Accenture-Chefberater Correia „Kann ich einer Marke vertrauen?“

Produkte für eine anspruchsvolle Zielgruppe.
London Produkte wie Adidas-Schuhe aus wiederverwertetem Plastikabfall zielen auf eine anspruchsvolle Zielgruppe. Die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, trägt viele Namen. Einer davon lautet: „Millennials“. Die nach 1980 Geborenen sind von der Zeit der Jahrtausendwende geprägt worden. Marketing-Experten sind sich einig: Es handelt sich dabei um eine Generation, die über soziale Kontaktnetze wie Facebook diskutiert, die bestens informiert ist – und höhere Erwartungen an Marken hat. Die Konferenz „Millennial 20/20“ in London beschäftigt sich in dieser Woche mit der Frage, wie Konsumgüter-Hersteller ausgerechnet diese Generation erreichen können. Die Konferenz findet das erste Mal statt – unterstützt von der Beratung Accenture. Deren globaler Chefberater für Konsumgüter, Teo Correia, spricht im Interview über diese Zielgruppe.
Herr Correia, es heißt, das Besondere an Millennials sei, dass sie sich nur mit authentischen, verantwortungsbewussten Marken und Unternehmen abgeben wollen. Ist das überhaupt neu? Gab es jemals eine Generation junger Menschen, die sich mit bösartigen Misanthropen umgeben wollte?
Ich sehe Millennials weniger als eine Altersgruppe, sondern als eine Gruppe, die sich über bestimmte Verhaltensweisen definiert. Sie haben Recht, dass Menschen immer schon in bestimmten Lebensphasen besonders werteorientiert waren. Was sich geändert hat: Mit Facebook und anderen Netzwerken können sie heute so sozial verknüpft sein wie nie zuvor. Andere Wünsche sind potenziert worden: etwa das Verlangen nach personalisiertem VIP-Service statt Massenabfertigung. Die Digitalisierung potenziert also vorhandene Verhaltensweisen, und die sozialen Netze öffnen Türen zu ganz neuen sozialen Praktiken.

Teo Correia ist Senior Managing Director für Konsumgüter beim Beratungsunternehmen Accenture.
Welcher Prozentsatz aller Konsumenten sind nach dieser Definition Millennials?
Dazu kenne ich keine Erhebung. Aber die Verhaltensweisen von Millennials aggregieren eigentlich Dinge, die wir bei fast allen Konsumentensegmenten finden. Das macht diese Gruppe so wichtig für Konsumgüter-Hersteller, um ihre Kunden zu verstehen.
Sind wir irgendwann alle Millennials?
Nach Verhaltensweisen vielleicht. Jedenfalls hat jeder etwas von einem Millennials. Auch viele ältere Menschen wollen VIP-Service und gesunde Produkte – auch wenn sie vielleicht nicht die sozialen Netzwerke nutzen. Millennials werden in jedem Fall ein immer wichtigeres Segment für Konsumgüteranbieter – weil immer mehr Menschen mit höherem Einkommen dazukommen. Inzwischen sind viele einst ganz junge Millennials im heiratsfähigen Alter und konsumieren entsprechend mehr.
Haben Millennials mehr Spaß am Konsum als andere Gruppen?
Sie trachten mehr nach dem Konsumerlebnis als nach dem reinen funktionellen Konsum. Daher wird auch Service wichtiger. Millennials legen daneben Wert auf Dinge, die übers Produkt hinausgehen – Nachhaltigkeit zum Beispiel. Kann ich einer Marke vertrauen, weil sie sich um die Umwelt kümmert und meine Daten schützt?
Sind das klar definierte Wünsche?
Wir sehen fluide Konsumenten – sie verhalten sich am Mittwoch anders als am Samstag. Das macht es schwerer, Angebote für genau umrissene Zielgruppen zu entwerfen. Millennials ändern ihre Verhaltensweisen stärker als andere Gruppen.
Können überhaupt alle Marken Millennial-Marken werden? Oder kann ein Hersteller einfach sagen: Wir sind eben nicht bio, nachhaltig oder gesund – Millennials sind nicht unsere Zielgruppe?
Heute sind diese Punkte noch Unterscheidungsmerkmale. Jeder spricht über Gesundheit, aber noch nicht alle über Nachhaltigkeit. Mittelfristig wird das aber zur Norm, die die Konsumenten erwarten.
Könnte ein Marken-Manager sich dem entziehen?
Nein, wie gesagt: Teile von Verhaltensweisen von Millennials treffen auf fast alle Konsumenten zu. Wer Millennials nicht ansprechen kann, verliert auch andere Kunden. Wer heute bewusst Millennials ansprechen möchte, will meistens Leute mit Smartphone, die online einkaufen, ansprechen. Doch das gilt heute auch für viele Senioren.
Ist das ein Wohlstandsthema, oder betrifft das auch die Schwellenländer?
Die gesättigten Märkte betrifft es mehr, aber nicht ausschließlich. In meinem Heimatland Brasilien etwa sind Millennials ein großes Thema. In China gibt es ebenfalls viele „Early Adopters“ – meine Kollegen dort kaufen inzwischen zum Teil fast ausschließlich online.
Reicht es, Marketing-Budgets von TV zu sozialen Medien umzuschichten?
Marketingleute müssen heute fast so viel von Technik verstehen wie der Technikvorstand. Sie nutzen weniger TV, dafür viel mehr andere Medien. Das macht es komplex. Es ist oft schwierig, die Daten aus unterschiedlichen Medien zu einer einzigen Kundendatei zu verschmelzen. Viele Agenturen bringen diese Daten noch nicht zusammen.
Für die neuen Kanäle brauche ich auch Inhalte. Wie mache ich das über mehrere Jahre? Irgendwann habe ich ja zum Beispiel alles über einen Schokoriegel erzählt…
Es geht dabei um das Marken-Erlebnis. Über Bier kann man auch wenig erzählen. Aber wenn man es mit Sport zusammenbringt, kann man viel erzählen. Es geht weniger ums Produkt als um das Erlebnis. Darüber hinaus ist es wichtig, viele Berührungspunkte zu den Konsumenten zu schaffen. Man muss eine Marke weiten, damit sie nicht verschwindet. Traditionelle Marken wie Dove stehen in Aufmerksamkeitskonkurrenz mit Dingen wie Facebook.
Was heißt das?
Einige Marken werden weniger sichtbar, wenn Maschinen selbst für Nachschub sorgen. Zum Beispiel dann, wenn etwa das Waschmittel direkt in der Waschmaschine enthalten ist und daraufhin automatisch nachbestellt wird. Dann hat der Konsument keine Berührung mehr mit der Marke. Daher muss ich mir überlegen, wie die Marke dennoch relevant für den Konsumenten bleibt. Die Waschmaschine kann dem Markenhersteller etwa übermitteln, auf welche Weise der Nutzer das Pulver verwendet. Und die Marke kann dem Konsumenten dann zurückspielen, wie er Energie sparen kann. Das schafft Relevanz. Die Inhalte des Gesprächs sollten sich nicht auf das Produkt, sondern auf die Markenerfahrung fokussieren.
Herr Correia, vielen Dank für das Interview.
Seit Juni 2015 ist Teo Correia Senior Managing Director für Konsumgüter beim Beratungsunternehmen Accenture. Er leitet damit von London aus die rund 3000 Accenture-Berater in der Branche. Er hat in seiner Karriere mehrere Jahre selber als Berater Unilever gearbeitet. Der britisch-niederländische Konzern vertritt weltweit Marken wie Dove, Axe/Lynx und Knorr. Der Brasilianer ist seit 1988 bei Accenture tätig.