Elektromobilität Elektro-Brite im deutschen Winter – der Jaguar I-Pace im Handelsblatt-Autotest

Der Jaguar I-Pace kommt auch mit den kalten Temperaturen klar.
Düsseldorf Touristen aus Großbritannien sind in Corona-Zeiten selten, und doch hat sich ein Brite in den deutschen Winter verirrt. Vor meiner Haustür wird der Jaguar I-Pace von Windböen und Schnee begrüßt, und ich bin froh, mir noch ein Bild machen zu können, bevor das Elektroauto zumindest teilweise unter einer Eisdecke verschwindet.
Eigentlich ist dieser Jaguar ein Hingucker, auch wenn das futuristische Design sicherlich nicht „Everybody’s Darling“ ist. Mir gefällt es. Die erste Parkplatzsuche sorgt gleich für Aufsehen. Der Nachbar winkt: „Der klingt wie ein Ufo“, sagt er. Und ein bisschen sieht er auch so aus. Die LED-Scheinwerfer blitzen aggressiv.
Der große Lufteinlass auf der Motorhaube und der sanft integrierte Spoiler unterstützen die sportliche Optik. Allerdings wirkt das Design, als ob man sich nicht entschließen konnte, ob man einen Sportwagen oder ein SUV bauen wollte. Der I-Pace ist so was wie eine Kreuzung aus beidem. Aber nicht nur aus diesem Grund ein Vorreiter in der Markenwelt Jaguar Land Rovers.
Der I-Pace soll zum Vorbild für die gesamte Marke werden. Am Montag verkündete der neue Chef Thierry Bolloré, die britische Nobelmarke in den kommenden Jahren komplett zu elektrifizieren. Mit dem I-Pace waren die Briten beim Thema Elektromobilität früher dran als die Konkurrenz. Schon 2018 feierte das Elektro-SUV Premiere, weit vor deutschen Konkurrenten wie dem Audi E-Tron oder dem Mercedes EQC.
Das erste Elektroauto der britischen Traditionsmarke, die dem indischen Tata-Konzern gehört, feierte zwar europaweit durchaus beachtliche Erfolge. In den Niederlanden war das Modell zeitweise sogar das meistverkaufte Auto. In Deutschland aber ist der I-Pace bisher nicht über den Exotenstatus hinausgekommen.
Das mag am hohen Preis und der patriotischen Vorliebe der Deutschen für Audi, BMW und Mercedes liegen. Doch es lag auch an den Spezifikationen. Denn beim Verbrauch hatte der Brite ein Problem – und bei den Ladezeiten war sogar mancher günstige Konkurrent schneller. An den in Deutschland weitverbreiteten Wechselstrom-Ladestationen könnte der I-Pace gerade einmal mit 7,2 kW geladen werden, an vielen heimischen Ladestationen sogar nur mit 4,6 kW. Eine volle Ladung dauerte damals 21 Stunden – also annährend so lange wie eine Brexit-Verhandlungsrunde.

Optisch wirkt der I-Pace wie eine Kreuzung aus SUV und Sportlimousine.

Bei den Sicherheitssystemen ist der Brite auf der Höhe der Zeit.
Gut, dass Jaguar den I-Pace überarbeitet hat. Die 2021er-Version lädt an AC-Säulen mit den branchenüblichen 11 kW. An DC-Schnellladestationen sind sogar bis zu 100 kW drin, damit lädt der Jaguar in 40 Minuten auf 80 Prozent. Nur an der Steckdose dauert es nach wie vor 40 Stunden.
Bei der Ausfahrt weiß die Neuauflage zu überzeugen: Die Bremse braucht man dank der starken Rekuperation eher selten. Mit je einem Elektromotor an beiden Achsen verteilt der Jaguar seine Kraft von 294 kW (400 PS) perfekt. Wem das zu viel Leistung ist, kann neuerdings auch eine Variante mit 320 PS bestellen. In der Praxis bringt den starken Antrieb selbst eisiger Untergrund nicht ins Schleudern. Das ist ganz große Ingenieurskunst.
Während draußen die Diesel dicke Abgaswolken in die kalte Umwelt blasen, schickt mir dieser Jaguar ionisierte Luft in den Innenraum. 15 Lautsprecher und Subwoofer von Meridian sorgen für musikalische Begleitmusik. Das ist das Upperclass-Feeling, das man von der Marke erwartet.
Die Geländeerfahrung der Schwestermarke Land Rover kommt dem Jaguar zugute. Durch die Luftfederung (Aufpreis: 1612 Euro) bewegt sich der Testwagen mühelos über alle Unebenheiten und sehr geschmeidig durch die Kurven. Überhaupt schlagen die gesammelten Erfahrungen des traditionsreichen Autobauers beim Straßenempfinden durch: Bei den Fahreigenschaften kann die elektrische Konkurrenz aus Kalifornien nicht mithalten.
Anders sieht es beim Verbrauch aus. Denn auch in der Neuauflage zeigt sich dieser Brite so durstig wie ein Pub-Besucher nach dem Lockdown. Bei eisigen Temperaturen steigt der Verbrauch auf der Kurzstrecke sogar locker über die 30 kWh, was allerdings auch der verzerrenden Wirkung der Heizung geschuldet ist. Realistisch landet man bei circa 27 kWh, was immer noch viel ist, aber für ein leistungsstarkes Elektroauto im Winter auch nicht unüblich. Der Jaguar hat es hier deutlich schwerer als die im Sommer getestete Konkurrenz.
Die Ladung ist erstaunlich unkompliziert. An einer öffentlichen Ladestation tanke ich in dreieinhalb Stunden etwa 39 kWh – was ziemlich genau der versprochenen Geschwindigkeit von 11 kW entspricht. Öfter laden muss ich in den 14 Tagen nicht, der I-Pace hat mit seinen 90 kWh eine riesige Batterie. Die reicht bei idealen Voraussetzungen für bis zu 470 Kilometer. Im Stadtverkehr bei minus fünf Grad und mit eingeschalteter Heizung schrumpft die Reichweite auf knapp 300 Kilometer zusammen. Für die gängigen Strecken in Homeoffice-Zeiten reicht das immer noch eine Weile.

Innen ist der Jaguar elegant und modern, wie man es von der Marke erwartet.

Der Jaguar wird vom Wintereinbruch überrascht.
Wer doch mal längere Strecken fährt, kann sich seine Route im überarbeiteten Multimediasystem ausrechnen lassen. In den Tiefen des Systems hat Jaguar nicht nur eine Analyse der Fahrdaten versteckt, sondern auch kleine Rennsporthelfer wie eine Stoppuhr für Rundenzeiten oder eine Anzeige der Fliehkräfte.
Allein an den britischen Meilen will das System partout festhalten. Bei jeder Fahrt muss ich die Anzeige wieder in Kilometer ändern. Eine Kinderkrankheit, die Jaguar mit dem nächsten Update, das anders als bei vielen Konkurrenten auch online möglich ist, beseitigen sollte.
Für die Reichweitenanzeige wäre es noch egal, aber die Anzeige des korrekten Tempolimits hilft, diesen Test ohne ein Erinnerungsfoto der örtlichen Polizeibehörde zu beenden. Denn in nur 4,8 Sekunden sprintet dieser Jaguar auf 100 Stundenkilometer. Und Geschwindigkeit kann man in diesem Auto kaum wahrnehmen, so ruhig und reibungslos beschleunigt der I-Pace hoch. Die schiere Kraft setzt er elegant an.
Bei aller Dynamik ist dieser Jaguar kein unbequemer Rennwagen. Der Innenraum ist in einem modischen Mix aus schwarzem Leder und Aluminium gehalten. Die Anzeigen hinter dem Lenkrad sind volldigital, in der Mittekonsole prangt der übliche 12,3-Zoll-Touchscreen. Selbst in den Drehreglern sind digitale Anzeigen verbaut, mit denen sich Klimaanlage und Sitzheizung steuern lassen.
Von einer Funktion verspreche ich mir besonders viel: Der Jaguar lässt sich per App oder am Bordcomputer vorheizen oder -kühlen. Während es verboten ist, den Verbrennungsmotor länger im Stand laufen zu lassen, haben Elektroautos dieses Problem nicht.

Gegen das zentimeterdicke Eis ist auch die Vorheizfunktion hilflos.

Der Jaguar bietet allerlei Assistenten für die Rennstrecke.
Mit diebischer Vorfreude stelle ich die Abfahrtszeit für den nächsten Tag ein. Vor meinem inneren Auge sehe ich folgenden Film ablaufen: Während die Nachbarn mit kalten Händen das Eis von der Scheibe kratzen, um dann ins kalte Auto zu steigen, werde ich mit dem vorgeheizten Jaguar lautlos an ihnen vorbeiziehen, winkend wie die Queen ...
Die Ernüchterung folgt am nächsten Morgen. Denn gegen mehrere Zentimeter Neuschnee ist leider auch die beheizte Frontscheibe machtlos. Das Auto ist zwar im Innenraum kuschelig vorgeheizt, die Scheibe zwar nicht mehr vereist, aber außen leider noch mit Schnee bedeckt. Ein hilfsbereiter Nachbar leiht mir seinen Schneekratzer. Na toll!
Falls Sie sich wundern, dass der I-Pace auf den Bildern etwas dreckiger ist als üblich: Das ist nicht nur den Massen an Schneematsch geschuldet, durch die der I-Pace sich kämpfen musste. Leider hat der Brite mir auch einen eher unangenehmen Besuch in der Waschstraße beschert.
Nachdem drei Mitarbeiter den Jaguar mit Hochdruckreinigern von seiner Schneehülle befreit hatten, blockierte auf der Fahrrinne leider immer wieder das Hinterrad. Dabei war der N-Gang eingelegt, die Parkbremse gelöst, und selbst die Notbremsassistenten hatte ich ausgeschaltet. Im Handbuch werde ich auch nicht fündig, woran es liegen könnte. Unter den Blicken des genervten Personals und dem Hupen der wartenden Autos hinter mir muss der I-Pace am Ende durch die ausgeschaltete Anlage manövriert werden – und ungewaschen zum Fotoshooting.

Auch glatter und unebener Untergrund bereitet dem I-Pace keine Probleme.

Mit der Neuauflage lässt sich der I-Pace an AC-Ladestationen auch mit 11 kW laden.
Bei den Assistenten kann der Brite dagegen überzeugen. Der adaptive Fahrassistent fährt sicher und vorausschauend wie gewünscht. Die verbauten Kameras erlauben es, den I-Pace mit seinen fast 4,70 Meter Länge einigermaßen souverän einzuparken. Auch bei schlechter Witterung ist das Bild hochauflösend und präzise, obwohl einige der Sensoren auf dem (verschneiten) Dach sitzen. Auch der Wendekreis für ein Auto dieser Größe mit zwölf Metern in Ordnung.
Ebenfalls vorbildlich: der Kofferraum. Da die Batterie im Unterboden verbaut ist, kommt der Jaguar auf 656 Liter Staufläche, die allerdings nach oben durch die Kofferraumabdeckung reduziert werden. Bei umgeklappter Rückbank sind sogar 1453 Liter möglich. Die Kabel können problemlos unter der Motorhaube verstaut werden – sehr praktisch.
Mit seiner Dynamik und dem komfortablen Innenraum ist der I-Pace damit durchaus ein Konkurrent für die deutschen Premiumriesen. Allerdings ist der Preis des Testwagens mit 100.359 Euro auch so sportlich wie das Auto selbst. Von den Einstiegsvarianten können zwar noch 7500 Euro Kaufprämie abgezogen werden. Aber teuer bleibt der Jaguar. Den Härtetest des deutschen Winters kann dieser Brite dafür locker bestehen.
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Technische Daten
Fünftüriges, fünfsitziges Crossover der oberen Mittelklasse
- Länge: 4,68 Meter
- Breite: 2,01 Meter (mit Außenspiegeln: k. A.)
- Höhe: 1,56 Meter
- Radstand: 2,99 Meter
- Kofferraumvolumen: 656 bis 1453 Liter
- Antrieb: zwei permanenterregte Synchronmotoren
- jeweils 147 kW (200 PS); Systemleistung: 294 kW (400 PS)
- maximales Drehmoment: 348 Nm; Systemdrehmoment: 696 Nm
- 0–100 km/h: 4,8 s
- Vmax: 200 km/h (abgeregelt)
- Durchschnittsverbrauch: 21,2 kWh/100 km
- CO2-Ausstoß: 0 g/km
- Batteriekapazität: 90,2 kWh
- Reichweite: 470 km (WLTP)
- Laden: Wallbox (11 kW) ca. 8,6 h, Schnellladen (100 kW) 40 min (80 Prozent)
- Grundpreis: 87.500 Euro
- Preis des Testwagens: 100.359 Euro
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Ich fahre den iPace seid genau einem Jahr. Ein sehr gelungenes Auto, aber......... Die DC-Schnellladung wird bei Jaguar mit 100 kW angegeben. Leider werden nie mehr als 79 kW erreicht. Teilweise sogar nur knappe 50 kW. Jaguar fehlt die Langzeiterfahrung, und regelt die Ladeleistung an den öffentlichen Schnellladesäulen daher gerne auf eine niedrigere Leistung runter. Diese Tatsache lässt sich in allen einschlägigen Foren nachlesen, und ist angesichts des Kaufpreises eine Unverschämtheit. Noch besser wird es wenn sich der enttäusche Jaguarkunde an den "Premiumhändler" seines Vertrauens wendet, und nur Schulterzucken entgegengebracht bekommt. Jaguar? Ganz bestimmt nie wieder!
Bei so vielen Vorteilen muss man sich echt überwinden, das Auto nicht zu kaufen. Ist ja auch recht günstig. Toller verspiegelter und verschnörkelter Innenaum, da hält man sich gerne auf.