Corona-Pandemie Vierte Welle würgt den Neustart der Messen ab

In der Pandemie verzeichnen die wenigen Messen, die stattfinden, einen Rückgang von Ausstellern und Besuchern. Viele Teilnehmer aus dem Ausland fehlen.
Düsseldorf Vor zwei Wochen sollte die internationale Automatisierungsmesse SPS in Nürnberg ihre Tore öffnen. Viele der rund 700 Aussteller hatten ihre Stände schon aufgebaut. Doch vier Tage vor dem Start sagte der Veranstalter die Messe ab. Bayern hatte wegen explodierender Coronazahlen kurzfristig die 2G-Plus-Regel eingeführt und die Teilnehmerzahl auf ein Viertel der Kapazität begrenzt. „Das hat die Durchführung der Fachmesse unmöglich gemacht“, erklärt Uwe Behm, Co-Geschäftsführer der Messe Frankfurt, deren Tochterfirma Mesago die SPS ausrichtet.
Ohnehin wollten viele bekannte Aussteller wie Siemens, Microsoft, Phoenix Contact und Sick auf die Messe verzichten. Ausgerechnet auch die Harting-Gruppe: „Die physische Teilnahme an der SPS ist angesichts der dramatischen Steigerung der Corona-Infektionszahlen nicht zu verantworten“, sagte Unternehmer Philip Harting. „Das Wohl unserer Mitarbeitenden und das Wohl unserer Kunden ist das Wichtigste.“
Der Steckerhersteller aus Ostwestfalen ist nicht irgendein Aussteller: Firmenchef Philip Harting ist auch Vorsitzender des Verbands der Deutschen Messewirtschaft (Auma). Der Verband, der Veranstalter wie Aussteller vertritt, kämpft darum, dass der Messebetrieb hierzulande weitergehen kann. „Messen sind sicher“, betonte Auma-Geschäftsführer Jörn Holtmeier am Mittwoch. Seit März 2020 war die Branche fast durchgängig zum Stillstand gezwungen. Erst seit September waren Messen wieder bundesweit möglich.
Die zwei Millionen Besucher 2021 hätten kein Infektionsgeschehen erzeugt, sagte Holtmeier und führte aus: „Unser Wirtschaftszweig ist die am härtesten betroffene Branche dieser Pandemie.“ Bis 2019 machte die Messewirtschaft Rekordumsätze von vier Milliarden Euro im Jahr.
Das zweite Coronajahr wird nun noch desaströser als das erste. Waren 2020 bereits 68 Prozent der Messen hierzulande abgesagt worden, fielen 2021 sogar 71 Prozent der 380 geplanten Messen aus.
Das trifft auch den Messebau, Hotels, Gaststätten und das Transportgewerbe hart. Der Schaden für die Gesamtwirtschaft summiert sich laut Auma seit Pandemiebeginn auf 46,2 Milliarden Euro. 160.000 der 230.000 Beschäftigten, die von der Messewirtschaft abhängig sind, sind laut Auma in Kurzarbeit.
Die vierte Welle hat den Neustart der Messen erneut ausgebremst. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind Messen wieder untersagt. „Es ist atemberaubend, in welcher Frequenz die Coronaverordnungen der Länder geändert werden“, kritisiert Holtmeier. Das verunsichere Veranstalter und Teilnehmer zutiefst. „Wir stehen heute dort, wo wir vor einem Jahr standen – mit dem Rücken zur Wand“, konstatiert Henning Könicke vom Fachverband Messen und Ausstellungen (Fama). Die Branche moniert die fehlende Planungssicherheit für Messen, die meist lange Vorlaufzeiten haben.
Noch am Freitag wollen die Ampelparteien behördliche Schließungen von Messen und Kongressen in einer Pandemie wieder ermöglichen. Der Auma drängt nun darauf, diese Passage zu streichen. Im November hatten die neuen Regierungsparteien Messeverbote durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes noch ausgeschlossen.
„Wir wollen nicht ständig in einen Topf mit Volksfesten und Fußballspielen geworfen werden“, ärgert sich Uwe Behm von der Messe Frankfurt. Messen seien kein Pandemietreiber. Messungen der RWTH Aachen hätten gezeigt, dass die Aerosolbelastung klar unter den Grenzwerten liege, selbst in den Aufenthaltsräumen der Messen.
Dreistellige Millionenverluste für die Messe Frankfurt
Das Beispiel Messe Frankfurt zeigt, wie hart die Pandemie Veranstalter trifft. Deutschlands größte Messegesellschaft schwamm jahrelang auf der Erfolgswelle. Im ersten Coronajahr brach der Konzernumsatz von 736 auf 257 Millionen Euro ein. Für 2021 werden nur noch 140 Millionen Euro erwartet. Das Ergebnis sieht ähnlich düster aus. Nach einem Verlust von 122 Millionen Euro 2020 hofft der Vorsitzende der Geschäftsführung Wolfgang Marzin, in diesem Jahr „die 200 Millionen noch abwenden zu können“.
Die Finanzlöcher werden mit Eigenkapital aus guten Zeiten, Krediten in dreistelliger Millionenhöhe sowie November- und Dezemberhilfen gestopft. Auch die Eigentümer Stadt und Land Hessen mussten dreistellige Millionensummen als Darlehen zuschießen. „Ein großer Teil der Gesellschaften wird auch in den nächsten Jahren nur mithilfe des Steuerzahlers überleben können“, meint Branchenexperte Jochen Witt.
Denn auch das Messejahr 2022 zeigt keine Entspannung. Bis Frühlingsanfang sind gut 130 Messen in Deutschland geplant. Gut ein Dutzend Messen ist bereits abgesagt oder verschoben. Die Heim + Handwerk in München Anfang Dezember wurde kurzfristig gecancelt. Die Grüne Woche in Berlin kann im Januar erneut nicht stattfinden. Die Deutsche Messe AG in Hannover sagte die Domotex für Januar ab, die führende Messe für Bodenbeläge. Die Heimtextil in Frankfurt findet im Januar ebenfalls nicht statt.
Demgegenüber soll die Boot, die größte Wassersportmesse der Welt, wie geplant am 22. Januar in Düsseldorf starten. Die großen Yachten sind bereits auf dem Weg an den Rhein. Über 1500 Aussteller aus rund 50 Ländern werden erwartet. „Wir bieten Ausstellern und Besuchern eine perfekte Plattform, die auch in Coronazeiten Informationsaustausch, Networking und Erleben ermöglicht“, ist Wolfram Diener, Chef der Messe Düsseldorf, überzeugt. Auch die Christmas World in Frankfurt und die Internationale Möbelmesse in Köln sollen planmäßig im Januar stattfinden.
Doch in der Messebranche werden Stimmen nach einer Absage aller Messen laut. „Bis auf Weiteres die komplette Streichung von Messen“ fordert Stefan Terkatz, Vorsitzender der IG Messewesen, die Messedienstleister vertritt: „Mit jeder Messe, die wir veranstalten und auf der Coronafälle auftreten, verunsichern wir ausländische Aussteller. Vom Ruf als Messe-Champion kann sich Deutschland dann verabschieden.“
Ausfallfonds für Aussteller und Messebauer gefordert
Werden Messen wegen Corona behördlich verboten, haben Veranstalter Anspruch auf Entschädigung. Der Sonderfonds Messen von 600 Millionen Euro übernimmt bis zu 80 Prozent der Kosten bis maximal acht Millionen Euro pro Veranstaltung. Allerdings bekommen Veranstalter nichts, wenn sie eine Messe selbst absagen, wie im Fall der SPS. „Der Ausfallfonds greift nur, wenn eine Messe behördlich untersagt wird“, stellt Behm von der Messe Frankfurt klar.
Und selbst dann bleiben Aussteller und Messedienstleister auf ihren Kosten sitzen. Der Auma fordert nun einen Absicherungsfonds auch für diese wichtigen Gruppen. Für viele Aussteller ist ein Messestand derzeit ein zu großes Wagnis. Zumal wichtige Kunden etwa aus Asien fehlen. Diese bleiben weg, weil Impfstoffe wie Sinovac in Deutschland nicht anerkannt sind. Zudem steht bei der Rückkehr etwa nach China eine mindestens zweiwöchige Quarantäne an.
Der Messestillstand hat Folgen: Mehr als 40 Prozent aller Unternehmen fällt es laut Auma immer schwerer, entgangene Aufträge zu kompensieren. Digitale Formate seien kein vollwertiger Ersatz für Messen vor Ort. Eine Umfrage der Messe Frankfurt unter rund 59.000 Unternehmen zeigte: Nur drei Prozent sprechen sich für rein digitale Formate aus. Zwei Drittel der Firmen wünschen sich sogar reine Präsenzmessen. Das Digitalgeschäft werde auch in Zukunft höchstens zehn Prozent in der globalen Messebranche ausmachen, glaubt Messechef Marzin. Er hofft, dass seine Messehallen spätestens 2025 wieder voll sind.
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