Anklage gegen Anton Schlecker Teure Geschenke
Anton Schlecker: Brachte er 20 Millionen in Sicherheit?
Düsseldorf Als Meike Schlecker den Raum betrat, begann sofort das Blitzlichtgewitter der Fotografen. Kameraleute schoben sich gegenseitig aus dem Weg, um sich den besten Blickwinkel zu sichern. Es war der 30. Januar 2012. Der einst größte Drogeriekonzern Europas hatte in der verglasten Ehinger Konzernzentrale zur ersten Pressekonferenz seit mehr als zwei Jahrzehnten geladen. Der Grund: Schlecker war seit einer Woche pleite.
Meike Schlecker platzierte sich in der Mitte des Podiums, saß eingeklemmt zwischen Schleckers Finanzchef Sami Sagur und Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. Vor ihr standen auf einer ungebügelten Tischdecke bunte Mikrofone. Die 38-Jährige, schwarzer Blazer, glitzernde Ohrringe, glattes blondes Haar, sprach mit dünner Stimme, ließ nervös einen Stift zwischen den Fingern kreisen. Sie wirkte demütig, niedergeschlagen.

„Es ist nichts mehr da.“
Nur einmal änderte sie ihren Tonfall. Eine Reporterin fragte, warum die Schleckers eine offene Rechnung von 22 Millionen Euro nicht einfach beglichen hätten, um die Insolvenz zu verhindern. „Ich glaube, Sie haben das nicht verstanden“, blaffte die Schlecker-Tochter. „Es ist nichts mehr da.“
Es war ein Satz, der noch lange nachhallte. Anton Schlecker galt lange Jahre als einer der reichsten Menschen der Republik. Der Mann glich einem Phantom. Zwar tauchte der Drogeriekönig nach Angaben von Mitarbeitern mindestens einmal pro Woche unangekündigt in irgendeiner seiner abertausenden von Filialen auf. Doch Pressefotografen scheiterten jahrelang daran, auch nur ein aktuelles Bild von ihm zu schießen.
Noch 2011 schätzte das US-Magazin „Forbes“ sein Vermögen auf 3,1 Milliarden US-Dollar. Dass im Januar 2012 nichts davon mehr da war, schien unwahrscheinlich – zumal bei der besonderen Firmenkonstruktion, die Schlecker gewählt hatte. Als „eingetragener Kaufmann“ haftete der Milliardär mit seinem Privatvermögen.
Wenn das Unternehmen Schlecker die Gläubiger nicht mehr bezahlte, musste das auch heißen, dass der Privatmann Schlecker blank war. Konnte das wirklich wahr sein?
Ehingen am 18. Juli 2012, fünf Monate nach Meike Schleckers wehmütigem Satz. Fahnder der Staatsanwaltschaft Stuttgart fuhren bei der Schlecker’schen Villa vor, sicherten Unterlagen und Dateien. Bundesweit waren 160 Ermittler im Einsatz. Sie durchsuchten 18 Wohnungen und vier Geschäftsräume. Routinemäßig, sagte die Staatsanwaltschaft Stuttgart, habe man die Insolvenz überprüft. Dabei habe sich ein Anfangsverdacht ergeben. Auf Untreue, Bankrott und Betrug. Und der Verdacht sollte sich erhärten. Mehr als dreieinhalb Jahre später ist aus dem Verdacht eine Anklageschrift geworden. Auf mehr als 250 Seiten wirft die Staatsanwaltschaft der Familie Schlecker insgesamt 45 Straftaten vor.

Ermittler transportieren am 18. Juli 2012 in Ehingen aus einem Anwesen des Gründers der Drogeriemarkette Akten ab.
Meike und Lars Schlecker sollen sich demnach der gemeinschaftlichen Untreue, Insolvenzverschleppung und Beihilfe zum Bankrott schuldig gemacht haben. Im Zusammenhang mit ihren Namen tauchen immer wieder drei Buchstaben auf: LDG.
Die Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft (LDG) machte gute Geschäfte mit Anton Schlecker. Das Unternehmen mit seinen 600 Mitarbeitern bot Schlecker Logistikdienstleistungen wie die Lagerverwaltung an. Die Gesellschafter der LDG hießen Meike und Lars Schlecker.
Die Fahnder stimmte das misstrauisch. Die LDG, so ihr Verdacht, hatte möglicherweise noch eine gänzlich andere Funktion. Über das Logistikunternehmen soll Anton Schlecker sukzessive Millionen auf seine Kinder übertragen haben, indem er ihnen überhöhte Preise zahlte. Sollte das ein Gericht genauso sehen, hätte sich Anton Schlecker des vorsätzlichen Bankrotts schuldig gemacht – und seine Kinder der Beihilfe.
Denn statt dem Vater einen Familienrabatt einzuräumen, schickten die Kinder offenbar wahre Wucher-Rechnungen nach Ehingen. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz kam zu dem Schluss, dass die Preise deutlich überteuert waren. Nach Schätzungen der Einzelhandelsgewerkschaft Verdi geht es um Millionenbeträge.
Die LDG erwirtschaftete zwischen 2006 und 2010 Jahr für Jahr traumhafte Umsatzrenditen von bis zu 40 Prozent, während die Drogeriekette Schlecker teils tiefrote Zahlen schrieb. Es war ein Phänomen, das sich mit besonders geschickter Unternehmensführung der Kinder nicht allein erklären lassen mag.
In den Augen der Staatsanwälte sind die überhöhten Zahlungen ohne Gegenleistung nichts anderes als ein Geschenk – und angesichts einer schon seit 2009 drohenden Pleite eine Bankrott-Straftat.
Die Fahnder entdeckten noch mehr. Das Schlecker-Reich brach im Januar 2012 zusammen. Im gleichen Monat entschieden die LDG-Gesellschafter Meike und Lars Schlecker per Gesellschafterbeschluss laut Staatsanwaltschaft, sich Gewinne plus die fällige Kapitalertragsteuer auszuzahlen. Kurze Zeit später gingen laut der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft jeweils über zwei Millionen Euro auf den Privatkonten der beiden ein. Die Ermittler sehen in diesem etwaigen Griff in die Kasse eine gemeinschaftliche Untreue. Die LDG war demnach bereits Ende 2011 überschuldet.
Davon unbeeindruckt soll selbst Monate nach der drohenden LDG-Insolvenz noch ein hübsches Sümmchen von der LDG an Schleckers Ehefrau Christa geflossen sein. Ein Beratervertrag machte es wohl möglich. Im Juni durfte sich die Matriarchin laut Staatsanwaltschaft über 50.000 Euro freuen. Dabei trat im selben Sommer die Insolvenz ein.
Zu den Vorwürfen wollten sich auf Anfrage des Handelsblatts keiner der Schlecker-Anwälte äußern. Auf die namhaften Strafverteidiger wartet ein Mammut-Verfahren, wenn die umfangreiche Anklage in Gänze zugelassen werden sollte. Für die Schlecker-Juristen Klaus Volk und Norbert Scharf ein Déjà-Vu: Gemeinsam haben sie in den vergangenen Jahren schon den epischen Sal. Oppenheim-Prozess mit 126 Verhandlungstagen durchgestanden.
Und auf die Verteidiger kommt noch mehr Arbeit in Sachen LDG zu. Denn als es in der Schlecker-Zentrale zunehmend ungemütlich wurde, gab die LDG Schlecker einen üppigen Kredit von 50,7 Millionen Euro.
Die Höhe des Darlehens und die Schieflage des Schlecker-Imperiums trieben den Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young die Schweißperlen auf die Stirn. Sie vermerkten im LDG-Jahresabschluss für 2010: „Die Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens hängt entscheidend von der Werthaltigkeit dieser Darlehensforderung ab.“
Nun sind Kredite an Unternehmen nichts Ungesetzliches. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stört sich allerdings daran, wie die Schleckers mit diesem speziellen Kinder-Vater-Kredit umgegangen sein sollen.
Denn Anton Schlecker soll das Darlehen der LDG laut Staatsanwaltschaft in seiner Bilanzen für 2010 als Eigenkapital angegeben haben – was es nicht war. Gelder, die ein Unternehmen zurückzahlen muss, sind Fremdkapital. Auch die stillen Beteiligungen seiner Kinder in Höhe von 270 Millionen Euro soll Anton Schlecker demnach fälschlich als Eigenkapital ausgewiesen haben.
So stand in der Bilanz eine Eigenkapitalquote von 35 Prozent – nach Ansicht der Ermittler das Fünffache der tatsächlichen Quote. Die Staatsanwaltschaft hat Anton Schlecker deshalb auch der unrichtigen Darstellung nach dem Publizitätsgesetz bezichtigt. Die beiden Wirtschaftsprüfer, die diese Bilanz als zutreffend begutachteten, sollen sich ebenfalls verantworten.
Für Schlecker besonders ärgerlich: Finanziell hat er längst Abbitte geleistet. Wegen Vermögensübertragungen überwies die Familie zehn Millionen Euro an den Insolvenzverwalter. Vor der Strafverfolgung schützte Schlecker dies freilich nicht.
Im Gegenteil. Die Experten der Stuttgarter Schwerpunktstaatsanwaltschaft wollen Anton Schlecker auch wegen seiner Ausführungen vor dem Amtsgericht Ulm belangen.
Dort soll Schlecker im März 2012 ausgesagt haben, er habe in den vergangenen fünf Jahren – über die bereits bekannten Verschiebungen hinaus – keine Vermögen übertragen. Die Staatsanwaltschaft klagt Schlecker deshalb auch wegen einer strafbaren Falschaussage an Eides statt an.
Schleckers Verteidiger wollte auch diesen Vorwurf nicht kommentieren. Fest steht: Sollte das Landgericht die Hauptverhandlung zulassen, wird sich der zurückgezogen lebende einstige Milliardär im Neonlicht des Gerichtssaals den Fragen des Richters stellen müssen.
Der Mann, der auch in seinen erfolgreichsten Jahren die Öffentlichkeit scheute, müsste dann die kriminalistische Aufarbeit seines Lebenswerkes wie seines Niedergangs vor Publikum erdulden.