Holt Holding „Windparkprojekte frei erfunden“: Prozess gegen mutmaßlichen Millionenbetrüger Hendrik Holt beginnt

Justizbeamte führen Hendrik Holt in den Sitzungssaal.
Osnabrück Als Justizbeamte Hendrik Holt die Handschellen abnahmen und zur Anklagebank führten, stand der Nachweis seines Fleißes für alle gut sichtbar im Raum. Im großen Saal des Landgerichts Osnabrück hatten die Richter am Dienstagmorgen eine Wand aus Aktenordnern aufbauen lassen. Ihr Transport dürfte einen Kleinbus erfordert haben.
Holt begrüßte kurz seine Familie. Dann holte der Staatsanwalt Luft und ratterte mit hoher Geschwindigkeit den 80 Seiten starken Anklagesatz herunter. „Die Angeklagten wussten, dass die angeblichen Windparkprojekte frei erfunden waren“, sagte der Strafverfolger in seinem dreistündigen Vortrag. Sie hätten es auf Vorschusszahlungen großer Unternehmen abgesehen, um ihren luxuriösen Lebensstil zu finanzieren.
Holt ist der Hauptangeklagte in dem Prozess um den wohl größten Betrugsversuch, den die Windkraftbranche in den vergangenen Jahren erlebt hat. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 31-Jährigen aus dem emsländischen Haselünne vor, Energiekonzernen „mittels zahlreichen gefälschten Dokumenten“ Windkraftprojekte verkauft zu haben, die es nie gab.
Angeklagt sind auch Holts Mutter, seine Schwester, sein Bruder und der Finanzdirektor der Holt Holding, der Banker Heinz L. Das Quintett soll mehr als 1000 Unterschriften auf Gemeindeschreiben und Pachtverträgen gefälscht haben. Mit diesen Dokumenten sollen sie vorgegeben haben, über die begehrten Flächen und Genehmigungen zu verfügen.
Der Staatsanwalt trug immer wieder lange Listen mit falschen Flächennutzungsverträgen vor. Der angeklagte Bruder Holts hätte eigens für die Due-Diligence-Prüfungen der Konzerne digitale Datenräume mit den gefälschten Papieren bestückt. Die Angeklagten seien dabei sehr professionell vorgegangen, so der Staatsanwalt, den Konzernen sei nichts aufgefallen.

Die Polizeibeamten beschlagnahmten bei der Familie Holt zahlreiche Luxusautos, teure Uhren, Schmuck und Bargeld.
Die Ermittler sprechen von einem „ungewöhnlichen Maß krimineller Energie“. Dabei sei jeder Angeklagte zwingend auf die Tatbeiträge der anderen angewiesen gewesen. Während die Familienmitglieder damit beschäftigt waren, Dokumente zu fälschen, fuhren Holt und Heinz L. im Bentley durch die Bundesrepublik, um große Deals einzufädeln.
Sie kamen lange damit durch. Zu ihren Opfern gehören der tschechische Staatskonzern CEZ, der italienische Energieriese Enel sowie der schottische Versorger SSE. Sie überwiesen der Holt Holding mit Sitz im Zwergstaat Andorra mehr als zehn Millionen Euro. Teilweise soll ihnen der Emsländer sogar identische Projekte verkauft haben.
Holt und Heinz L. erteilten dabei jenen Unternehmen den Zuschlag, die den größten Vorschuss zahlten – auch wenn es deutlich höhere Gesamtangebote gab. Bei Geschäftsessen in teuren Restaurants mussten die Vertreter der Holding zudem verdächtig oft gehen, bevor die Rechnung vorlag. Doch niemand wollte diese Warnsignale sehen. Manch einer sagt heute, er schäme sich dafür, auf Holt hereingefallen zu sein.
Selbst der Doktortitel war gefälscht
Sie ließen sich offenbar nur allzu gern vom Wind-Wunderkind blenden. Holt war gerade Mitte 20, als er in der Branche anfing. Der Emsländer trug maßgeschneiderte Zweireiher mit Einstecktuch, am Handgelenk eine Rolex. E-Mails an Geschäftspartner unterschrieb er mit „Dr. Hendrik Holt“. Inzwischen ist klar, dass selbst der Doktortitel gefälscht war.
Holt und seine Familie folgten den Ausführungen des Staatsanwalts weitgehend regungslos. Nur einmal zwinkerte er seiner Schwester zu, die beiden tauschten ein flüchtiges Lächeln.
Ehemalige Geschäftspartner und Weggefährten beschreiben Holt als smarten Verkäufer mit skurrilem Auftreten. Dass er jung war, habe nie jemanden gestört. Schließlich hatte er den seniorigen Banker Heinz L. an seiner Seite. Der habe die nötige Seriosität ausgestrahlt.
Das ungleiche Duo suchte die Nähe zur Politik, etwa zu Staatssekretär Thomas Bareiß (CDU). Sie würden gerne über das Thema „Energiepartnerschaft Ukraine ins Gespräch“ kommen, schrieb Holt im November 2019 ans Wirtschaftsministerium. Er verwies auf die „aktuell 1250 MW Projektpipeline“ der Holt Holding und „1875 Investitionsvolumen (Millionen Euro)“. Bareiß biss an und traf sich im Dezember 2019 mit Holt und Heinz L.

Im großen Saal des Landgerichts Osnabrück steht eine Wand aus Aktenordnern zum Fall Hendrik Holt.
Der Emsländer warb im Februar 2020 sogar als Sponsor der Münchner Sicherheitskonferenz. Seine Holt Holding reihte sich damit ein in eine Liste von Namen wie BMW, Siemens und Lufthansa. An einem Lunch-Event, das er im Hotel Bayerischer Hof ausrichtete, nahm unter anderem EU-Energiekommissarin Kadri Simson teil.
Zwei Monate später schlugen die Ermittler zu. Polizisten nahmen Holt im April 2020 im Berliner Nobelhotel Adlon fest, zeitgleich wurden seine Verwandten bei Razzien verhaftet. Finanzdirektor Heinz L. setzte sich zwischenzeitlich in die libanesische Hauptstadt Beirut ab. Die Behörden lieferten ihn jedoch im September aus.
Seitdem geht es bergab mit dem Holt-Imperium. Die Ermittler haben alle nennenswerten Vermögenswerte beschlagnahmt, darunter das Familienanwesen in Bakum und drei Bentleys. Die Suche nach dem Vermögen der Familie ist aber nicht abgeschlossen. Insolvenzverwalter Malte Köster von der Kanzlei WilmerKöster teilte kürzlich mit, dass er auch Finanzströme in „einschlägig bekannte Steueroasen“ analysiere.
Holt hat die Vorwürfe des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs laut Staatsanwaltschaft Ende November eingeräumt. Auch seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder hätten Geständnisse abgelegt, hieß es. Die Kammer glaubt offenbar dennoch nicht an einen schnellen Prozess. Sie hat bis ins nächste Jahr hinein 52 Verhandlungstage angesetzt.
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