Stadtwerke Essen Die Filz- und Vetternwirtschaft AG

Aufträge unter der Hand vergeben.
Essen Glitzerndes Wasser, ein leichter Wind, sommerlich einladend ruht der Essener Baldeney-See an diesem Morgen in seinem Bett. Gleich am Ufer thront der Beobachtungsturm des Regattahauses, Heimat der Kanusport-Gemeinschaft Essen. Weltmeister und Olympiasieger hat sie hervorgebracht, in den Hallen stapeln sich Boote und Paddel.
Willi Zerres ist hergekommen, seinen mächtigen Hund an der Leine. Und während sich der Vierbeiner zu den Füßen seines Herrn niederlässt, fährt im Hintergrund der Vereinsbus der Kanusportler heran, bedruckt mit den Namen der Sponsoren. Die Stadtwerke Essen gehören dazu, auch die Allbau AG, das größte Wohnungsunternehmen in Nordrhein-Westfalen. Und einige andere Baufirmen.
Unternehmen an Unternehmen ordentlich nebeneinander – und das im Dienste einer Sportart, die in Deutschland eher ein Rand-Dasein fristet. Warum in Essen trotzdem große Spendenbereitschaft für die Kanuten herrschte, dazu hat Willi Zerres seine ganz eigene Geschichte.
Auch der Name seines Kanalbau-Unternehmens stand einst auf dem Bus. Gezwungenermaßen, sagt der 60-Jährige. „Als ich mal gesagt habe, dass ich mich nicht so für Kanusport interessiere, hieß es gleich, ob ich denn nicht mehr für die Stadtwerke Essen arbeiten wollte.“
Tatsächlich zeigen Recherchen von Handelsblatt und WDR (Westpol), dass die Geschichte des angeblichen „Essener Kanal-Kartells“, in das Zerres verwickelt war und bei dem Baufirmen untereinander Preise abgesprochen haben sollen, neu geschrieben werden muss. Nicht gierige Unternehmer waren das eigentliche Übel, sondern die dubiosen Praktiken der Stadtwerke Essen.
Wer Aufträge wollte, musste sich einem fragwürdigen Vergabesystem unterwerfen, das Wettbewerb praktisch ausschloss. Und er wurde zum Finanzier jener Sportvereine, die den Stadtwerke-Chefs besonders am Herzen lagen. Zahlungen an die Kanusport-Gemeinschaft Essen gehörten dazu.
Ein Problem, das weit über Essen hinausreicht. Wie ein umfangreiches Forschungsprojekt im Auftrag der Bundesregierung enthüllt, das in Kürze der Öffentlichkeit vorgestellt wird, herrschen in vielen deutschen Kommunen grenzwertige Zustände. Eine Debatte scheint notwendig: über kommunale Intransparenz und Gutsherren-Wirtschaft.
Professionelle Netzwerke
Daniela Trunk aus Halle könnte diese Debatte bald anführen. Die zierliche Juristin mit der leisen Stimme leitet das Forschungsprojekt Riko - „Risikomanagement aus der Perspektive von Unternehmen, Kommunen und Polizei“. Mehrere Universitäten haben sich daran beteiligt, aber auch das Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter sowie der Bundesverband mittelständische Wirtschaft.
Jetzt sitzt sie in einer Bibliothek der juristischen Fakultät und berichtet über eindeutige Ergebnisse. Alle Teilnehmer, darunter viele Kommunen, wurden nach ihrer Wahrnehmung gefragt. „Danach gibt es Korruption in Kommunen und in kommunalen Unternehmen - und das in erheblichem Maße“, sagt die Mittvierzigerin.
Ein Blick in die Lokalzeitungen bestätigt das: Bestechung in der Kfz-Zulassungsstelle, Abgeordnete, die am Bau von Flüchtlingsheimen mitverdienen, oder die Bevorzugung von Bauunternehmen.
Dabei sieht Trunk darin ein gesamtwirtschaftliches Problem, das dringender Prävention bedarf. Gerade wenn es um größere Aufträge und größere Unternehmen gehe, sei der Anreiz zum Betrug bis heute enorm. „Das läuft teilweise sehr professionell.“
Ganz ähnlich wie im Fall der Essener Stadtwerke. Das angebliche Kanal-Kartell, das jahrelang die Medien beschäftigte, ist in Wirklichkeit ein Musterbeispiel für Filz und Vetternwirtschaft in der städtischen Verwaltung.
Aus einem Kartell wird ein Kartellchen
Der 8. März 2017 ist einer dieser nasskalten Tage, an dem alles hastet. Nur ein verlorener Fernsehjournalist hat sich mit seinem Kameramann vor dem Landgericht Essen aufgebaut. Es geht um das, was soeben in Saal 101 passiert. Dort, vor der 15. Großen Wirtschaftsstrafkammer, hat der Prozess gegen sechs Geschäftsführer von Tief,- Straßen- und Rohrleitungsbaufirmen begonnen.
Zwischen 2011 und 2012 sollen die Angeklagten die Stadtwerke Essen mit illegalen Preisabsprachen betrogen haben. Auch Zerres soll dabei gewesen sein, gegen ihn wurde gesondert ermittelt. Bei über 30 Baustellen sei vorab geklärt worden, wer auf Ausschreibungen wie bieten und schließlich den Zuschlag bekommen sollte. Das Auftragsvolumen ging in die Millionen.
Drei Jahre lang hatte die Staatsanwaltschaft Essen den Fall untersucht, 30 Personen nahm sie anfänglich ins Visier. Einige der Firmen gingen später Bankrott. Ein verdächtiger Bauleiter der Stadtwerke Essen nahm sich während der Ermittlungen das Leben.
Und so nimmt an diesem 8. März die Staatsanwaltschaft großen Anlauf, um die Beteiligten dieses angeblichen Kartells aburteilen zu lassen. 18 Verhandlungstage sind angesetzt.
Doch schon nach zwei Tagen ist alles vorbei.
Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger einigen sich überraschend auf einen Deal, nach dem alle Verfahren gegen Zahlung von Geldbußen zwischen 3.000 und 20.000 Euro eingestellt werden. Warum? Der Vorsitzende Richter Jörg Schmitt erklärt dies bei der Verkündung so: „Es ist zweifelhaft, ob sich in einem langwierigen Prozess die Schuld der Angeklagten wirklich feststellen lässt.“
Ein Paukenschlag. Der angeblich so große Kriminalfall - innerhalb von nur zwei Tagen Geschichte. Doch in den lokalen Medien findet diese Wendung kaum Erwähnung. Das mutmaßliche Kanal-Kartell bleibt ein Unternehmer-Problem.
Ein offensichtlicher Irrtum.

Der Kanalbau-Unternehmer will, dass die Wahrheit ans Licht kommt.
Auf dem Unternehmensgelände von Willi Zerres im Essener Osten herrscht Kehraus. Von seinem ehemaligen Büro ist nur noch der Schreibtisch übrig, Zerres hat den Laden dichtgemacht. Auf dem Bauhof fahren bereits die Laster eines früheren Konkurrenten. Staubig ist es hier und wenig einladend. Wer für die Stadtwerke arbeitete, der war ihr Knecht, sagt Zerres. „Die haben einen schon spüren lassen, dass sie da der Alleinunterhalter waren.“
Im Mai 2011 veränderte sich sein Leben radikal – auch wenn er es damals noch nicht ahnte. Damals erscheint in der WGZ Bank in Düsseldorf der Inhaber einer anderen Baufirma. Der Mann geht schnurstracks an einen Schalter - und hebt 100.000 Euro in bar ab. Eine ungewöhnlich hohe Summe. Als der Kundenbetreuer den Mann fragt, wofür er denn so viel Geld brauche, antwortet der: Bestimmte Geschäfte liefen eben nur, wenn man die Auftraggeber ein wenig schmiere.
Bis heute ist ungeklärt, ob der Mann nur einen Scherz machte. Für Willi Zerres wird es jedenfalls ab da todernst. Die Kriminalpolizei hört das Telefon des Konkurrenten ab und stößt dabei auch auf ihn. Zerres landet fünf Wochen in Untersuchungshaft, er verliert sein Unternehmen. Am Ende fallen die Vorwürfe, die auf Betrug durch illegale Preisabsprachen lauteten, fast komplett in sich zusammen. Sie reichen gerade einmal für eine Geldbuße von 9000 Euro.
Bauvergabe nach Gutsherrenart
Einer der Männer, die Zerres dafür verantwortlich macht, hat, am Regattahaus, große Erfolge erzielt. Nennen wir ihn Peter Müller. Fragen will er nicht beantworten.
Nach seiner aktiven Kanuten-Zeit wurde Müller verantwortlich bei den Stadtwerken für die Vergabe der Bauarbeiten, er leitete die Abteilung. Und es gab viel zu vergeben in Essen. Das Auftragsvolumen des mutmaßlichen Kanal-Kartells belief sich auf insgesamt rund acht Millionen Euro.
Dabei stützte sich Müller auf ein Vergabesystem, dem jegliche Transparenz fehlte. Die Stadtwerke schrieben Aufträge bis zu einer gewissen Größenordnung nicht öffentlich aus, sie wurden einfach an einen Pool von Firmen vergeben. Wer die von den Stadtwerken festgelegten Preise akzeptierte, der bekam eine Art Beschäftigungsgarantie. Er konnte damit rechnen, dass seine Kolonnen, jedenfalls für ein Jahr, in Lohn und Brot waren. Um die regionale Wirtschaft zu fördern, waren fast ausschließlich Baufirmen aus Essen in diesem Pool.
Was aus regionalen Gesichtspunkten womöglich noch verständlich erscheint, hatte jedoch einen entscheidenden Nachteil. Es gab keinen Wettbewerb, es fehlte an Durchschaubarkeit und Kontrollmöglichkeiten.
Doch damit nicht genug. Als einige Baufirmen zu klagen begannen, dass die straffen Preise existenzbedrohend sein könnten und selbst einen Wettbewerb forderten, sollten sie ihn bekommen. Nur nicht so, wie sie sich das gedacht hatten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.