Linde-Vorstandschef Aldo Belloni erwartet Synergien von einer Milliarde Euro jährlich. Zusammen kämen Linde und Praxair auf 28 Milliarden Euro Umsatz, wären Weltmarktführer - und im Gasegeschäft bedeutet Größe auch höhere Gewinnmargen. Die Börse reagiert positiv, die Linde-Aktie hat 17 Prozent zugelegt, die meisten Analysten unterstützen den Plan. Belloni führte außerdem die „hervorragende operative Expertise“ von Praxair-Chef Steve Angel und seines Teams an: Die US-Manager erwirtschaften höhere Profite als die Linde-Manager und sollen den neuen Konzern führen.
Die wichtigsten Vorstände sitzen in den USA. Die Holding wird in Dublin angesiedelt. Das spart Steuern, und die Mitbestimmung fällt weg. Reitzle soll Aufsichtsratschef werden. Die Aktie soll an den Börsen in New York und Frankfurt notiert werden.
„Nicht dringend“, sagt Belloni. Linde habe allein ein stabiles, wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell und erfolgversprechende Innovationen. Der Dax-Konzern ist führend in Europa und Asien, stark im US-Medizingasegeschäft und mit seinem Anlagenbau auch breiter aufgestellt. Praxair ist führend in Nord- und Südamerika, kämpft aber mit sinkenden Umsätzen. Linde machen Umsatzeinbrüche im Anlagenbau zu schaffen, geplant ist ein Stellenabbau. Bei einer Fusion aber verspricht Linde Kündigungsschutz und Standortgarantien bis 2021.
Sie befürchten einen massiven Stellenabbau, weil die Synergien zulasten der Linde-Beschäftigten gingen. Die Mitbestimmung fällt weg, eine neue Führungskultur halte Einzug. Der Pullacher Betriebsratschef Michael Kipp sagte, es gehe nicht „um einen Zusammenschluss unter Gleichen, sondern um eine Übernahme von Linde durch den deutlich kleineren Wettbewerber Praxair“. Der Europäische Betriebsrat von Linde befürchtet „einen Kahlschlag, der den Markenkern von Linde zerstören wird“.
Weltweit sind es knapp 60.000, in Deutschland 8.000. Größter Standort ist Pullach mit 3.300 Mitarbeitern, 2.200 weitere Beschäftigte arbeiten in München und dem Vorort Unterschleißheim sowie in Augsburg, Trostberg und anderen bayerischen Standorten. In Leuna, Dresden und in Worms am Rhein arbeiten jeweils mehrere Hundert Beschäftigte.
Wegen Kartellauflagen müssten Linde und Praxair Firmenteile verkaufen, vor allem in den USA. Das könnte Konkurrenten stärken, sagen Analysten. Kritiker verweisen auch auf das Beispiel DaimlerChrysler und andere gescheiterte Fusionen. Hier betont Belloni aber Lindes Erfahrung mit der Übernahme des großen britischen Konkurrenten BOC, wo der Unterschied in der Firmenkultur viel größer gewesen sei als bei Praxair. Vom Fusionsvertrag bis zum rechtskräftigen Abschluss gäbe es 15 Monate Schwebezustand. Offen ist, welche Folgen Reitzles Aktienkäufe haben.
Der Aufsichtsratschef hatte zwei Monate vor Bekanntgabe der Fusionsgespräche für eine halbe Million Euro Linde-Aktien gekauft und dies auch veröffentlicht. Die Finanzmarktaufsicht Bafin sah dennoch Anhaltspunkte für ein mögliches Insidergeschäft, die Münchner Staatsanwaltschaft prüft jetzt, „ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht“. Ob ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird und wie die strenge US-Börsenaufsicht SEC dann reagieren würde, ist offen.
Die meisten Linde-Aktionäre sitzen in den USA und Großbritannien, nur acht Prozent in Deutschland. Jeder dritte Linde-Anteilseigner ist auch Praxair-Aktionär. Bei den Amerikanern entscheidet die Hauptversammlung, bei Linde der Aufsichtsrat. Reitzle will die Fusion gegen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter bis Anfang Mai durchsetzen. Notfalls werde er von seinem doppelten Stimmrecht als Aufsichtsratschef Gebrauch machen. Die Linde- und die Praxair-Aktionäre sollen je die Hälfte an der neuen Holding halten.
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Wenn man über die starken deutschen Unternehmen wie Linde nachdenkt, wird einem klar, wie gut es letztendlich der gesamten deutschen Wirtschaft geht. Deutschland ist ein wirklich reiches Land, bei dem die Umverteilung zumindest besser als in vielen anderen Ländern funktioniert hat. In fast jedem Vergleich mit anderen Ländern schneidet Deutschland gut ab. Beispiele? Krankenversicherung in England, Arbeitslosigkeit in Frankreich etc. Linde ist ein bärenstarkes Unternehmen, das viel vom deutschen Wohlstand repräsentiert.
@Herr Hofmann Mark, 10.05.2017, 14:36 Uhr
Jedenfalls bin ich, im Gegensatz zu Ihnen, im Niveau nicht so tief gesunken, dass ich hier fremde Leute duze.
Sowas ist bei uns normalerweise nur in Schule und Kindergarten üblich.
Herr Reitzle wird nach der Fusion als Chairmann ein vielfaches seines derzeitigen Gehaltes als AR-Vorsitzender erhalten. Ich würde sagen da liegt ein klarer Interessenkonflikt vor!
Nur eine Bemerkung:
Mannesmann und VODAFON lassen grüßen.
Ebenso die dicken Abfindungen für Vorstände und Aufsichtsräte.
Wer spricht heute noch von den damals tausenden Arbeitslosen.
Es ist wahrscheinlich leider wirklich so, dass wir uns im Zeitalter des Terrors, wobei ich den alltäglichen Horror in den Wirtschaftsunternehmen mit einbeziehe, befinden, und vielerorts nur noch von Brutalos (Politiker & Wirtschaftsführer) regiert werden.
Wann hören diese schlimmen Zeiten endlich auf?
Beitrag von der Redaktion gelöscht. Bitte bleiben Sie sachlich.
Ein ganz übler Schacher.
Ich behaupte, daß die Beteiligten ausschließlich an ihr eigenes Wohl denken: Reitzle an den höheren Kurs seiner eigenen Aktien und die Vorstände an mehr Geld, denn Praxxair wird die sofort feuern bei ganz fetter Abfindung..
Über den Kommentar von Herrn Belloni, dass viele Mitarbeiter der Fusion positiv gegenüber stehen, kann man nur den Kopf schütteln. Das ist ein schaler Versuch, die Mitarbeiter zu diskreditieren, die Ende April gegen die Fusion auf die Straße gegangen sind. Vielleicht sollte er tatsächlich mal in die Niederlassungen gehen und mit den Leuten sprechen. Dann wüßte er, daß es so gut wie niemanden gibt, der begeistert ist. Und nein, Mitarbeiter sind keine unmündigen Kinder, die von Unternehmensführung nichts verstehen; viele sind erstaunlich gut informiert und sehen, daß hier nur Herr Reizle seine Eitelkeiten befriedigen will.
Die Medien sollten viel mehr hervor heben, welch krasse Schieflage hier besteht: der Aufsichtsrat bestimmt und der Vorstand kuscht ...
Weder als Aktionär noch als Münchner kann ich es befürworten, dass Herr Reitzle eine der besten Firmen der Stadt ins Ausland verschachert. Und für die Arbeitnehmer ist es ein Desaster. Schräg auch Herrn Reitzles eigener Aktiendeal. Da bleibt ein übles Geschmäckle.