Berlin Fashion Week „Alle Systeme der Modeindustrie sind tot“

Die Trendforscherin sieht einen grundlegenden Wandel in der Modebranche.
Berlin Es ist wie bei einer Andacht. Im abgedunkelten Saal lauschen die Besucher still und konzentriert. Niemand spricht, fotografiert oder wagt zu husten. Sie hören ehrfurchtsvoll, was die ganz schwarz gekleidete Dame auf dem Podium zu sagen hat: Lidewij Edelkoort.
„Alle Systeme der Modebranche sind tot“, verkündet die niederländische Trendforscherin. „Die Modebranche muss alles von Grund auf neu entwickeln“, sagte die 65-Jährige im Saal des Hauses Ungarn, gleich hinter dem Alexanderplatz in Berlin.
Und rund 200 Designer, Einkäufer oder Marketingexperten aus der Mode- und aus anderen Branchen sind gekommen, um die Botschaft zu hören. Schließlich gehört Edelkoort zu den international bekanntesten Trendforschern. Sie berät Konzerne wie Coca-Cola, Siemens und L'Oréal in Sachen Design und Produktentwicklung. Viele Modeunternehmen von der spanischen Kette Zara bis zur Luxusmarke Armani kaufen ihre Trendbücher, die ihr Unternehmen Trend Union zweimal jährlich herausgibt.
Die Modebranche ist zu Beginn der Fashion Week in Berlin verunsichert, wo die Reise in den nächsten Jahren hingeht. In zwei schlechten Herbst- und Wintersaisons hintereinander blieb viel Ware liegen und muss nun mit extremen Rabatten verkauft werden. Bei vielen Luxuskonzernen geben die Designer auf, weil sie den Druck der Investoren und von immer mehr Kollektionen pro Jahr nicht mehr aushalten. Und gleichzeitig melden sich die Kunden über die sozialen Netzwerke zu Wort.
„Wir müssen endlich den Sprung ins 21. Jahrhundert schaffen", sagte Edelkoort. Was sie damit meint, zeigt sie in einem langen Video, das mit lauter Musik untermalt wird: Einer der Hauptdarsteller ist die Farbe Weiß. „Wir leben in einer so dunklen, politisch so schwierigen Zeit, dass sich viele Menschen nach Licht, Ruhe und Frieden sehnen. Dafür steht die Farbe Weiß“, sagt Edelkoort.
Die Niederländerin, die ihre Karriere im Amsterdamer Modekaufhaus De Bijenkorf begann und seit 1975 als Trendberaterin arbeitet, sieht auch in der Überflussgesellschaft einen Trend zu „Basics“. Es gebe eine große Bewegung „zum Beispiel in den USA, weniger als bisher zu konsumieren“, beobachtet Edelkoort. Sie erwartet in den nächsten Jahren, dass viele Menschen jeden Tag dieselbe Art von Kleidung anziehen wollen und sich nicht permanent neu stylen wollen. Als Bespiele nennt sie den US-Präsidenten Barack Obama und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Beide kleiden sich zumindest in der Öffentlichkeit immer gleich.