Stromnetz So steht es um die Versorgungssicherheit in Deutschland

Der Netzausbau von Nord- nach Süddeutschland muss beschleunigt werden, mahnt das Wirtschaftsministerium in seinem Bericht zur Versorgungssicherheit.
Düsseldorf Nur mit großer Mühe sind im Juni in Deutschland mehrere großflächige Stromausfälle verhindert worden. Einen Tag, nachdem das bekannt wurde, veröffentlicht das Wirtschaftsministerium an diesem Mittwoch seinen zweijährlichen Bericht zur Lage der Versorgungssicherheit in der Bundesrepublik. Das Ergebnis: Die Stromversorgung in Deutschland ist nicht in Gefahr.
Und auch mit dem fortschreitenden Ausbau erneuerbarer Energien soll es laut den Autoren nicht zu massiven Versorgungsengpässen kommen, wenn gewisse Anforderungen erfüllt werden. „Der Bericht zeigt, dass die Stromverbraucher in Deutschland auch beim weiteren Umbau unserer Energieversorgung sicher mit Elektrizität versorgt werden können“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Auch im Juni sei die Versorgungssicherheit zu jeder Zeit gewährleistet gewesen.
Am 6., 12. und am 25. Juni war die Situation im Stromnetz kritisch, weil zu wenig Strom vorhanden war, um die Nachfrage zu decken. Die Frequenz im gesamten europäischen Verbundnetz sank ab. Nur mit kurzfristigen Stromimporten aus dem Ausland konnte das Netz stabil gehalten werden.
Es habe trotz der „starken Unterspeisung“ weiterhin ausreichend Kapazität zum Gegensteuern zur Verfügung gestanden, betonte Altmaier. An einem der relevanten Tage, dem 25. Juni, habe es 7.000 Megawatt an flexiblen Lasten und Kapazitäten gegeben, die nicht gelaufen sein. „Es gab also kein Problem mit der Versorgungssicherheit“, zeigte sich der CDU-Politiker überzeugt.
Was genau die Ursache für die Engpässe im Stromnetz war, ist laut Bundesnetzagentur noch nicht geklärt. Die Behörde prüft jedoch, ob Händler dafür verantwortlich sind. Das wäre ein „grober Verstoß gegen die Verpflichtung, möglichst ausgeglichene Bilanzkreise zu führen“, sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur dem „Tagesspiegel“.
In der Branche sieht man die Ursache für die gestiegene Spekulationsfreudigkeit in einer neuen Regulierung, die den Stromhändlern falsche Anreize setze, das sogenannte Mischpreisverfahren. Akteure, die mit Strom handeln, verwalten ihr eigenes virtuelles Energiemengenkonto, den Bilanzkreis. Dabei dürfen sie immer nur so viel Strom verkaufen, wie sie liefern können. Geschieht das nicht, kann der entstehende Engpass im Notfall mit Regelenergie ausgeglichen werden.
In den vergangenen Monaten wurde aber immer mehr Regelenergie abgerufen, die nach dem neuen Verfahren teilweise sogar günstiger ist als der kurzfristige Strompreis an der Strombörse. Händler stehen nun im Verdacht, Strommengen, die ihnen gefehlt haben, nicht wie bisher kurzfristig im untertägigen Handel an der Strombörse beschafft zu haben.
Stattdessen sollen sie bewusst darauf gewettet zu haben, dass die fehlenden Mengen über den teilweise günstigeren Regelenergiemechanismus ausgeglichen werden. Passiert das zu oft, ist am Ende nicht mehr genug Regelenergie verfügbar, und die Gefahr eines Blackouts droht.
Wie in den aktuellen Fällen im Juni, können große Schwankungen im deutschen Stromnetz ohne Hilfe von Partnerländern im europäischen Stromnetz schon heute nicht ausgeglichen werden, das betont das Bundeswirtschaftsministerium auch nochmal in seinem aktuellen Monitoringbericht.
Nachholbedarf beim Windstrom
„Wir sollten uns jedoch nicht darauf verlassen, dass wir künftig in bestimmten Zeiten hoher Stromnachfrage immer Strom aus anderen EU-Ländern importieren können: Fast überall in Europa sollen gesicherte Stromerzeugungskapazitäten vom Netz genommen werden“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Stefan Kapferer, mit Blick auf den Bericht.
Kapferer betonte die Wichtigkeit von Gas als verlässlichem Energielieferant, beispielsweise im Winter, wenn es nicht ausreichend Sonnenstunden gibt. „Außerdem müssen sich die Bedingungen für Energiespeicher und Kraft-Wärme-Kopplung verbessern sowie alle Optionen zur Nachfrageflexibilisierung ergriffen werden. Der Netzausbau muss deutlich beschleunigt werden“, sagte Kapferer.
Altmaier wies darauf hin, dass die Versorgungssicherheit hierzulande im internationalen Vergleich trotzdem weiterhin vorn liege. „Während in Deutschland der Wert der durchschnittlichen Versorgungsunterbrechung bei 15 Minuten liegt, liegt er in Italien bei 40 Minuten, in Frankreich bei 50 Minuten, in Großbritannien bei 53 Minuten, in den USA bei 114 Minuten und in Kanada bei 306 Minuten.“
Nachholbedarf sehen die Autoren ähnlich wie der BDEW beim Transport des Windstroms von Nord- nach Süddeutschland. Es sei „eine zwingende Voraussetzung“, dass die bestehenden Stromnetze optimiert und höher ausgelastet werden müssten und die Stromzentren zügig ausgebaut werden.
Die zunehmende Menge erneuerbarer Energien im deutschen Stromnetz sehen die Experten des Berichts nicht als Gefahr für die Versorgungssicherheit an, wenn es neben dem nötigen Ausbau der Stromtrassen auch genügend Energie aus Gaskraftwerken und entsprechende Speichermöglichkeiten für den grünen Strom gibt. „Wir werden auch künftig und parallel zum Ausstieg aus der Stromerzeugung aus Kohle immer wieder die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit prüfen“, sagte Altmaier.
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