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Energie

Klimaschutz Klimakiller Beton: So will die deutsche Zementindustrie CO2-neutral werden

Die Baubranche ist einer der größten CO2-Emittenten der Welt. Jetzt legt die deutsche Zementindustrie einen Plan vor: Bis 2050 will sie klimaneutral werden.
25.11.2020 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
Dass die Baustoffindustrie für mehr CO2-Emissionen als der weltweite Flugverkehr verantwortlich ist, wissen viele nicht.  Quelle: dapd
Beton

Dass die Baustoffindustrie für mehr CO2-Emissionen als der weltweite Flugverkehr verantwortlich ist, wissen viele nicht. 

(Foto: dapd)

Düsseldorf Es ist der wichtigste Baustoff der Welt, ohne ihn kommt fast kein Neubau aus. Während die Welt über klimaschädliches Fliegen, schmutzige Kohlekraftwerke oder dreckige Dieselmotoren diskutiert, fällt der heimliche Klimakiller im Alltag kaum mehr auf: Beton. 

Genauer gesagt geht es um Zementklinker, den wichtigsten Bestandteil des beliebten Baustoffs. Global werden jährlich über 4,6 Milliarden Tonnen Zement verbaut. Bei dessen Herstellung fallen aber 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an. Das sind fast acht Prozent der weltweiten Emissionen und damit mehr als Flugverkehr und Rechenzentren zusammen ausstoßen. Und angesichts der steigenden Nachfrage in Schwellenländern wie Indien, Asien und Afrika dürfte dieser Wert in den nächsten Jahren sogar noch steigen. 

Auch in Deutschland wäre eine Bauwirtschaft ohne Beton natürlich undenkbar. Hierzulande wurden 2019 immerhin 34 Millionen Tonnen verbaut – und 20 Millionen Tonnen CO2 emittiert. 

„Wir wollen und müssen jetzt zeigen, dass auch wir klimaneutral werden können. Aber der Weg ist definitiv nicht einfach“, sagt Christian Knell, Präsident der deutschen Zementindustrie (VDZ) und Deutschlandchef von einem der größten Baustoffkonzerne Europas, Heidelberg-Cement, im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Auf 50 Seiten beschreibt die deutsche Zementindustrie wie sie ihren CO2-Ausstoß bis 2050 auf null herunterfahren will. „Wir müssen ressourcenschonender bauen, komplett von fossilen Brennstoffen weg und vor allem mit weniger Klinker auskommen“, erklärt Knell. 

In den nächsten Jahrzehnten soll der Anteil des klimaschädlichen Zementklinkers von heute 71 auf um die 50 Prozent reduziert werden. Und damit wäre schon einmal viel gewonnen. 

Zement ist der Kleber im Beton, das Bindemittel, das Sand, Wasser und Kies zusammenhält. Um ihn herzustellen, braucht es Zementklinker, der aus Kalkstein, Sand und Ton bei mehr als 1400 Grad gebrannt wird. Genau bei diesem Prozess entsteht allerdings jede Menge klimaschädliches CO2. 

Bei der Verbrennung von Klinker wird das meiste CO2 freigesetzt.  Quelle: dpa
Zementherstellung

Bei der Verbrennung von Klinker wird das meiste CO2 freigesetzt. 

(Foto: dpa)

Zum einen durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe, die den Drehofen auf mehr als 1400 Grad erhitzen. 70 Prozent werden schon jetzt durch Müll ersetzt wie Tiermehl, Klärschlamm oder Siedlungsabfall oder Altreifen und Altöl, die so zumindest eine zweite Verwendung bekommen. 30 Prozent der Energie stammen aber auch heute noch aus Stein- und Braunkohle. Bis 2050 soll dieser Anteil auch durch den Einsatz von grünem Wasserstoff auf null reduziert werden. Aber diese Emissionen machen nur ein Drittel des ausgestoßenen CO2 aus. 

Der weitaus größere Teil geht auf den Zement selbst zurück. Bei dem Prozess setzt Kalkstein pro produzierter Tonne Zement rund 600 Kilogramm CO2 frei. 

„Die Zementindustrie hat ein Grundproblem im Vergleich zu anderen verarbeitenden Sparten wie Stahl oder Chemie. Da haben wir eine ungefähre Vorstellung, wie wir klimaneutral werden können. Aber hier ist es ja der Stoff selbst, der die größten Emissionen verursacht“, erklärt Jürgen Sütter, Ressourcen-Experte des Umweltforschungsinstitutes Öko-Institut. Das Problem: Eine wirkliche Alternative zu Beton gibt es bislang nicht. 

Zwar wird schon lange nach Ersatzstoffen wie beispielsweise Carbonbeton geforscht, der den Materialeinsatz immerhin um die Hälfte reduzieren könnte, aber die Versuche stehen gerade erst am Anfang. 

Auch Holz und Lehm werden vermehrt im Gebäudebau eingesetzt. Dass sie den klimaschädlichen Beton allerdings in den nächsten Jahren komplett ablösen, bezweifeln Experten.

Grafik

Stand jetzt geht Sutter deswegen von drei Möglichkeiten aus: Die Branche müsse versuchen, weniger Zement weltweit zu verbrauchen, den Anteil des Zementklinkers weiter zu reduzieren und „CO2 abzuschneiden und entweder weiterzuverarbeiten oder zu speichern“.

Genau darauf setzt auch die Zementindustrie große Hoffnungen. Die Abscheidung und Weiterverarbeitung oder auch Speicherung von CO2, kurz CCUS (Carbon Capture Usage and Storage) ist in Deutschland allerdings ein heikles Thema. 

Besonders die unterirdische Speicherung von CO2, zum Beispiel in möglichen Lagerstätten in der Nordsee, ist umstritten. Umweltschützer sprechen von einem „Feigenblatt“, einer Ausrede CO2-intensiver Industrien, um nicht umweltfreundlicher zu werden.  Die Zukunftstechnologie stellt in den Augen der Zementindustrie allerdings ein Kernelement auf dem Weg zur Klimaneutralität dar. 

„Ohne CCU und CCS geht es nicht. Wir sind auf diese Maßnahmen angewiesen“, bekräftigt VDZ-Geschäftsführer Martin Schneider. Ohne die Speicherung und Weiterverwertung von Kohlendioxid könnten die Emissionen bis 2050 lediglich um 36 Prozent gemindert werden.

Umstrittene Technologie 

Mit dem flächendeckenden Einsatz von CCUS-Technologien hingegen könne man in den nächsten Jahrzehnten mehr als 10 Millionen Tonnen CO2 einsparen. „Wir müssen bei diesem Thema zu einem politischen und gesellschaftlichen Grundkonsens kommen – ohne diese Transformation wird es nicht funktionieren“, warnt der studierte Physiker. 

Der Klimarat der Vereinten Nationen geht davon aus, dass die in Paris beschlossenen Klimaziele ohne CCS nicht mehr zu erreichen sind. Auch das Umweltbundesamt erklärte bereits vor zwei Jahren, es sei strittig, „ob globale Klimaschutzziele international langfristig ohne CCS erreicht werden können“.

In Deutschland gibt es jedoch massive Proteste gegen geplante CCS-Testanlagen. Kritiker der Technologie befürchteten eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken, da man ja das CO2 abscheiden würde. Mit dem beschlossenen Kohleausstieg fällt dieses Argument weg. Was bleibt, ist die Furcht, das gespeicherte CO2 könnte irgendwann wieder entweichen und die Umwelt schädigen.

„Unsere Prioritäten liegen allerdings klar auf der Weiterverwertung von CO2“, stellt Schneider deswegen klar. Verwendet werden könnte das abgeschiedene Kohlendioxid beispielsweise als Grundprodukt für die chemische Industrie, zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe oder auch in der Baustoffindustrie selbst. 

Dagegen spricht zwar aus Umweltsicht wenig, aber es müsste eine komplett neue Infrastruktur her. „Das ist nicht wie beim Wasserstoff, der mit ein paar Neuerungen in das bestehende Gasnetz eingespeist werden kann. Das ist sehr sehr aufwendig und von den Kosten her nicht zu realisieren“, warnt deswegen Baustoff-Experte Peter Stemmermann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). 

Das Leichtmetall ist vor allem für seine vielseitig einsetzbaren Eigenschaften bekannt. Ein Garn besteht aus bis zu 50.000 einzelnen Fasern. Quelle: VDZ
Karbon

Das Leichtmetall ist vor allem für seine vielseitig einsetzbaren Eigenschaften bekannt. Ein Garn besteht aus bis zu 50.000 einzelnen Fasern.

(Foto: VDZ)

Weil die knapp 30 Zementwerke quer über Deutschland verteilt seien, müsste ein komplett neues Pipeline-Netz für den CO2-Transport gebaut werden. „Das ist viel zu langwierig, aufwendig und teuer“, so Stemmermann. 

Die Zementindustrie hält dagegen. „Eine CO2-Pipeline wird man langfristig nicht ausschließen können, schließlich muss es von A nach B. Und wir sind nicht die Einzigen, die auf so eine Infrastruktur angewiesen sind“, betont Schneider. Man spreche schließlich von der „größten Transformation in der Geschichte der Industrie“. 

In Süddeutschland startet die Zementindustrie jetzt ihr erstes Pilotprojekt. Im beschaulichen Mergelstetten will ein Konsortium mehrerer Unternehmen eine Anlage bauen, die das bei der Produktion anfallende CO2 mit deutlich weniger Energieaufwand als bisher abscheiden und anschließend in E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe wie beispielsweise Kerosin, für den Flugverkehr umwandeln soll. 

„An der CO2-Abscheidung forscht die Zementindustrie schon seit 13 Jahren. Technologisch könnten wir das in zehn bis 15 Jahren umsetzen, aber die gesellschaftlich-politische Diskussion müssen wir jetzt anfangen“, fordert VDZ-Geschäftsführer Schneider. 

Trotzdem betonen Experten, dass es für die Zementindustrie auch noch andere Hebel auf dem Weg zur Dekarbonisierung gebe. 

Geringe Recycling-Quote

So wird seit Jahren bemängelt, dass die Recycling-Quote der Branche viel zu niedrig sei. „Eine richtige Kreislaufwirtschaft gibt es in der Bauwirtschaft bislang nicht. Wenn ein Haus abgerissen wird, wird der Schotter zwar zu großen Teilen weiterverwendet, aber nicht, um daraus neuen Beton zu machen“, erklärt Stemmermann. Das meiste geht bislang in die Asphaltherstellung und den Straßenbau.  

Ein Teil der hochwertigen Baustoffe landet am Ende sogar auf der Sondermülldeponie – allein in der EU rund drei Milliarden Tonnen pro Jahr. 

„Wir arbeiten an Lösungen, um auch den Zement komplett recyceln zu können“, räumt Schneider ein. Erste Pilotprojekte seien aber schon in Vorbereitung. 

„Es gibt nicht nur den einen Hebel oder zwei, dafür ist der Prozess viel zu vielschichtig“, betont Heidelberg-Cement-Manager Knell. „Aber wir wollen jetzt anfangen.“

CCUS, nicht-fossile Brennstoffe, Klinker-Alternativen, besseres Recycling und Rekarbonatisierung, also die Speicherung von CO2 in fertigem Beton selbst – die geplanten Maßnahmen der Industrie sind zahlreich. Jetzt kommt es allerdings auf die Umsetzung an. 
„Man hätte an das Thema früher rangehen können, aber erst durch den Kostendruck der CO2-Zertifikate und drohende sonstige Regelungen schmerzt es wirklich“, sagt Experte Stemmermann. 

Aber dafür werde jetzt auch heftig gearbeitet in der Branche.

Mehr: Pioniere, Vorreiter und Nachahmer: Warum die Klimawirtschaft endlich boomt

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1 Kommentar zu "Klimaschutz: Klimakiller Beton: So will die deutsche Zementindustrie CO2-neutral werden "

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  • Auch in Deutschland wäre eine Bauwirtschaft ohne Beton natürlich undenkbar ist einfach nur eine Annahme einer innovationsfeindlichen Bauwirtschaft.
    Beton nur für die Gründung und der Rest als Mischbauweise bspw. aus warmgewalzte Stahlprofile, kaltverformte Bleche, Kanthölzer, Gipsfaserplatten, Mineralwolle, Hartschaum und Fassadenplatten mit fertigen Deckschichten und das Ganze in ein Lean-Construction-Paket eingebunden.
    Leichtbauweise ist die Bauweise der Zukunft. Weniger Material, weniger Bauteile, weniger Prozesse, weniger Kosten, weniger Bauzeit, weniger Aufwand für den Rohbau, mehr Aufwand für Ausbau und Komfort.
    Das ist ein Beitrag zum Klimaschutz und wahrhaftiger Nachhaltigkeit.


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