Brotaufstrich Wie die Ostmarke Nudossi Nutella Konkurrenz macht

Die Unternehmer aus Sachsen haben Erfolg mit der palmölfreien Variante ihrer Nusscreme Nudossi.
Düsseldorf Zu DDR-Zeiten hatte der Dresdner Unternehmer Karl-Heinz Hartmann Nudossi nie probiert. Die beliebte Nuss-Nugat-Creme gab es nur im exklusiven „Delikat“ und war meist vergriffen. „Mit D-Mark von der West-Verwandtschaft leistete ich mir ab und zu Nutella aus dem ‚Intershop‘“, erzählt der 70-jährige Konditormeister und Stollenbäcker.
Seit 1998 produziert Hartmann mit seiner Firma „Sächsische und Dresdner Back- und Süßwaren“ das einstige Kultprodukt Nudossi selbst – und verkauft die Nusscreme erfolgreich im Osten. Vor drei Jahren dann gelang überraschend der Durchbruch im Westen: Damals brachte das Familienunternehmen eine palmölfreie Variante im Glas auf den Markt. Heute steht Nudossi bundesweit in den Regalen fast aller Handelsketten.
2020 wurde Nudossi von der „Lebensmittelzeitung“ zu den 100 Top-Marken gekürt. Diese ragen durch Umsatzzuwachs, Marktanteilsgewinne und Käuferreichweite heraus. Eine Auszeichnung, die nur wenigen Marken aus den neuen Ländern zuteilwurde. „Als Ostprodukt kann man im Westen heute nur über Innovationen in die Regale kommen“, konstatiert Hartmann.
Letztlich habe der Hype um Klimaaktivistin Greta Thunberg Nudossi geholfen. „Greta ist unsere wichtigste Markenbotschafterin“, scherzt Seniorchef Hartmann, dessen Sohn Thomas, 51, heute die Geschäfte führt. Die junge Generation im Westen stehe Palmöl kritisch gegenüber. Das ist seit Langem in Verruf. Monokulturen und Rodungen schädigen Umwelt und Klima. Nudossi nutzt statt Palmöl Sonnenblumenöl und die Saaten der Salbäume. „Anders als Palmöl ist die Ölsaatgewinnung aus den indischen Salwäldern eine nachhaltige Form der Bewirtschaftung“, stellt die Verbraucherzentrale Thüringen fest.
Eigentlich wollte Familie Hartmann den Zuckeranteil der Creme senken. Aber die Experimente mit Stevia oder Xylit waren „niederschmetternd“, so Hartmann senior. „Es schmeckte nicht, und die Süßstoffe führten zu Durchfall.“ Stattdessen suchte sie nach Alternativen zu Palmöl. Hartmann hörte von einer Firma im Westen, die mit Salöl forschte. Seitdem kooperieren beide.
Indisches Salöl statt Palmöl
Nuss-Nugat-Cremes erfreuen sich hierzulande wachsender Beliebtheit. Der Umsatz stieg 2020 um zwölf Prozent auf rund 506 Millionen Euro, zitiert die „Lebensmittelzeitung“ Marktforscher. Damit rücken Nutella und Co. an die umsatzstärkste Kategorie Konfitüre mit 586 Millionen Euro Umsatz dicht heran.
„Bei Nuss- und Schokoladenaufstrichen hat sich in den vergangenen Jahren viel getan“, konstatiert Werner Motyka, Partner der Beratung Munich Strategy. In den Regalen gibt es deutlich mehr Vielfalt und Auswahl im Premiumbereich, teils in Bio- oder Veganqualität.
Von Milka über Mövenpick bis Alnatura mischen viele im Markt mit. Nutella von Ferrero aus Italien ist mit etwa zwei Drittel Marktanteil nach wie vor hierzulande der Platzhirsch. „Aber eben nicht mehr so alternativlos wie vor zehn Jahren“, meint Motyka. Bei der Diskussion um den Einsatz von Palmöl mache Ferrero keine sonderlich glückliche Figur, beobachtet der Branchenkenner.
Nutella kam 1964 in der Bundesrepublik erstmals auf den Markt. In der DDR gab es seit 1970 Nudossi, scherzhaft „Nutella des Ostens“ genannt. Der Name setzt sich zusammen aus „Nuss“ und „Vadossi“. Das gleichnamige Back- und Süßwarenwerk in Radebeul bei Dresden stellte die Nusscreme her. Sie bestand schon immer aus deutlich mehr Haselnüssen als Nutella. Heute hat Nudossi 36 Prozent Haselnussanteil, Nutella nur 13 Prozent.

Die Nuss-Nugat-Creme von Ferrero ist mit Abstand Marktführer in Deutschland.
1972 wurde Vadossi verstaatlicht und an den VEB Dresdner Süßwarenfabriken Elbflorenz angegliedert. Nach der Wende übernahm ein westdeutscher Investor den Betrieb. Der stellte Marzipan her – die Produktion von Nudossi hingegen stellte er ein. Schließlich lechzten die Ostdeutschen nach Westware wie Nutella. 1994 wurde Vadossi nach einer Insolvenz geschlossen.
Karl-Heinz Hartmann wurde durch puren Zufall auf das leer stehende Werk aufmerksam. Nach der Wende führte er eine Bäckereikette und eine Stollenbäckerei. Die hatten seine Großeltern 1911 in Freital gegründet. Als seine Großbäckerei in Tschechien überflutet wurde, zog er 1998 in das ehemalige Nudossi-Werk. Ein Lokaljournalist fragte ihn, ob er Nudossi wiederbeleben wollte. Spontan bejahte Hartmann. „Danach konnte ich mich vor Anfragen kaum retten.“ Denn ein knappes Jahrzehnt nach der Wende erlebten Ostprodukte gerade eine Renaissance.
Doch Hartmann besaß weder Rezepte noch Markenrechte von Nudossi. Die hatte sich der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) für eine Kindersendung gesichert. Der Unternehmer kaufte dem Sender die Markenrechte für die Nusscreme ab.
Über seinen Onkel, der früher Produktionsleiter beim VEB Elbflorenz war, gelang es ihm, die alten Nudossi-Rezepte aufzutreiben. „Nach jedem Zehnjahresplan sank der Nussanteil im Rezept. Denn Haselnüsse wurden in der DDR knapper“, so Hartmann. Aber schon damals kam Nudossi – anders als Nutella – ohne künstliches Aroma wie Vanillin aus.
Erfolg nach Insolvenz
Die wiederbelebte Nudossi im Plastikbecher war ein voller Erfolg – allerdings nur im Osten. Die Firma wuchs, Vater und Sohn mussten investieren. Doch die Banken waren skeptisch. Als die Vorfinanzierung der Weihnachtsware anstand, ging das Werk 2005 in Insolvenz. Zwei Jahre später kaufte seine Frau Ursula Hartmann die Firma zurück – ohne Banken. „Seitdem sind wir zurück in sicherem Fahrwasser“, betont der Senior.
Rund sechs Millionen Becher Nudossi produziert das Familienunternehmen im Jahr, etwa 3,5 Millionen Gläser davon sind frei von Palmöl. Fast 600 Tonnen Haselnüsse werden im Jahr verarbeitet. Nudossi sponsert seit Jahren den Wintersport, von Langlauf bis Biathlon.
12,5 Millionen Euro Umsatz machte das Unternehmen zuletzt – mit 34 festen Mitarbeitern und 25 weiteren in der Weihnachtssaison. Bei Dresdner Stollen hat sich der Betrieb hauptsächlich auf Stollenkonfekt spezialisiert – das wird bis in die USA und Südamerika geliefert. Auch „Oma Hartmanns Kalter Hund“ gibt es als Mini-Keksriegel.
„Wir fokussieren uns bewusst auf Nischenprodukte“, erklärt Thomas Hartmann die Geschäftsstrategie. „Als handwerklicher Betrieb sind wir gegenüber Konzernen da im Vorteil. Die haben nur Interesse am Massengeschäft.“
Der unerwartete Erfolg von palmölfreier Nudossi gibt dem sächsischen Betrieb Aufwind. 900.000 Euro hat die Familie in diesem und im letzten Jahr schon investiert. Im Juli geht eine neue Glasabfüllanlage in Betrieb. Dann sind alle Nudossi-Sorten umweltfreundlich auf Glas umgestellt – bis auf den Plastikbecher im Retrolook. Karl-Heinz Hartmann weiß: „Es gibt eben immer noch einige Ostalgiker.“
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