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Corona-Pandemie Anständig durch die Krise: Wie Schöffel den Lieferanten in Asien hilft

Der Mittelständler nimmt Outdoor-Ausrüstung ab, die er gar nicht braucht. Nicht alle Marken sind so sozial. Fair Wear rechnet mit zahlreichen Pleiten.
17.08.2020 - 04:00 Uhr Kommentieren
Textilfabrik in China: Derzeit können die Kontrolleure von Fair Wear nur in China vor Ort die Arbeitsbedingungen überprüfen. Quelle: dpa
Textilfabrik

Textilfabrik in China: Derzeit können die Kontrolleure von Fair Wear nur in China vor Ort die Arbeitsbedingungen überprüfen.

(Foto: dpa)

München. Regenjacken, Wanderhosen und T-Shirts: Im Lager von Peter Schöffel stapelt sich in diesen Tagen die Ware. Weil die Sportläden im Frühjahr wochenlang geschlossen waren, konnte der Chef und Eigentümer der Outdoor-Marke Schöffel lange nicht so viel verkaufen wie geplant. Trotzdem hat der Mittelständler keine Aufträge in Fernost storniert. Vielmehr hat er seinen Lieferanten all die Ware abgenommen, die er letztes Jahr bestellt hatte. Das ist deutlich mehr, als er in der Corona-Pandemie braucht. „Das hat uns fünf Millionen Euro an Liquidität gekostet. Aber es ist der menschlichere Weg in der Krise“, sagt Schöffel.

Der Unternehmer hofft, dass er damit seinen Teil beiträgt, um die Textilfabriken in Asien zu erhalten – und damit auch Tausende Arbeitsplätze. Denn die sind in akuter Gefahr. „Wir fürchten, dass viele Produzenten Bankrott gehen“, sagt Alexander Kohnstamm, Chef der Fair Wear Stiftung. Die gemeinnützige Organisation hat sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeitsbedingungen in Textilfabriken zu verbessern. In diesen Tagen geht es den Aktivisten aber auch darum, die Jobs überhaupt zu erhalten.

„Es ist wichtiger denn je, dass Firmen jetzt Verantwortung übernehmen“, betont Kohnstamm. Es gebe einen großen Unterschied zwischen dem, was die Auftraggeber womöglich rechtlich tun dürften und was sie tun sollten. So würden viele Marken ihre Bestellungen nicht abnehmen, nur weil die Ware etwas verspätet geliefert werde. Das sei womöglich durchaus durch die Verträge gedeckt. Aber eben nicht in Ordnung in so einer Ausnahmesituation. Oder sie würden nur die Hälfte überweisen. Das wiederum sei einfach nur Erpressung, findet Kohnstamm.

Dass ein Unternehmer wie Schöffel mit zuletzt rund 100 Millionen Euro Umsatz ein partnerschaftliches Verhältnis zu seinen Lieferanten pflege, sei vorbildlich. Das liege aber nicht zuletzt daran, dass es ein Familienunternehmen sei, das nicht von Investoren vor sich hergetrieben werde. Kohnstamm: „Noch nie war es so wichtig für die Marken, langfristig zu denken.“ Denn die Näherinnen und Näher, die heute in Ländern wie Vietnam, Kambodscha oder Indonesien entlassen würden, würden womöglich morgen schon wieder händeringend gesucht.

Über den Tag hinaus zu denken gehört hingegen geradezu zum Erbe, das Peter Schöffel übernommen hat. Und auch, stets wendig zu bleiben. Denn das einzig Konstante in der 215-jährigen Geschichte von Schöffel ist der Wandel. 1804 hat Georg Schöffel als Strumpfhändler angefangen. Später betrieb die Familie ein Textilhaus. Vor einem halben Jahrhundert schließlich begann Hubert Schöffel, Regenjacken und Wanderhosen herzustellen. Sohn Peter Schöffel, 57, richtete das Outdoor-Unternehmen in jüngster Zeit noch einmal neu aus und wollte 2020 durchstarten.

Anfang des Jahres stieg er ins Geschäft mit Radbekleidung ein. Auf der Sportmesse Ispo zu Jahresbeginn machte er mit beheizbaren Skihosen und -jacken von sich reden. Das Label ist seit Jahren in Deutschland die Nummer zwei im Geschäft mit wetterfester Sportbekleidung, gleich hinter Jack Wolfskin.

Die Kunden kaufen werteorientiert ein

Eine aufrechte Haltung in schwierigen Zeiten, das könnte sich durchaus bei den Konsumenten auszahlen. „Immer mehr Menschen kaufen werteorientiert ein. Vor allem jüngeren Leuten ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Alexander von Preen, Vorstandschef der Sporthändlervereinigung Intersport.

In der Verantwortung sieht sich Schöffel aber nicht nur gegenüber seinen Lieferanten, sondern auch gegenüber den unmittelbaren Abnehmern, also den Sporthändlern. Und so lagert er jetzt die überschüssige Ware ein, statt sie mit Rabatt in den Markt zu drücken. Viele Modelle seien zeitlos, sagt Schöffel. Die könnten nächstes Jahr genauso gut verkauft werden.

Damit nimmt er den Kaufleuten den Druck, in den Rabatt-Wettbewerb einsteigen zu müssen. So etwas gefällt dem Intersport-Chef. Als Vertreter der Ladenbesitzer wirbt Manager von Preen ausdrücklich für ein partnerschaftliches Miteinander der Sportmarken. Es gehe darum, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Zuletzt hieß das vor allem: Die Hersteller mussten den Kaufleuten entgegenkommen. Denn die konnten im März und April monatelang kaum etwas verkaufen. Sie waren dankbar, wenn sie Bestellungen stornieren und Rechnungen später zahlen konnten.

Es zahlt sich für die Marken in der Öffentlichkeit aus, kulant vorzugehen. Das ist spätestens seit April klar, als Adidas für einen Sturm der Entrüstung sorgte. Vorstandschef Kasper Rorsted hatte entschieden, wegen der Krise die Mieten für seine Läden auszusetzen. Eine Entscheidung, die er schnell zurücknahm und für die er sich sogar entschuldigte. „Die Öffentlichkeit ist in Zeiten von Corona sehr sensibel geworden“, sagt Stefan Herzog, Unternehmensberater und Präsident des europäischen Verbands des Sporthandels. Die Konsumenten schauen sehr genau hin, wie sich die Labels verhalten und zunehmend auch, wo die Ware herkommt.

Peter Schöffel: Der Outdoor-Unternehmer hat für fünf Millionen Euro Ware abgenommen, die er fürs nächste Jahr aufheben muss. Quelle: Schöffel
Peter Schöffel

Peter Schöffel: Der Outdoor-Unternehmer hat für fünf Millionen Euro Ware abgenommen, die er fürs nächste Jahr aufheben muss.

(Foto: Schöffel)

Das allerdings ist eines der großen Probleme in diesen Tagen. Wegen des Coronavirus sind Reisen momentan so gut wie unmöglich. Unternehmer wie Schöffel können bei ihren Lieferanten in Asien nicht mehr vorbeischauen – wie sie das sonst regelmäßig tun. „Mit den etablierten Prozessen und unserem Repräsentanzbüro in Vietnam geht es einige Zeit gut, nicht persönlich vor Ort zu sein“, findet Schöffel. „Aber irgendwann muss man schon wieder in den Fabriken in die Ecken schauen und die kritischen Themen direkt ansprechen.“

Auch die Inspektoren von Fair Wear sind ans Büro gebunden. Wie es vor Ort zugehe, könne Fair Wear momentan lediglich in China kontrollieren, bedauert Funktionär Kohnstamm. In allen anderen Ländern seien keine Reisen möglich. Üblicherweise sind seine Leute ständig in den Fabriken zugegen und hören sich auch vor den Werkstoren in wichtigen Beschaffungsländern wie Vietnam um.

Trotzdem könnten die Fabrikbesitzer nicht tun und lassen, was sie wollen. Einerseits gebe es gute Kontakte zu Arbeitnehmervertretern. Andererseits könnten sich die Leute weiterhin per Telefon beschweren, wenn ihnen die Zustände am Arbeitsplatz nicht gefallen. Und trotzdem: Es sei in der aktuellen Situation schwierig zu erkennen, was wirklich hinter den Mauern der Werke passiere, sagt Kohnstamm.

Technik ersetzt Kontrollen vor Ort

Angesichts der Reisebeschränkungen werden momentan technische Lösungen immer wichtiger, um den dringend nötigen Einblick in die Zustände am anderen Ende der Welt zu gewinnen. „Covid beschleunigt die Digitalisierung der Lieferkette“, sagt Mikkel Hippe Brun, Co-Gründer und Asienchef von Tradeshift. Das dänisch-amerikanische Tech-Unternehmen ist angetreten, den weltweiten Handel effizienter und auch transparenter zu machen. Dazu vernetzt die Firma mit ihren 1000 Mitarbeitern Käufer und Verkäufer. „Viele Lieferantenbeziehungen werden heute noch händisch gepflegt“, sagt der Informatiker. Mit der Software von Tradeshift würde jeder Schritt digital erfasst. In Echtzeit könne eine Firma in Europa etwa sehen, wann ihre Bestellung das Werk in Asien verlassen habe.

Es sei zudem zu erkennen, was genau sich im Container befinde und ob das den Qualitätsanforderungen entspreche. „Damit wird es auch sehr schwer, zu betrügen“, behauptet der Unternehmer.

Bislang würden diese Informationen lediglich zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern fließen, sagt Brun. Künftig aber könnte sich das Netz über alle Stufen der Lieferkette erstrecken, glaubt der Manager. Modemarken könnten diese Informationen dann auch den Konsumenten zur Verfügung stellen – und wären dann komplett transparent. Technisch funktioniere das heute schon problemlos über einen QR-Code auf der Ware. Dass es einmal so weit kommt, steht für Brun außer Frage.

Bei einem Unternehmer wie Schöffel stößt er damit auf offene Ohren. Sein Umsatz werde dieses Jahr zwar massiv fallen, fürchtet der Schwabe. Gleichzeitig biete die Krise eine Chance, seine Firma schnell zu modernisieren.

Natürlich hofft Schöffel, dass seine jahrelangen Bemühungen um ordentliche Arbeitsbedingungen jetzt endlich von den Konsumenten registriert und honoriert werden. Seit mehr als einem Jahrzehnt gehört er zu den besten Firmen, deren Beschaffung Fair Wear unter die Lupe nimmt. Die strengen Regeln der Organisation würden jedes Teil etwa zehn Prozent teurer machen, behauptet Schöffel. Mehr als 130 Marken haben sich den Vorgaben von Fair Wear unterworfen, darunter bekannte Outdoor-Labels wie Mammut, Vaude oder Salewa.

Ein Lieferkettengesetz, wie es die Bundesregierung plant, könnte zumindest für ein wenig Chancengleichheit sorgen, hofft Schöffel – und steht damit nicht allein da. „Es kann nicht sein, dass Unternehmen, die auf Menschenrechte, Umweltschutz und Bekämpfung von Korruption achten, im Wettbewerb weiterhin gegenüber Unternehmen benachteiligt sind, die sich unethisch verhalten", sagt Helena Peltonen-Gassmann, stellvertretende Vorsitzende von Transparency Deutschland.

Fair-Wear-Chef Kohnstamm drängt unterdessen darauf, die Beschäftigten in den Lieferantenländern auch in den nächsten Monaten nicht zu vergessen. „Wenn erst einmal ein Impfstoff zur Verfügung steht, müssen auch die Fabrikarbeiter in Asien Zugang dazu bekommen. Denn wir sind menschlich und wirtschaftlich aufeinander angewiesen.“

Mehr: Hunderte Textilfabriken sind in ihrer Existenz gefährdet

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