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Energie

Italienisches Stahlwerk Ilva Dreckschleuder zu verkaufen

Italiens Regierung will das marode Stahlwerk Ilva fast um jeden Preis retten. Die Konkurrenz in Europa sieht darin einen Wettbewerbsverstoß – und fürchtet ums eigene Geschäft. Denn Roms Pläne kommen zur Unzeit.
14.01.2016 - 14:48 Uhr
400 Tote durch giftigen Rauch. Quelle: Imago
Stahlwerk Ilva in Tarent

400 Tote durch giftigen Rauch.

(Foto: Imago)

Rom/Düsseldorf Europas Stahlhütten haben schwer zu kämpfen: Seit Jahren schon hangeln sie sich durch den Krisenmodus, versuchen sie mit immer neuen Sparprogrammen die Preiserosion einzudämmen, die von der eigenen Überproduktion und einer Flut chinesischer Billigimporte in Gang gehalten wird. Nicht umsonst spricht der deutsche Branchenverband von einem „schicksalhaften Jahr“ 2016.

Doch während alles gebannt nach China blickt und die EU im Wochentakt neue Antidumpingmaßnahmen auf den Weg bringt, um die Einfuhren wenigsten einzudämmen, wächst ausgerechnet an Europas Peripherie die nächste Bedrohung: Italien will das Stahlwerk Ilva im strukturschwachen Süden des Landes fast um jeden Preis verkaufen – eine der größten umweltbelastenden Industrieanlagen des Kontinents.

Seit wenigen Tagen können interessierte Unternehmen ihre Gebote abgeben, bis 10. Februar läuft die Bewerbungsfrist. Bis zum Sommer will die Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi den Verkauf abschließen, für die Umsetzung gilt allerdings ein Zeitraum von vier Jahren.

Wer interessiert sich für einen angeschlagenen Stahlriesen, der wegen Veruntreuung der früheren Eigentümerfamilie Riva und horrender Umweltverschmutzung 2013 vom Staat beschlagnahmt wurde? Bisher gibt es nur Spekulationen. Erst war von einem Interesse von Arcelor-Mittal die Rede. Doch der weltgrößte Stahlkonzern hat auch ohne Ilva genug Probleme mit der Bewältigung der Stahlkrise.

Renzi soll zudem Gespräche mit Sajjan Jindal geführt haben, dem Chef des indischen Stahlriesen JSW Steel. Auch der koreanische Konzern Posco hat angeblich schon in Rom vorgefühlt, so die Wirtschaftszeitung „Il sole-24 ore“. Die Südkoreaner könnten über Ilva einen Fuß in den europäischen Markt bekommen. Andererseits versucht die Regierung in Rom verstärkt, heimische Unternehmer zu einem Engagement zu bewegen, das von der staatlichen Förderbank, der Cassa di Depositi e Prestiti, finanziell flankiert werden könnte.

Namen, die kursieren, sind die Stahlunternehmen Marcegaglia und Arvedi, Eusider und Trasteel sowie die Gruppe Pir der Familie Ottolenghi. Auch ein Name für die Leitung eines italienischen Konsortiums macht die Runde: Paolo Scaroni, bis vor kurzem Chef des halbstaatlichen Energieriesen Eni.

Zweifelhafte Hilfen

Die Pläne Roms stoßen im Rest Europas auf heftige Ablehnung. So hat schon im April 2015 die deutsche Wirtschaftsvereinigung Stahl formell Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Subventionen eingereicht, mit denen Renzi das Stahlwerk unterstützt oder noch unterstützen will. Rom muss mit der Einleitung eines Verfahrens rechnen, bei dem untersucht wird, ob der neuerliche Versuch der Ilva-Rettung nicht gegen EU-Normen verstößt, die Staatshilfen verbieten.

Bereits im April 2015 vergab die Regierung einen Überbrückungskredit in Höhe von 400 Millionen Euro und will jetzt noch einmal 300 Millionen Euro lockermachen. Rom hat außerdem eine Zusatzklausel zu ihrem Anfang Januar verabschiedeten Dekret gestellt, nach dem 800 Millionen Euro Staatshilfe bereitgestellt werden – für den Umweltschutz.

Für Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, ein ordnungspolitischer Sündenfall: „Es ist höchst zweifelhaft, ob diese Hilfen beihilferechtlich zulässig sind“, sagte er dem Handelsblatt. „Die Frist, bis wann Ilva die Umweltauflagen erfüllen muss, hat die italienische Regierung gerade auf 2017 verlängert. Die EU-Kommission sollte hier besonders wachsam sein.“

Kein Wunder, dass Europas Stahlkonzerne Sturm laufen gegen die Revitalisierung des Dinosauriers. „Was die italienische Regierung derzeit tut, widerspricht allen europäischen Wettbewerbsregeln“, heißt es beispielsweise im Salzgitter-Konzern.

Zu hohe Kapazitäten, zu viel Stahl aus Asien und dann noch die politische Diskussion über verschärften Klimaschutz – alles hinterlässt tiefe Spuren auch in der deutschen Stahlindustrie, die sich bislang noch achtbar geschlagen hat. So soll die Produktion von Thyssen-Krupp & Co. in diesem Jahr um drei Prozent auf 41,5 Millionen Tonnen Rohstahl schrumpfen – es wäre das niedrigste Niveau der vergangenen 20 Jahre, die Krisenjahre 1996 und 2009 mal ausgenommen.

Der Fall Ilva kommt da zum absolut schlechtesten Zeitpunkt: Denn während im übrigen Europa Kapazitäten stillgelegt wurden, müssen Kaufinteressenten an dem Werk in Süditalien garantieren, dass die Stahlproduktion fortgeführt wird und der Großteil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Bei zwölf Millionen Tonnen lagen einmal die Produktionskapazitäten von Ilva – das entspricht der Menge, die Chinas Konzerne 2015 nach Europa geliefert haben. „Jede Tonne mehr, die in Europa produziert wird, ist negativ“, sagt der Branchenspezialist Lars Hettche vom Bankhaus Metzler. „So bleibt der Preisdruck für die anderen Hersteller hoch.“

Kleiner Hoffnungsschimmer: Da viele Anlagen veraltet sind, wird Ilva Zeit brauchen, auf alte Volumina zu kommen. So plant das Werk in diesem Jahr seine Rohstahlerzeugung von 4,8 auf sechs Millionen Tonnen zu erhöhen. 2011 und 2012 waren es noch gut acht Millionen Tonnen. 3 500 der rund 11 000 Mitarbeiter sind freigestellt, bis die Produktion wieder hochgefahren wird.

In Tarent selbst, der Hafenstadt in Apulien, ist Ilva der größte Arbeitgeber. Die Bevölkerung dort ist gegen eine Schließung des Werkes, obwohl mindestens 400 Menschen an den Folgen der Umweltverschmutzung gestorben sein sollen. Die frühere Eigentümerfamilie Riva soll in Kauf genommen haben, dass giftige Abgase in die Stadt zogen. Im Oktober 2015 wurde ein Verfahren gegen Manager und Politiker eröffnet, die für diesen Skandal verantwortlich gemacht werden.

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