Rechtsgutachten Abschaltung von Kohlekraftwerken könnte Politik teuer zu stehen kommen

Der Atomausstieg sei kein Vorbild, sondern abschreckendes Beispiel, so der Befund der Juristen.
Berlin Für die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission wird es ernst. Nachdem die Kommission Anfang November ihre Vorschläge für die Bewältigung des Strukturwandels in den von einem Kohleaussteig betroffenen Regionen vorgelegt hat, folgen in den kommenden Wochen die Vorschläge für die Abschaltung von Kraftwerken.
Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: Wann wird das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen? Welche Kohlekraftwerke sollen zuerst abgeschaltet werden?
Die zweite Frage treibt die Kraftwerksbetreiber ganz besonders um. Geht es nach den Vorstellungen von Umweltschützern und Grünen-Politikern, müssen bereits bis 2020 in erheblichem Umfang Kraftwerke abgeschaltet werden. Sie argumentieren, nur so könnte Deutschland der Erreichung seiner selbst gesteckten Klimaschutzziele für 2020 noch ein nennenswertes Stück näher kommen.
Die Kraftwerksbetreiber, aber auch große Stromverbraucher aus der Industrie, sehen solche Forderungen kritisch. Sie warnen vor Gefahren für die Versorgungssicherheit und vor steigenden Strompreisen, wenn der Ausstieg übereilt erfolge. Kurzfristige Abschaltungen stellten zudem einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte dar, argumentieren die Betreiber.
Ein Gutachten der renommierten Energierechtskanzlei Posser Spieth Wolfers & Partners, das dem Handelsblatt vorliegt, stützt diese Argumentation. Ein politisch verfügter Ausstieg wäre „insgesamt verfassungswidrig“, heißt es dort. In Auftrag gegeben hat das Papier der RWE-Konzern.
Insbesondere entkräften die Autoren das von Befürwortern eines raschen Kohleausstiegs genutzte Argument, man könne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2016 zum beschleunigten Kernenergieausstieg des Jahres 2011 auf die Abschaltung von Kohlekraftwerken übertragen.
Die Ausgangssituation zwischen Kernenergie und Kohle sei grundverschieden, heißt es in dem Gutachten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe sich nicht mit dem grundsätzlichen Ob eines Ausstiegs, sondern nur mit der Zulässigkeit der einseitigen Beschleunigung einer zuvor bereits konsentierten Beendigung der Kernenergienutzung befasst.
Die Bundesregierung hatte nach der Atomkatstrophe von Fukushima im März 2011 die sofortige Abschaltung der acht ältesten Kernkraftwerke beschlossen. Grundsätzlich war der Atomausstieg allerdings bereits im Jahr 2000 durch eine Vereinbarung zwischen den Kernkraftwerksbetreibern und der damaligen rot-grünen Bundesregierung festgezurrt worden.
Ende 2010 hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten dann verlängert und diese Regelung dann 2011 unter dem Eindruck von Fukushima wieder zurückgenommen.
Außerdem verweisen die Juristen von Posser Spieth Wolfers & Partners darauf, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil von 2016 bei der Atomkraft maßgeblich auf deren Charakter als „Hochrisikotechnologie“ und auf ungelöste Entsorgungsfragen abgestellt.
Erhebliche finanzielle Risiken
Beide Aspekte kämen aber mit Blick auf die Kohle nicht in Betracht. Außerdem hätten die Verfassungsrichter die Ausstiegsregelung des Atomgesetzes ohnehin aus mehreren Gründen für verfassungswidrig erklärt. Sie könne deshalb „keine Blaupause für einen Kohleausstieg sein“.
Für den Fall eines einseitig verordneten Ausstiegs sehen die Autoren des Gutachtens erhebliche finanzielle Risiken auf die öffentliche Hand zukommen. „Da die Restlaufzeiten, die für eine Verhältnismäßigkeit einzuhalten wären, derart lang sind, dass das gesetzgeberische Ziel des Kohleausstiegs erst in vielen Jahren erreichbar wäre, wird voraussichtlich eine Entschädigungszahlung gewählt werden“, schreiben die Autoren des Gutachtens.
Diese Entschädigung für die Kraftwerks- und Tagebaubetreiber müsste sich nach Überzeugung der Autoren an der Höhe des Verkehrswertes der Anlagen vor der Ausstiegsentscheidung orientieren.
Allerdings öffnen die Autoren auch ein Hintertürchen: Sie plädieren für einvernehmliche Lösungen – und führen ein Vorbild an: „Mit der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen zum Ausstieg aus der Kernenergienutzung vom 14. Juni 2000 gibt es ein Beispiel für eine verfassungsrechtlich unproblematische und politisch befriedende konsensuale Lösung“, schreiben sie.
Es verwundere, dass diesem Vorbild aktuell keine maßgebliche Rolle zukomme. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte den Ausstieg aus der Kernkraft vertraglich mit den Betreibern geregelt. Den einzelnen Kernkraftwerken wurden Reststrommengen zugebilligt.
Sind die entsprechenden Strommengen erzeugt, erlöschen die Betriebsgenehmigungen. Das Verfahren sichert langfristige Kalkulierbarkeit. Über die Zulässigkeit schneller Abschaltungen von Kohlekraftwerken wird in der Fachwelt seit langem gestritten.
Den Befürwortern einer möglichst entschädigungslosen und schnellen Stilllegung leistet ein Gutachten Vorschub, das die Anwaltskanzlei Becker, Büttner, Held (BBH) im Auftrag des Thinktanks Agora Energiewende im vergangenen Jahr erarbeitet hat.
Demnach können Kohlekraftwerke, die älter als 25 Jahre sind, im Rahmen eines Kohleausstiegsgesetzes stillgelegt werden, ohne dass der Staat zu Entschädigungszahlungen an die Kraftwerksbetreiber verpflichtet wäre. Dabei seien den Betreibern „angemessene Übergangsfristen“ zu gewähren.
„Im Regelfall ist dafür etwa ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes ausreichend“, hieß es bei der Veröffentlichung des Gutachtens im Herbst 2017. Die BBH-Juristen kamen außerdem zu dem Ergebnis, der Atomausstieg könne in weiten Teilen als „Vorbild“ für einen politisch verfügten Kohleausstieg herangezogen werden.
Weitaus höhere Hürden für Stilllegungen sehen dagegen die Juristen der Kanzlei Redeker Sellner Dahs. In einem Gutachten, dass der Kohlekommission am Donnerstag übersandt wurde, haben sie sich für den Deutschen Braunkohle-Industrie-Verein (Debriv) mit der Frage befasst, ob sich eine vorzeitige Stilllegung von Braunkohlekraftwerken aus Gründen des Klimaschutzes rechtfertigen lässt.
Das Ergebnis: Das Klimaschutz-Argument taugt nichts. Es sei „verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft“, schreiben die Juristen. Selbst wenn man die Verfassungsmäßigkeit unterstelle, wäre sie nur dann gewährleistet, „wenn entweder angemessene Übergangsfristen gewährt oder entsprechende Entschädigungen an die Betreiber geleistet werden“.
Die Fristen würden sich nach Überzeugung der Gutachter „bis zum Jahr 2050“ erstrecken, eine ersatzweise zu leistende Entschädigung „würde sich in jedem Fall in einem zweistelligen Milliardenbereich bewegen“.
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