OMV-Chef Rainer Seele „Uns kommt das Öl aus den Ohren heraus“

Der OMV-Chef will Eon-Ruhrgas herausfordern.
Wien Von seinem Arbeitszimmer könnte OMV-Chef Rainer Seele den Bilderbuchblick über Wien genießen. Doch für das Panorama über das Donautal hat der seit Juli amtierende Manager keine Zeit. Der frühere Wintershall-Chef drückt beim Umbau des österreichischen Öl- und Gasriesen aufs Tempo. Aufgrund des Ölpreisverfalls und hohen Abschreibungen schreibt Österreichs größter börsennotierter Konzern tiefrote Zahlen. Der Nettoverlust beläuft sich auf 1,1 Milliarden Euro (Vorjahr: 278 Millionen).
Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt Seele seine Umbaupläne in schwierigen Zeiten. Er setzt dabei auf eine enge Partnerschaft mit der russischen Gazprom und will auch im Iran und am Persischen Golf stärker bei der Öl- und Gasförderung zum Zuge kommen. Seele plädiert für den Bau der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, um die Versorgungssicherheit in Mitteleuropa zu erhöhen.
Herr Seele, die Ölkonzerne leiden unter dem Verfall der Ölpreise. Wie dramatisch ist die Situation für die OMV?
Die OMV hat sich erstaunlich stabil gezeigt. Aber der Preisrutsch trifft auch uns natürlich bei der Öl- und Gasförderung hart. Deshalb haben wir zuletzt große Wertberichtigungen vornehmen müssen. Nehmen Sie aber den Gewinn pro Aktie, haben wir im Vergleich zum Vorjahr, wo der Ölpreis doppelt so hoch war, sogar outperformt.
Sie haben im Juli 2015 den Chefsessel übernommen. Wie sieht die neue Strategie der OMV aus?
Ich begreife die OMV als regionalen Marktteilnehmer, der in seinen Regionen sehr gut aufgestellt ist, aber dennoch die Profitabilität steigern muss.
Was heißt das konkret?
Die Kosten in allen Bereichen des Konzerns müssen runter. Wir werden unsere Investitionen und Explorationen zurückfahren sowie die operativen Kosten senken. Das machen wir unabhängig vom Ölpreis.
Wie bitte?
Die OMV hat zehn bis 15 Prozent höhere Produktionskosten als der durchschnittliche Wettbewerber. Das geht nicht.
Woran liegt das?
An der Portfoliostruktur. Wir haben eine ganze Reihe von relativ ausgebeuteten Öl- und Gasfeldern, wo die Förderung deutlich teurer ist und Anlagen in Hochpreisregionen wie der Nordsee. Wir brauchen junge und frische Felder Wir brauchen eine nachhaltige Produktion von Öl und Gas und müssen unsere Reserven auffrischen. Denkbar sind auch Akquisitionen; der niedrige Ölpreis bietet Chancen im Bereich von M & A.
Werden Sie auch Arbeitsplätze streichen?
Wir haben kein explizites Stellenabbauprogramm. Doch einzelne Personalanpassungen, etwa durch den Verkauf der türkischen Tochter, sind natürlich notwendig.
Was wird aus Raffineriegeschäft, also dem Downstream?
Wir werden den Downstream-Bereich als Cash-Lieferant nutzen, um das Restrukturierungsprogramm zu finanzieren. Wir haben nur noch eine Hausaufgabe zu machen, den Verkauf unserer Tochter Petrol Ofisi in der Türkei. Da haben sich unsere Erwartungen nicht erfüllt. Schlechter sieht es bei Gas aus. Dort schreiben wir seit langem Verluste. Und der Ausflug in die Stromerzeugung war ein teurer Ausflug für die OMV, den ich sukzessive beenden werde. Wir setzen auf Öl und Gas, nicht aber auf Elektronen.
Wo sehen Sie denn noch Chancen?
Mit der Übernahme der Gashandelsgesellschaft Econ Gas haben wir die volle Selbstständigkeit errungen. Ich werde das Gashandelsgeschäft europäisieren. Als ersten Schritt werden wir nach Deutschland im Sommer expandieren und streben dort in zehn Jahren einen Marktanteil von zehn Prozent an. Schon jetzt leiten wir unser Gas aus Norwegen oder Rotterdam durch den größten Markt Europas, nämlich Deutschland, ohne ihn zu nutzen. Das werde ich schnellstmöglich ändern.
Aber die Konkurrenz schläft nicht …
Wir werden unseren Platz in Deutschland finden. Aus meiner Zeit als Wintershall-Chef bin immer noch trainiert im Kampf mit der Eon-Tochter Ruhrgas. Die Kunden werden eine sehr leistungsfähige OMV sehen. Wir werden mit sehr modernen Vertriebskonzepten starten.
Die neue Heizsaison beginnt zum 1. Oktober. Werden Sie da schon dabei sein?
Davon können Sie ausgehen. Das ist unser Ehrgeiz. Die Voraussetzung ist, dass die Kartellbehörden schnell der vollständigen Übernahme der Econ Gas zustimmen.
Wie stark wollen Sie in Zukunft angesichts der niedrigen Energiepreise sparen?
Wir haben 2015 unsere Investitionen bereits um eine Milliarde Euro zurück gefahren. Wir kürzen jetzt nochmals um 400 Millionen Euro.
Wo wird noch gekürzt?
Die OMV wird mittelfristig keine Dividende mehr auf Pump zahlen. Für das Jahr 2015 schlagen wir der Hauptversammlung vor, die Dividende auf einen Euro zu kürzen. Angesichts des neuen Ölpreisumfelds ist das nur eine leichte Kürzung. Und künftig wird die Dividende vom Cashflow-Verlauf abhängig sein. Wir gehen davon aus, dass wir auch weiterhin aus dem operativen Cashflow eine Dividende zahlen können. Dazu kommen weitere allgemeine Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen, die bis 2017 rund 300 Millionen Euro im Vergleich zu 2014 bringen werden.
Ihr größter Aktionär ist der österreichische Staat. Wie groß ist der Druck, hohe Dividenden auszuschütten?
Ich führe die OMV rein unternehmerisch. Dafür habe ich die Rückendeckung der Großaktionäre trotz gegenläufiger Spekulationen.
Ist für die OMV ein vollständiger Rückzug aus dem Raffineriegeschäft vorstellbar?
Wir haben die hohen Margen im Downstream-Geschäft nicht, weil wir die Schrauben fester gedreht haben, sondern weil der Markt gedreht hat. Doch die OMV muss auch bei einem niedrigen Ölpreis ein integrierter, stabiler Konzern sein. Dazu gehört weiter unser profitables Raffineriegeschäft. Es bleibt eine tragende Säule der OMV. Es wird auch 2016 ein Stabilitätsanker für die OMV sein.
Die OMV sucht in diesen schwierigen Zeiten eine enge Partnerschaft mit der russischen Gazprom. Was sind dafür die Gründe?
Wir kennen die Gazprom schon seit 48 Jahren. Wir sind seit vielen Jahr durch Dick und Dünn gegangen – selbst in Zeiten des Eisernen Vorhangs. Von beiden Seiten gibt es ein starkes Interesse, die Partnerschaft zu intensivieren.
Welche Interessen haben Sie dabei?
Unser Hauptmotiv ist die Öl- und Gasförderung in Russland. Wir bekommen Zugang zu gewaltigen Reserven im sibirischen Urgengoy-Feld. Dadurch bekommen wir eine Stabilisierung unseres Upstream-Geschäfts. Die OMV kann ihre Kosten in der Exploration von 700 auf 300 Millionen Euro nur runterfahren, wenn wir eine solche Marktposition bekommen. Die Entscheidung über einen Anteilstausch mit der Gazprom fällt noch in diesem Jahr. Wir werden alles dafür tun, in Russland zum Zug zu kommen. Unsere Lizenz in Sibirien würde bis zum Jahr 2038 gehen.
Es gibt doch noch ein weiteres Motiv…
… das Pipeline-Geschäft durch die Ostsee. Wir wollen mit Gazprom und anderen Partnern Nord Stream 2 bauen. Es ist ein wirtschaftlich spannendes Projekt, denn wir haben eine feste Rendite vereinbart. Damit wird die OMV unabhängiger vom Ölpreis.
Das klingt schön, aber politisch ist die neue Pipeline sehr umstritten. Mit der EU-Kommission, aber auch mit Polen und der Ukraine gibt es zahlreiche Gegner einer Erweiterung der Ostsee-Pipeline oder?
Wir spüren großen Rückenwind für Nord Stream 2. Unternehmen aus Deutschland, Großbritannien, die Niederlande, Frankreich und Österreich unterstützen das Projekt. Die europäische Energiewirtschaft braucht dieses Projekt. Sie hat erkannt, dass damit die Versorgungssicherheit für Europa erhöht wird.
Doch noch sind nicht alle überzeugt oder?
Das ist richtig. Deshalb müssen wir intensiver mit der EU-Kommission und einigen osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ukraine sprechen. Nord Stream 2 soll übrigens den Transport durch die Ukraine nicht komplett ersetzen.