Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Airline-Insolvenz War der Millionen-Kredit des Bundes für Air Berlin wirklich nötig? Die Zweifel wachsen

Vor fast einem Jahr meldete die zweitgrößte deutsche Airline Insolvenz an. Die Einzelteile von Air Berlin sind verscherbelt – doch viele Fragen bleiben weiter offen.
09.08.2018 - 15:32 Uhr 1 Kommentar

„Es fehlt an allem “ – die Bilanz nach einem Jahr Air-Berlin-Pleite

Berlin, Frankfurt Für die deutsche Luftfahrt war es ein schwarzer Tag. Am 15. August 2017 musste Air Berlin, die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, Insolvenz anmelden. Dabei hatte die Airline noch kurz zuvor mit der Rabattaktion „Willkommen zurück!“ Kunden animiert, bis zum 14. August neue Flüge zu buchen. Vergeblich, wie sich herausstellte.

Ein Jahr später sind die Einzelteile der Fluggesellschaft verscherbelt, doch viele Fragen weiter offen. Vor allem eine: War der mit Steuergeldern finanzierte Kredit über 150 Millionen Euro, von dem der Bund bislang nicht einmal die Hälfte zurückgezahlt bekommen hat, wirklich nötig? Die Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linken und ein Gutachten des Bundesrechnungshofes wecken Zweifel.

Der Abgeordnete Pascal Meiser hatte gefragt, ob es stimme, dass Air Berlin zum Zeitpunkt der Insolvenz noch über Liquidität in größerem Umfang – konkret 80 Millionen Euro – verfügt habe. Die Antwort des Wirtschaftsministeriums: „Die Bundesregierung war über die Liquiditätssituation bei der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (Kreditnehmer) zum Zeitpunkt 15. August 2017 und auch danach informiert.“

Und weiter: „Die Vertreter der Air Berlin hatten angegeben, dass die vorhandene Liquidität für eine dauerhafte Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs nicht ausreicht, da erheblich Defizite erwirtschaftet wurden.“

Eine irritierende Aussage. Zwar wird die Existenz der 80 Millionen Euro nicht bestätigt, sie wird aber auch nicht dementiert. Am Tag der Pleite hatte der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sogar erklärt, Air Berlin habe nach wie vor Eigenmittel: „In Kombination mit den verfügbaren Mitteln und dem Kredit des Bundes gehen wir davon aus, dass der Flugverkehr bis Ende November gesichert ist.“

Ein Gutachten indes gab es zu der Zeit noch nicht. Die Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse Coopers (PwC) übermittelten erst am 17. August 2017 die „finale gutachterliche Vorlage zur Übernahme einer Bundesgarantie“.

„Die Bundesregierung muss endlich alle Fakten und insbesondere das der Kreditvergabe zugrunde liegende Gutachten von PricewaterhouseCoopers offenlegen“, fordert Wirtschaftspolitiker Meiser. „Nur so lässt sich seriös beurteilen, ob die 150 Millionen Euro tatsächlich notwendig waren oder ob sich Dritte aus der Insolvenzmasse großzügig bedient haben.“ Die Regierung indes hat „rechtliche Bedenken“. Meiser verweist auch darauf, dass Ex-Vorstandschef Thomas Winkelmann sein Gehalt von 4,5 Millionen Euro bis 2021 weitergezahlt bekommen sollte. Der Verdacht einer „mutwilligen Steuerverschwendung in Millionenhöhe“ stehe somit weiter im Raum.

„Kein vergleichbarer Fall bekannt“

Richtig ist, dass 80 Millionen Euro auf dem Konto kaum für eine Weiterführung des Betriebs von Air Berlin gereicht hätten. Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) zum Beispiel verlangt regelmäßig den Nachweis, ob eine Airline ausreichend Mittel etwa für die Wartung der Jets hat. Dies geschah bei Air Berlin laut Regierung seit 2016 wöchentlich.

„Selbst wenn Air Berlin am Tage der Insolvenzanmeldung noch 80 Millionen Euro an liquiden Mitteln gehabt haben sollte, so ist das für ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 3,8 Milliarden Euro ein vergleichsweise geringer Betrag“, sagt Christoph Niering, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Partner von Niering Stock Tömp Rechtsanwälte. „Der Liquiditätsbedarf ist erheblich, da die Systempartner sofort Vorkasse verlangen.“

Gehört es aber zur Aufgabe einer Regierung, mit Steuergeldern den Betrieb aufrechtzuerhalten? Im Wahlkampf scheint es zumindest opportun, wie der Fall zeigt. Seinerzeit lief das Rennen um Wähler auf Hochtouren, und es drohte, dass gestrandete Urlauber ihrem Frust auf dem Wahlzettel Luft verschaffen könnten.

Insolvenzspezialist Niering hat indes Zweifel an der Sinnhaftigkeit: „Die Tatsache, dass die Bürgschaft sofort nach dem Insolvenzantrag zugesagt wurde, ist sehr außergewöhnlich. Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt“, sagt er und fügt hinzu: „Die Frage ist berechtigt, ob der Staat im Fall einer Insolvenz in dieser Art eingreifen sollte. Dies umso mehr, wenn die staatliche Hilfe nicht zum Erhalt des Unternehmens, sondern nur zu dessen geordneter Abwicklung eingesetzt wird.“

Brigitte Zypries (SPD), im August vergangenen Jahres Bundeswirtschaftsministerin, begründete den Weiterbetrieb der Airline und die dazu erforderliche Bürgschaft zum einen mit der Gefahr, dass sonst Passagiere im Ausland stranden würden. „Das hätte bedeutet, dass viele Urlauber nicht mehr nach Hause gekommen wären“, sagte sie dem Handelsblatt noch am Tag der Insolvenzanmeldung. Tags zuvor war laut Bundesregierung die Entscheidung für den Kredit gefallen.

Theoretisch hätte die vorhandene Liquidität noch gereicht, um die Fluggäste zurück nach Deutschland zu holen. Allerdings wäre das zulasten der Masse gegangen, ein heikles Unterfangen. „Der Sachwalter ist allein den Gläubigern verpflichtet“, erklärt Niering. „Wenn das Management beziehungsweise der Generalbevollmächtigte die Notwendigkeit einer Kreditaufnahme glaubhaft machen kann, um die zukünftige Insolvenzmasse vor Schäden zu schützen, dann ist es die Aufgabe des Sachwalters, dem zuzustimmen.“

Doch auch wenn bei einer sofortigen Betriebsstilllegung von Air Berlin Tausende von Passagieren auf Kosten des Steuerzahlers hätten nach Hause gebracht werden müssen, rechtfertigt das nicht den Kredit. Er mag für den Steuerzahler unter dem Strich zwar sogar günstiger sein als die Rückholaktion.

Doch Experten sind sich einig: Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, mithilfe von Steuergeldern die Masse in einem Insolvenzverfahren zu schützen. Genau das ist aber im Fall von Air Berlin geschehen.

Zum anderen begründete die Wirtschaftsministerin den Kredit mit der Sicherung der rund 8000 Jobs bei Air Berlin. Zypries hatte sich wie auch ihr Kollege Dobrindt sofort dafür starkgemacht, dass große Teile der Airline beim europäischen Branchenführer Lufthansa landen sollten. „Die Lufthansa ist ein Champion im Luftverkehr – ihre Position kann jetzt aber noch gestärkt werden“, so Zypries damals. Der Kredit schaffe die Voraussetzung, den Betrieb weiterzuführen und die Verhandlungen mit Lufthansa zu finalisieren.

Doch mittlerweile ist klar: Der Kredit hat keinen Arbeitsplatz gesichert. Denn die Käufer – sowohl Lufthansa als auch Easyjet – haben beim Erwerb von Teilen von Air Berlin tunlichst einen Betriebsübergang gemieden, bei dem Mitarbeiter ihre Rechte wahren können. Mit Ausnahme der komplett von Lufthansa übernommenen kleinen Air-Berlin-Tochter LGW mussten sich alle Beschäftigten neu bewerben. Dabei wurde sogar monatelang darum gerungen, in welcher Form die Berufsjahre etwa des fliegenden Personals angerechnet werden können. Ähnlich wäre es wohl abgelaufen, hätte Air Berlin sofort die Flugzeuge am Boden gelassen.

In der Rückschau wäre ein sofortiges Betriebsende sogar für den vermeintlich großen Profiteur der Pleite, Lufthansa, besser gewesen. Das Gesetz schreibt vor, dass frei werdende Start- und Landerechte (Slots) zur Hälfte den etablierten Anbietern eines Flughafens gegeben werden müssen, auf den Rest dürfen neue Interessenten zugreifen. Da die Lufthansa mit ihren vielen Marken in Deutschland und Europa sehr präsent ist, hätte der Konzern sich viele der Slots sichern können.

Die Übernahme der Jets von Air Berlin musste Lufthansa auch jetzt mit den Leasingfirmen verhandeln. Und kartellrechtlich wäre eine Übernahme von Teilen auf diesem Weg wohl kein Thema gewesen. Kein Wunder, dass Lufthansa-Chef Carsten Spohr längst mit der Feststellung zitiert wird, dass die Nummer eins ohne die Staatshilfe mehr von der Nummer zwei erhalten hätte.

Der Bundesrechnungshof schweigt

Selbst der Plan von Zypries und Dobrindt, den „Champion“ Lufthansa zu stärken, wurde nicht erreicht. Laut Luftverkehrsverband BDL ist der Marktanteil der deutschen Airlines von fast 60 Prozent im ersten Halbjahr 2017 auf 56,7 Prozent gefallen. So haben mit Easyjet und Ryanair zwei Billigairlines aus dem europäischen Ausland durch die Pleite stärker Fuß fassen können. Sie werden ihre Präsenz ausbauen und der „Hansa“ in der Heimat das Leben schwer machen.

Inzwischen hat auch der Bundesrechnungshof die Prüfung der Air-Berlin-Pleite abgeschlossen – und schweigt. Die Ergebnisse liegen seit Juli in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags mit dem Hinweis „VS – nur für den Dienstgebrauch“. VS steht für „Verschlusssache“, wonach die Veröffentlichung der Inhalte „der Bundesrepublik Deutschland Schaden zufügen kann“, wie die Prüfer in ihrem Anschreiben an die Haushaltspolitiker des Bundestags begründen. Die Prüfer hatten die „Gewährleistung des Bundes für ein Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau an Air Berlin“ untersucht, so der Titel.

Noch immer hofft der Bund, die gesamten 150 Millionen Euro zurückzubekommen. Doch bislang sind es nur 74,4 Millionen Euro, wie das Wirtschaftsministerium bestätigt. Es verweist darauf, der Kredit entspreche den Vorgaben der EU-Leitlinien zur Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe und sei auch von der EU-Kommission notifiziert. „Beim Abschluss des Kreditvertrags wurden alle rechtlich möglichen und wirtschaftlich sinnvollen Kreditsicherheiten berücksichtigt, um die Rückzahlung des Massekredits sicherzustellen.“

Und als wolle das Ministerium nicht allein verantwortlich sein, verweist es darauf, dass der Kredit vom Kanzleramt sowie vom Finanz-, vom Wirtschafts- und vom Verkehrsministerium „gemeinsam auf den Weg gebracht worden“ sei. Auch der Mandatar des Bundes, PwC, sei eingebunden gewesen. Für das Wirtschaftsressort soll dies ein Freispruch sein. „Alle sind zu der Auffassung gelangt, dass sowohl der Kredit als auch die Sicherungsmaßnahmen angemessen sind“, rechtfertigt das Haus den politischen Eingriff ins Verfahren.

Startseite
1 Kommentar zu "Airline-Insolvenz: War der Millionen-Kredit des Bundes für Air Berlin wirklich nötig? Die Zweifel wachsen"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Einen Punkt den das Handelsblatt noch vergessen hat, ist warum wurde die Bürgschaft der Länder im Juni 2017 nicht angenommen? Da sagte man, das braucht man am Saatwinkler Damm nicht .. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/air-berlin-krisen-fluggesellschaft-verzichtet-auf-staatsbuergschaft-a-1153197.html

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%