Bilanzcheck Deutsche Post Verborgener Reichtum

Was tun, wenn sich solche Sondererträge nicht mehr wiederholen?
Bonn Das gab es bei der Deutschen Post seit 2008 nicht mehr: Vor Zinsen und Steuern legte das Konzernergebnis voriges Jahr den Rückwärtsgang ein und endete bei 2,41 Milliarden Euro. Das entsprach einem Minus von fast 19 Prozent. Schon im Laufe des Geschäftsjahrs 2015 hatte Vorstandschef Frank Appel seine Ertragsziele zweimal zurückgestutzt – vor allem, weil die Fracht- und Speditionssparte aus dem Ruder lief.
Besorgniserregend erscheint deshalb die Ausschüttungspolitik. Obwohl der Gewinn pro Aktie auf 1,27 Euro einbrach – nach 1,71 Euro im Vorjahr – soll es pro Anteilsschein weiterhin 0,85 Euro Dividende geben. Dabei sank der Konzerngewinn nach Kapitalkosten 2015 um 43,5 Prozent auf 877 Millionen Euro. Die Analysten von JP Morgan errechneten sogar nur einen Saldo von 657 Millionen Euro. Und der Konzern öffnet seine Brieftasche noch weiter: Er startet einen Aktienrückkauf, der bis zu einer Milliarde Euro kosten kann.
Die Erlaubnis zur Freigiebigkeit gewährte die Hauptversammlung vor zwei Jahren, als noch niemand die Krise in der Speditionssparte ahnte. Aber heute? Müsste Finanzchef Larry Rosen sein Geld nicht besser zusammenhalten, bis die knapp 15 Milliarden Euro Umsatz schwere Sparte „DHL Global Forwarding /Freight“ wieder Fahrt gewinnt? Und reicht das Finanzpolster, um zusätzlich den neuen Angreifer Amazon abzuwehren? Der größte Paketkunde der Post steigt derzeit selbst in das Geschäft mit der Paketverteilung ein.
Panik wäre verfehlt. Wer vor der Hauptversammlung am Mittwoch in Frankfurt den Jahresbericht unter die Lupe nimmt, wird erstaunt feststellen: Trotz zweier Gewinnwarnungen und kräftigem Ertragseinbruch floss der Post faktisch weit mehr Geld in die Kasse als im Vorjahr.
Rückenwind erhielt der Konzern nicht nur durch den günstigen Ölpreis, auch Sondererlöse und der schwache Euro ließen das Geschäft aufblühen. Den Milliarden-Aktienrückkauf wird sich Rosen vermutlich sogar leisten können, ohne das bisherige „BBB+“-Rating von Standard & Poor’s zu gefährden.
Was die Ertragszahlen nämlich verbergen: Ein erheblicher Teil der Aufwendungen blieb 2015 zahlungsunwirksam. Das gilt insbesondere für die Wertminderungen in der Frachtsparte. Sie hatte ihre Informationstechnik (IT) nach einem vergeblichen Einführungsversuch vom Netz nehmen müssen. Die fehlerhafte Software, die das Kürzel „NFE“ trug, belastete den Konzern 2015 mit Abschreibungen in Höhe von 310 Millionen Euro. Hinzu kamen Rückstellungen im zweistelligen Millionenbereich.
Den freien Cashflow jedoch minderte das nicht. Im Gegenteil. Weil er von 1,34 auf 1,72 Milliarden Euro stieg, reduzierte sich die Nettoverschuldung des Konzerns. Mit 1,1 Milliarden Euro lag sie um 27 Prozent niedriger als im Vorjahr. Dabei profitierte die Post von stark gesunkenen Zinsverpflichtungen. Statt 188 Millionen Euro wie im Vorjahr schaffte es Finanzchef Rosen, die Belastungen auf 76 Millionen Euro zu drücken. Massiven Geldzufluss erhielt der Konzern außerdem, indem er das Umlaufvermögen reduzierte und Forderungen – vor allem im Speditionsgeschäft – schneller eintrieb. Unterm Strich erzielte die Post damit einen Mittelzufluss von 788 Millionen Euro, während sie im Jahr zuvor durch zunehmenden Schlendrian noch 21 Millionen Euro verloren hatte. Unter dem Strich stieg dadurch der operative Cashflow um 404 Millionen Euro auf 3,44 Milliarden Euro.
Weil gleichzeitig die Pensionsverpflichtungen und damit die Gesamtverschuldung schrumpften, verbesserte sich für die Post eine wichtige Steuerungsgröße: der Finanzmittelzufluss aus operativem Geschäft im Verhältnis zur Verschuldung (im Fachjargon: Funds from Operations to Debt). Rentierte der Verschuldungsbetrag 2014 mit einem operativen Geldzufluss von 27,7 Prozent, lag die Quote zum jüngsten Jahreswechsel immerhin bei 29,1 Prozent.
So trostlos, wie es der Gewinneinbruch vermuten lässt, sah das Geschäft im Konzern längst nicht aus. Alle vier Sparten – Brief/Paket, Express, Fracht und Lagerdienstleistungen – konnten die Investitionen aus ihrem jeweiligen Cashflow bestreiten. Wobei das angeschlagene Speditionsgeschäft die eigenen Ausgaben allerdings nahezu halbierte – auf homöopathische 123 Millionen Euro, was sechs Prozent der zwei Milliarden Euro schweren Konzerninvestitionen entsprach.
Doch nur zwei der vier Sparten verdienten ihre Kapitalkosten – zumindest dann, wenn man Schätzungen der Investmentbank JP Morgan vertraut. Sie veröffentlichte im Februar eine Spartenübersicht, in der sie die jeweilige Kapitalbindung (Liquidationswerte) samt Kapitalkostensatz präsentierte. Stimmen die Werte, kostete das Kapital der Brief- und Paketsparte 841 Millionen Euro. Für die Post ein gutes Geschäft, denn 2015 warf die von Jürgen Gerdes geführte Sparte einen Betriebsgewinn (Ebit) von 1,1 Milliarden Euro ab. Und das trotz eines wochenlangen Streiks, der 170 Millionen Euro kostete.
Auch die Express-Sparte lag 2015 demzufolge elf Millionen Euro über ihren Kapitalkosten, das Geschäft mit den Lagerdienstleistungen („Supply Chain“) jedoch um 206 Millionen Euro darunter – wohl ein wesentlicher Grund, weshalb dort derzeit saniert wird. Noch trüber sah es in der Speditionssparte aus. Deren Kapital kostete vergangenes Jahr 365 Millionen Euro, sie bescherte dem Konzern jedoch einen Betriebsverlust von 181 Millionen Euro.
Bekommt Frank Appel, der diese Sparte seit April 2015 eigenhändig leitet, das Speditionsgeschäft nicht in den Griff, könnte es für den Post-Ableger ungemütlich werden. Anderen Konzernen, etwa dem Einzelhändler Metro, galten ungedeckte Kapitalkosten bei Tochterfirmen früher als zwingende Aufforderung, solche Beteiligung auf die Verkaufsliste zu setzen. Auch bei der Post gebe es Pläne, für die Frachtsparte Fremdgesellschafter an Bord zu holen, berichteten Nachrichtenagenturen vor wenigen Wochen. Für das Dementi ließ sich Vorstandschef Appel immerhin zwei Wochen Zeit.
Dass die Post trotz ihrer kostspieligen Baustelle die Kasse 2015 weiter füllen konnte, verdankt sie vornehmlich einer Reihe einmaliger Geschäftsvorfälle. Allein 173 Millionen Euro Gewinn kamen zusammen, weil sich der Konzern von Teilen am chinesischen Speditions-Joint-Venture Sinotrans und von der britischen Immobilienfirma King‘s Cross trennte. Insgesamt 338 Millionen Euro an Sondererträgen kassierte die Post 2015 aus dem „Abgang von Anlagevermögen“. Im Vorjahr waren es lediglich 64 Millionen Euro.
Um weitere 82 Millionen Euro wuchs der Ertrag durch Wertzuschreibungen beim amerikanischen Express-Knotenpunkt Cincinnati. Auch der gesunkene Ölpreis kam dem weltweit größten Logistiker zugute. Für Kerosin, Diesel und Benzin gaben die Bonner vergangenes Jahr 353 Millionen Euro weniger aus als im Vorjahr.
Zudem war es der schwache Euro, der die Gewinn- und Verlustrechnung aufbesserte. Zwar stiegen mit ihm die Aufwendungen – vorzugsweise in den Dollar-Räumen Amerika und Asien – um zwei Milliarden Euro. Gleichzeitig sorgte die Dollar-Euro-Umrechnung aber dafür, dass sich der Umsatz um 2,8 Milliarden Euro aufblähte. Als Ertrag aus der Währungsumrechnung blieb laut Geschäftsbericht eine Summe von 280 Millionen Euro übrig – 109 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor.
Für Vorstandschef Appel, der für das laufende Jahr mindestens eine Milliarde Euro mehr an Betriebsgewinn in Aussicht gestellt hat, stellt sich daher die Frage: Was tun, wenn sich solche Sondererträge nicht mehr wiederholen?