digitale Plattform gehoben werden, bis Ende 2022 dann mehr als acht Millionen.
Auf den Mann, der die Digitalisierung im Vertrieb im vergangenen Jahr vorangetrieben hatte, muss Birnbaum aber verzichten: Vertriebsvorstand Karsten Wildberger gab vor einer Woche seinen Wechsel zur Ceconomy AG, der Muttergesellschaft der Elektronikmärkte Media Markt und Saturn, bekannt. Bei der internen Präsentation der Quartalszahlen gaben sich Birnbaum und Wildberger zwar harmonisch, wie Teilnehmer berichten: Letztlich sei Wildberger, der sich auch Hoffnung auf die Teyssen-Nachfolge gemacht hatte, aber doch zu ehrgeizig gewesen, um sich weiter mit seiner Rolle zu begnügen.
„Digitalisierung ist erfolgskritisch – auch für die Energiewende insgesamt“, sagte Birnbaum auf der Hauptversammlung: „Unsere Kapitalbasis wächst daher nicht nur mit dem Neuanschluss von Erzeugungsanlagen. Sie wächst auch, weil jedes neue Elektroauto, jede Wärmepumpe und jeder Batteriespeicher die Komplexität des Energiesystems erhöht.“ Deswegen seien Investitionen in eine digitale, weitgehend automatisierte Steuerung alternativlos.
Tatsächlich kann Eon neue Impulse gebrauchen. Teyssen hat den Konzern zwar neu ausgerichtet. Und er hat auch einige Baustellen geschlossen. Der Kernenergieausstieg ist endgültig geregelt, mit dem Streit um die fossilen Kraftwerke hat Eon schon seit der Abspaltung von Uniper nichts mehr zu tun. Der größte Problemfall, das schwer angeschlagene Vertriebsgeschäft in Großbritannien, hat den Turnaround geschafft.
Eon wurde durch die vielen Wendungen der Teyssen-Ära aber auch schwer geschwächt. Ende 2020 betrug das Eigenkapital nur noch neun Milliarden Euro – und damit 32 Prozent wenig als ein Jahr zuvor. Die Eigenkapitalquote war um fünf Prozentpunkte auf neun Prozent gesunken. Die Nettoschulden summierten sich auf 40,7 Milliarden Euro. Der Verschuldungsfaktor, der das Verhältnis zum Ebitda misst, lag mit 5,9 deutlich über der Zielgröße von 5,0.
Aber, so verspricht Birnbaum, jetzt gehe es aufwärts. Und tatsächlich fiel der Zwischenbericht für das erste Quartal schon gut aus. Der Verschuldungsfaktor soll bereits in diesem Jahr auf 4,8 bis 5,2 sinken.
Aktionärsvertreter fordern Impulse für den Kurs
Besonders kritisch schauen die Aktionäre aber auf den Aktienkurs. Während die RWE-Aktie seit März 2018, als das Tauschgeschäft mit Eon öffentlich wurde, um rund 60 Prozent kletterte, dümpelte die Eon-Aktie bis zum Jahreswechsel lange auf dem damaligen Niveau herum.
Erst seit März steigt der Kurs spürbar – offenbar weckt der Wechsel zu Birnbaum bei den Aktionären große Hoffnungen.
Die Gemengelage unter der Ära Teyssen, teils politisch bedingt, teils eigenverschuldet, „hat den Aktienkurs in dieser Zeit von einst 25 Euro nahezu halbiert. Jetzt ist es an Leonhard Birnbaum, der neu strukturierten Eon mit neuen Ideen zu mehr Geltung zu verhelfen“, forderte Winfried Mathes von der Deka Investment.
Eon müsse den Spagat zwischen einem hohen Investitionsniveau und der Einhaltung von Verschuldungsgrenzen schaffen, so Mathes. Deswegen brauche es jetzt neue, digitale Lösungen. „Die Konzentration auf Energieinfrastruktur und Kundenlösungen hat bisher keinen Börsenkursturbo gezündet.“
Auf der Hauptversammlung bedankte sich Birnbaum bei seinem Vorgänger, unter dem er viele Jahre als Vorstand diente, überschwänglich. Tatsächlich will Birnbaum nun vieles anders machen als der Mann, der nicht nur Eon elf Jahre lang führte und prägte, sondern auch die Energiewirtschaft.
Am Anfang des Führungskräftetreffens stand nicht die zukünftige Strategie, sondern ein Panel zur Unternehmenskultur. Es sei viel lockerer gewesen als in den Jahren unter Teyssen, berichtet ein Teilnehmer – und vor allem „keine Leo-Show“. Den Strategieprozess leitete Birnbaum zusammen mit Strategie- und Innovationschef Thomas Birr ein, das Kernthema Digitalisierung umriss er mit der neuen Vorständin Victoria Ossadnik. Bei Leitwolf Teyssen sei das längst nicht so offen gewesen, berichtet ein Teilnehmer.
Frischen Wind erhoffen sich auch die Aktionäre, damit wirklich eintritt, was Birnbaum den Anteilseignern verspricht: „Wir blicken gemeinsam mit Ihnen auf eine Dekade nachhaltigen Wachstums.“
Mehr: Eon im Bilanzcheck: Diese Baustellen hat der neue CEO von Vorgänger Teyssen übernommen
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