Bangladesh Accord Textilindustrie einigt sich über Arbeitsbedingungen

Der Einsturz einer Fabrik vor einigen Jahren sorgte weltweit für Empörung über die Arbeitsbedingungen.
Düsseldorf Es waren harte Verhandlungen. Sie dauerten mehr als ein Jahr. Doch nun ist der Durchbruch erzielt: Der Vertrag über die Sanierung der Textilfabriken in Bangladesch, der sogenannte Bangladesh Accord, wird über das Jahr 2018 hinaus verlängert. Damit ist sichergestellt, dass die Verbesserung der Sicherheit in den Betrieben, die für westliche Modemarken produzieren, auch künftig von unabhängigen Stellen überwacht wird.
Wie das Handelsblatt aus Verhandlungskreisen erfuhr, soll die Einigung zwischen den Gewerkschaften aus Bangladesch und den Modekonzernen am Donnerstag auf dem „Global Forum on Responsible Business Conduct“ der OECD in Paris verkündet werden.
„Es war kein einfacher Prozess, es gab viele Unstimmigkeiten“, sagt ein Verhandlungsteilnehmer. Letztlich hätten die Gewerkschaften Tempo gemacht, weil sie die Sicherheit haben wollten, dass rechtzeitig vor Auslaufen des alten Abkommens ein neuer Vertrag steht.
Der Bangladesh Accord wurde 2013 abgeschlossen, nachdem der Einsturz der Fabrik Rana Plaza in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka mit mehr als 1.100 Toten für einen öffentlichen Aufschrei gesorgt hatte. Dem Abkommen sind mittlerweile mehr als 200 Modemarken aus Europa und den USA beigetreten.
Es soll dafür sorgen, dass die skandalösen Zustände bei Brandschutz und Statik in zahlreichen Fabriken rasch verbessert werden. Der Vertrag unter der Schirmherrschaft der Internationalen Arbeitsorganisation ILO galt zunächst für fünf Jahre und läuft im Mai 2018 aus.
Der neue Vertrag, der dem Handelsblatt vorliegt und der ab Juni 2018 gelten soll, setzt über die Sicherheit der Fabriken hinaus auch Schwerpunkte bei den Arbeitnehmerrechten. Dies hatten dezidiert die Gewerkschaften gefordert. So verpflichten sich die unterzeichnenden Firmen, dafür zu sorgen, dass ihre Zulieferer die Vereinigungs- und die Versammlungsfreiheit der Arbeiter respektieren. „Im Grunde haben wir künftig die Verpflichtung, zu schlichten“, so die Einschätzung aus Unternehmenskreisen.
Wie wichtig das ist, zeigten die Ereignisse in Dhaka vom Dezember letzten Jahres. Nach Streiks für höhere Mindestlöhne in Textilfabriken im Vorort Ashulia waren Tausende Arbeiter entlassen und Dutzende Gewerkschafter inhaftiert worden. Erst nach massiven Protesten einiger Textilfirmen wie Tchibo, C&A oder Esprit wurde dies zurückgenommen.
Die Gewerkschaften sind erleichtert, dass eine Einigung gefunden wurde. „Wir begrüßen die Verlängerung des Accord, der erste Verbesserungen beim Brand- und Gebäudeschutz gebracht hat“, sagte eine Sprecherin der Gewerkschaft Verdi.
Aber sie betont auch, dass in Bangladesch weiterhin „ausbeuterische Arbeitsbedingungen“ herrschten. „Die großen Modeunternehmen stehen in der Pflicht, auf die Zulieferer einzuwirken“, mahnt sie. Es gehe etwa konkret darum, dass in Bangladesch die Gründung von Betriebsgewerkschaften nicht behindert werde und die Zulieferer mit ihnen Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen führen müssten.
Denn immer noch liegt der Mindestlohn in Bangladesch bei 61 Euro pro Monat, ein Betrag, der selbst in dem bitterarmen Land kaum zum Überleben reicht. Dazu kämen oft Arbeit an sieben Tagen in der Woche und viel zu hohe Produktionsvorgaben, so Verdi. „Oft werden Beschäftigte auch geschlagen oder bedroht“, sagt die Sprecherin.
Das neue Abkommen wurde stellvertretend von sieben Textilfirmen mit den Gewerkschaften ausgehandelt: von Esprit, C&A, H&M, PvH (Tommy Hilfiger, Calvin Klein), Aldi Süd, El Corte Ingles und Inditex (Zara). Einige Firmen haben den neuen Vertrag bereits unterzeichnet, viele andere wollen zeitnah folgen.
Esprit prüft gerade die letzte Fassung des Dokuments. „Aber wir erwarten, dass wir es in den kommenden Tagen unterzeichnen werden“, sagt Lary Brown, Head of Global Social & Environmental Sustainability von Esprit. Eine Verlängerung sei sinnvoll, weil die Arbeit des Accord noch nicht abgeschlossen sei.
„Kik hat den neuen Vertrag unterschrieben“, bestätigt auf Nachfrage Ansgar Lohmann, der beim Textildiscounter den Bereich Unternehmensverantwortung (CSR) leitet. „Es ist sehr wichtig, dass der Accord verlängert wird, damit wir nicht nur die Sanierung der Fabriken weiter begleiten, sondern jetzt auch Fortschritte bei den Arbeitnehmerrechten machen“, sagt Lohmann. Kik war in die Kritik geraten, weil der Discounter nicht nur in Rana Plaza fertigen ließ, sondern auch in der Fabrik Ali Enterprises in Pakistan, bei deren Brand 2012 mehr als 250 Menschen ums Leben kamen.
Nach Angaben des Accord-Sekretariats sind mittlerweile mehr als 77 Prozent der identifizierten Sicherheitsmängel in den untersuchten 1.800 Fabriken behoben. Doch die baulichen Veränderungen allein reichen nicht, künftig sollen Komitees in den Betrieben dafür sorgen, dass Sicherheits- und Gesundheitsfragen auch in den täglichen Arbeitsabläufen eine größere Rolle spielen. Da diese Komitees zur Hälfte mit Arbeitern besetzt sind, bedeutet das in vielen Betrieben eine erste vorsichtige Form der Arbeitnehmervertretung.
Ziel des neuen Vertrags ist es, dass die Kontrolle der Sicherheitsstandards und der Arbeitsbedingungen mittelfristig in die Obhut des Staates übergeht. Bisher prüfen die Behörden so gut wie gar nicht, ob die gesetzlichen Bestimmungen in der Praxis auch eingehalten werden.
Deswegen gilt der neue Accord zunächst nur für drei Jahre. Sollte das Steuerungskomitee unter dem Vorsitz der ILO danach feststellen, dass der Staat noch nicht in der Lage ist, diese Funktion zu erfüllen, verlängert sich das Abkommen um ein weiteres Jahr. Doch jetzt schon herrscht unter den Beteiligten große Skepsis, ob die politischen Strukturen in Bangladesch dann schon so weit sind.
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