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Automatisierung Knuspr, Gorillas, Delivery Hero: Können Roboterlager die Lieferdienste profitabel machen?

Die Anbieter liefern sich ein verlustreiches Rennen um die Kunden. Automatisierung könnte die hohen Kosten drücken. Doch es gibt noch Hürden.
09.11.2021 - 12:39 Uhr Kommentieren
Die Anbieter mieten viele sehr kleine Läger an, aus denen sie nur die unmittelbare Nachbarschaft beliefern. Quelle: imago images/Friedrich Stark
Auslieferungslager des Lieferdienstes Gorillas in Dortmund

Die Anbieter mieten viele sehr kleine Läger an, aus denen sie nur die unmittelbare Nachbarschaft beliefern.

(Foto: imago images/Friedrich Stark)

Geesthacht Rote Roboterwagen rollen wie von Geisterhand gesteuert über ein Gitter aus Aluminiumschienen. Knapp sausen sie aneinander vorbei, einer nimmt scheinbar kurz entschlossen eine Abzweigung, bleibt stehen. Schon senkt das gut einen Meter lange Gefährt eine Greifvorrichtung an zwei Stahlbändern in die Tiefe – und befördert Sekunden später eine graue Plastikkiste, gefüllt mit glutenfreien Brötchen, nach oben.

5,40 Meter in die Höhe stapeln sich diese Kisten im automatisierten Versandlager des Online-Händlers Foodoase in Geesthacht bei Hamburg. Für Gründerin Sandra Neuber, die Produkte für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten verkauft, ist die computergesteuerte Anlage einer der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.

„Kosteneffizienz ist im Lebensmittelhandel essenziell. Bei Durchschnittspreisen von drei Euro je Artikel können wir keinen Cent verschenken“, sagt die Unternehmerin. Im Vergleich zum vorherigen Lager, in dem Menschen die Artikel auf Rollwagen legten und damit lange Strecken bewältigen mussten, spart die Technik bis zu zehn Mitarbeiter ein.

Nicht nur bei Foodoase sind automatische Lager der Schlüssel zum Erfolg. Die Automatisierung könnte auch zum Treiber hinter den neuen, schnellen Lebensmittellieferdiensten werden, die sich derzeit ein verlustreiches Rennen um die Kunden in den größeren Städten liefern. Eine Million Euro soll allein der Lieferdienst Gorillas jeden Tag verbrennen, um Supermarktartikel innerhalb von nur zehn Minuten auszuliefern, spekulieren Beobachter.

Hoffnung machen den risikobereiten Investoren in solche Start-ups die erwarteten Größeneffekte – bei der Einkaufsmacht, aber eben auch bei Automatisierungserfolgen. Eines Tages sollen die Unternehmen so effizient arbeiten, dass sie ordentliche Gewinne abwerfen.

Die Lieferdienste sparen mit dem Roboterlager Platz und Personal. Quelle: Foodoase
Automatisiertes Versandlager von Foodoase

Die Lieferdienste sparen mit dem Roboterlager Platz und Personal.

(Foto: Foodoase)

Während alltagstaugliche Lieferroboter auf sich warten lassen, sind automatische Anlagen inzwischen auch für mittelgroße Lager marktreif. „Vor einigen Jahren hat man noch gesagt, unter 100 Millionen Euro Jahresumsatz aus einem Lager brauche man über Automatisierung gar nicht nachzudenken. Das hat sich radikal geändert“, sagt Joachim Kieninger vom Anlagenbauer Elementlogic.

Er vertreibt das System des 1996 in Norwegen gegründeten Herstellers Autostore. Weitere Vertriebspartner machen die Lösung in der Branche populär – etwa Swisslog aus der Schweiz, das derzeit dem Biohändler Rapunzel ein Lager mit der Technik ausstattet.

Eine Investition von einer halben Million Euro ist laut Kieninger für die Lösung von Autostore in einer kleinen Ausführung mindestens nötig – abhängig von der Anzahl der eingesetzten Roboterwagen. Dabei spart der Kunde Foodoase, der auf sieben Millionen Euro Jahresumsatz kommt, viel Miete für Fläche: Im alten Lager lag die Ware meist in ebenerdig zugänglichen Gängen – das kostete fast zehnmal so viel Platz.

Ein weiterer Vorteil des Systems: Weil die Roboter – bei Foodoase sind es 19 – unabhängig voneinander sind, arbeitet das Lager auch dann weiter, falls eines der Geräte ausfällt.

Nach drei Jahren amortisiert sich die Anlage

Unternehmerin Neuber rechnet mit drei Jahren, bis sich die Anlage für ihr Unternehmen bezahlt macht. Für sie ist das deutlich effizienter, als einen externen Dienstleister zu beauftragen. „Wir haben vor dem Umzug des Lagers eine große Ausschreibung gemacht. Doch die Angebote hätten wir uns im Lebensmittelgeschäft gar nicht leisten können“, sagt sie. Zudem habe Foodoase so eine größere Kontrolle – etwa beim Überprüfen des Wareneingangs und bei der Qualität der Auslieferung.

Das System löst ein weiteres Problem: „Es ist nicht leicht, vernünftige Leute zu finden, die Lust auf Lagerarbeit haben“, sagt Neuber. Die Roboterwagen befördern die Plastikkisten zu den Arbeitsstationen, an denen Menschen einzelne Produkte entnehmen oder nachfüllen. Im Laufe der Zeit sortiert sich die chaotische Lagerhaltung dabei von selbst: Häufig nachgefragte Produkte rücken weiter nach oben. Das optimiert die Laufzeiten. Schließlich packen die 19 Mitarbeiter in Geesthacht täglich 400 bis 700 Pakete.

Weniger Personaleinsatz ist auch ein Hauptargument für die Automatisierung beim Liefersupermarkt Knuspr, der in München gestartet ist. Knuspr liefert anders als Flink und Gorillas nicht innerhalb von Minuten, sondern schnellstens in drei Stunden. Ausgeliefert wird in ganz München aus einem 7800 Quadratmeter großen Lager in der Vorstadt Garching. Derzeit sammeln dort noch Mitarbeiter die Ware ein und legen sie auf Fließbänder, die täglich mehr als 1000 Einkaufstüten zu den Regalen für die Fahrer bringen. Allein in Garching arbeiten derzeit 192 Leute im Lager.

Für das angepeilte weitere Wachstum werden wenig Neueinstellungen nötig: Elementlogic baut eine ähnliche Anlage wie bei Foodoase nun auch bei Knuspr in Garching auf. Dafür stehen fünf Millionen Euro bereit. Insgesamt hat die Konzernmutter Rohlik aus Prag 400 Millionen Euro für die Automatisierung reserviert. Die Hälfte davon fließt nach Deutschland.

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Es gehe nicht darum, Mitarbeiter zu entlassen, sondern schneller wachsen zu können, betont Knuspr-Logistikchef Björn Wolf. Ein Drittel weniger Menschen sei so im Lager nötig – auch an den geplanten künftigen Standorten in Frankfurt, Hamburg und NRW.

Das ist nur der erste Schritt: Wolf arbeitet bereits an Konzepten, auch Tiefkühlware und Milchprodukte automatisiert zu bearbeiten. „Sehr schwierig wird es nur bei Obst und Gemüse, wo regelmäßige Sichtkontrollen stattfinden müssen“, sagt er.

Hellofresh drückt die Bestellzeiten

Das ist auch eine Herausforderung für den Kochboxen-Versender Hellofresh, bei dem ein Großteil der Inhalte Gemüse ist. Hunderte Millionen Euro wolle der Dax-Neuling in den nächsten Jahren in die Automatisierung der 25 Fullfilment-Center weltweit stecken, sagt Konzernchef Dominik Richter. „Damit wird unser Produkt deutlich besser werden – und zugleich können wir die Bestellzeiten verkürzen“, sagt er.

Neue Anlagen ermöglichten es, den Kunden mehr verschiedene Gerichte zur Auswahl anzubieten. „Daher ist Automatisierung ein großer Teil unserer Strategie“, sagt der Manager.

Die Pläne bei den Schnelllieferdiensten sind noch nicht so konkret. Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg hat zwar bereits angekündigt, er wolle künftig die Chancen der Automatisierung nutzen. Doch der Dax-Konzern, der seinen Supermarkt-Lieferdienst unter der Marke Foodpanda ausbaut, hüllt sich auf Anfrage zu konkreten Plänen ebenso in Schweigen wie Gorillas.

Denn während sich die marktreife Technik von Autostore für Lieferdienste mit größeren zentralen Lagern eignet, setzten die Schnelllieferdienste auf ein im Branchenjargon „Quick Commerce“ genanntes Konzept: Sie mieten viele sehr kleine Läger an – etwa aufgegebene Bankfilialen -, aus denen sie nur die unmittelbare Nachbarschaft beliefern. So schaffen sie die Lieferung innerhalb von sieben bis 30 Minuten nach Bestelleingang.

Für die Automatisierung solcher kleinen Lager, die eher an einen Tante-Emma-Laden erinnern, gibt es noch keine Standardlösung. Die heutigen Angebote sind schlichtweg zu groß und zu teuer.

Münchener Tüftler arbeiten am Nano-Lager

Abhilfe verspricht das junge Münchener Unternehmen Noyes. Seine Maschine existiert bislang allerdings nur als Prototyp im Start-up-Büro. Die Gründer nutzen ein ähnliches Prinzip wie Autostore mit vielen gestapelten Kisten, allerdings in kleinerem Maßstab. Sie wollen so auch 30 Quadratmeter große Lager automatisieren – die ideale Größe für Quick-Commerce.

Noyes-Gründer Aaron Spiegelburg nennt Namen: Schon zur Gründung im Januar 2021 sei er mit dem Technikchef von Gorillas im Gespräch gewesen, sagt er. Auch zur Asien-Zentrale von Delivery Hero in Singapur gebe es Kontakte. Ziel ist, im ersten Quartal 2022 zwei erste Anlagen bei einem Schnelllieferdienst aufzubauen. Das Versprechen: Mit Kosten um 400.000 Euro soll sich so eine kleine Anlage für die Betreiber bereits nach einem Jahr bezahlt machen.

Spiegelburg kalkuliert dabei damit, dass der Betrieb eines klassischen Nachbarschaftslagers 450.000 Euro im Jahr verschlingt. Seine automatische Lösung soll mit deutlich weniger Personal und einem Fünftel der Fläche auskommen. Einen ersten Testkunden will er in wenigen Monaten mit zwei Geräten beliefern, die aus Standardteilen zusammengesetzt werden sollen.

Um die 2000 Produkte will er in dem System – teils gekühlt – unterbringen. Schon im kommenden Sommer könnte das Team, das bislang 38 Leute umfasst, weitere Kunden mit jeweils 50 Geräten beliefern, hofft er. 3,2 Millionen Euro hat er dafür bislang bei Risikokapitalgebern eingesammelt.

Allerdings ist Logistikexperte Helge König von der Beratung EY skeptisch, ob automatisierte Mini-Lager tatsächlich die passende Antwort für Anbieter wie Gorillas und Flink sind. „Das Zusammenstellen der Waren nimmt in dem Geschäftsmodell deutlich weniger Zeit in Anspruch als das Ausliefern. Daher sind die großen Hebel für mehr Effizienz eher in der dynamischen Routenplanung und -optimierung“, meint er.

Anders als in größeren Lagern wie bei Knuspr könne bei den superschnellen Lieferdiensten nicht überall ein Techniker vor Ort sein, um Störungen schnell zu beheben – und Aufgaben wie das Nachfüllen der Anlage fielen weiterhin an.

Die Noyes-Lösung müsste ihre Tauglichkeit also noch beweisen. Die Anlage in Geesthacht hat ihre Feuerprobe hingegen hinter sich: Besitzerin Neuber schwärmt in höchsten Tönen von ihrer kostspieligen Anschaffung.

Mehr: Warum immer noch keine Lieferroboter durch die Städte rollen.

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