Coronakrise Der Streit über ein Skiverbot entzweit Europa

Der Skitourismus spielt in Deutschland im Vergleich zu Österreich und der Schweiz eine kleinere Rolle.
München, Wien, Brüssel Bundeskanzlerin Angela Merkel ist entschlossen, eine Ausbreitung der Corona-Pandemie durch den Skitourismus zu verhindern. Am Donnerstag forderte sie im Bundestag, alle Skigebiete Europas bis zum 10. Januar zu schließen. Unterstützung erhält Merkel von den Alpenländern Frankreich und Italien.
Österreich und die Schweiz dagegen lehnen das Ansinnen strikt ab. „Das hängt immer mit den Infektionszahlen zusammen, und zwar den Infektionszahlen bei uns in Österreich“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz. Österreichs Finanzminister Gernot Blümel forderte bereits Entschädigungen in Milliardenhöhe von der EU, falls Skilifte über die Weihnachtsferien stillstehen sollen. Die Alpenrepublik hat in den vergangenen Jahren allein sieben Milliarden Euro in neue Liftanlagen investiert.
Dabei ist der Urlaub in Österreich bereits jetzt nur erschwert möglich. In Bayern müssen Wintersportler und andere Tagestouristen selbst bei kurzen Ausflügen in das als Risikogebiet eingestufte Nachbarland verpflichtend in Quarantäne. Eine Ausnahmeregelung für Aufenthalte unter 24 Stunden soll nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe gelten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat sich bereits strikt gegen Skitourismus in diesem Winter ausgesprochen. Schlangen an den Liften, Gondeln und die Gastronomie gelten als potenzielle Infektionsquellen.
Für Liftbetreiber, Hoteliers und Gastronomen sind das schlechte Nachrichten, denn die Weihnachtsferien gelten in den Alpen als die umsatzstärkste Zeit. Ein Skiverbot könnte daher etliche Unternehmen, die durch die Pandemie ohnehin angeschlagen sind, in die Insolvenz treiben. Insbesondere Österreich braucht die deutschen Touristen. In der Wintersaison 2018/19 kam mehr als die Hälfte der Übernachtungsgäste aus der Bundesrepublik.
Bergbahnbetreiber, Gastwirte und Skischulen in den Alpen blicken in diesen Tagen in eine höchst ungewisse Zukunft. „Das Schlimmste ist, dass wir derzeit keine Ahnung haben, wie es weitergehen wird“, sagt der Hotelier Gerold Schneider, der im österreichischen Nobelskiort Lech einen Fünf-Sterne-Betrieb besitzt. „Wir sollten unseren Mitarbeitern aber möglichst bald sagen, ob sie zur Arbeit erscheinen müssen.“ Ein Hotel benötigt in der Regel zwei bis drei Wochen, um den Betrieb hochzufahren. Am Arlberg und andernorts hat man die Saisoneröffnung angesichts der großen Verunsicherung bereits um einige Tage verschoben.
Für Österreich steht viel auf dem Spiel: Das Land hat seine Infrastruktur in den vergangenen Jahren regelrecht aufgerüstet. Die Skigebiete des Landes haben seit Beginn des Jahrtausends sieben Milliarden Euro investiert. 550 Anlagen wurden neu gebaut oder modernisiert. Mitunter sei das Angebot geradezu luxuriös, meint Skigebietsexperte Laurent Vanat. Beheizte Sessellifte mit Hauben sind vielerorts installiert, Tiefgaragen wurden gebaut, um bei widrigem Wetter bequem zu parken.
Ob sich das alles lohne, sei allerdings noch lange nicht bewiesen. So hätten die Österreicher über Jahre hinweg die Hälfte der Einnahmen reinvestiert. Fast zwei Drittel der Pisten in der Alpenrepublik ließen sich nun künstlich beschneien, allein dafür seien seit 2008 jedes Jahr 130 Millionen Euro geflossen.
Dass sich gerade Österreich dem deutschen Vorstoß widersetzt, ist daher kein Zufall. In keinem anderen EU- Mitgliedsland hängt so viel am Skifahren wie in der Alpenrepublik.
Österreich braucht die Ausländer – und insbesondere die Deutschen. Unzählige Betriebe vor allem im Westen des Landes leben vornehmlich von Stammgästen aus dem Nachbarland. In Tirol beispielsweise stammt die Hälfte der Wintertouristen aus der Bundesrepublik. Falls sie auf ihre Winterferien verzichten, lässt sich ein Hotel in Tirol oder in Vorarlberg kaum mehr rentabel betreiben. Österreicher werden die Lücke im Westen bei Weitem nicht füllen. Einheimische Touristen haben lediglich einen Anteil von sieben Prozent. Ein Hotel braucht allerdings mindestens eine Auslastung von 40 bis 50 Prozent, um rentabel betrieben zu werden.
Eine Million Niederländer fährt jedes Jahr in die Alpen zum Ski
Vor allem Regionalpolitiker und Verbandsvertreter wollen daher auch in der Coronakrise an einer möglichst langen Skisaison festhalten. „Vorarlberg sagt den Winter sicher nicht ab“, sagte beispielsweise der Tourismuslandrat Christian Gantner Mitte der Woche. „Eine Wintersaison wird es geben, wenn auch eine andere.“ Walter Veit, Vizepräsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, meinte, dass auf der Piste mehr Platz sei als unter dem Christbaum in der Wohnung. „Weihnachten im Hotel ist sicherer als daheim.“
Nicht nur in Österreich regt sich Widerstand gegen Merkel. Auch die deutschen Skigebiete sind alarmiert. Ein Wintersportverbot wäre für die betroffenen Regionen katastrophal und zudem unverständlich, sagte Matthias Stauch, Vorstand des Verbands Deutscher Seilbahnen. Bewegung an der frischen Luft sei gesund und das Infektionsgeschehen in Ischgl sei nicht vom Skibetrieb ausgegangen. „Wenn uns jetzt zwischen den Weihnachtsfeiertagen und dem 10. Januar das Geschäft wegbricht, ist das katastrophal.“

In diesen Tagen sind in den Alpen nur die Skigebiete in der Schweiz geöffnet.
Die Alpenländer geben sich gern als Heimat des Skisports. Weltweit existieren indes rund 2000 Skigebiete in 68 Ländern. Von den führenden Resorts befinden sich allerdings 80 Prozent in den Alpen. Die besucherstärksten Skigebiete sind der Arlberg in Österreich und La Plagne in Frankreich. Experte Vanat schätzt, dass rund um den Globus rund 135 Millionen Menschen mehr oder weniger regelmäßig auf Skiern stehen. Dazu gehören auch Sportler aus Ländern wie Holland, die überhaupt keine Skilifte besitzen. Immerhin eine Million Niederländer fährt trotzdem in normalen Jahren zum Skifahren in die Berge.
Aber was ist schon normal dieses Jahr? Im Wintersportland Österreich jedenfalls ist das öffentliche Leben momentan noch weitgehend lahmgelegt, selbst die Schulen sind dicht. Bundeskanzler Sebastian Kurz lässt offen, wie es weitergeht. Geöffnet sind nur Lebensmittelläden, Banken und Postfilialen. Kurz hat sich noch nicht festgelegt, in welcher Reihenfolge die Läden, Restaurants und Kulturstätten wieder öffnen dürfen, und auch nicht, wie es mit den Skigebieten weitergeht. Oberstes Ziel der Regierung ist es allerdings, dass die Kinder und Jugendlichen ab dem 7. Dezember wieder in die Schule gehen. Sonst wollte sich Kurz nicht festlegen. Die Absicht sei, die Infektionszahlen so schnell wie möglich zu reduzieren.
Kanzlerin Merkel selbst ist unterdessen skeptisch, dass sich europaweite Schließungen durchsetzen lassen. Angesichts des Widerstands Österreichs sei eine europäische Koordination schwierig, sagte sie in Berlin. Mit ihrem Vorstoß setzte Merkel allerdings die am Mittwoch gefundene Einigung mit den Ministerpräsidenten über die weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie um.
„Die Bundesregierung wird gebeten, auf europäischer Ebene zu abgestimmten Regelungen zu kommen, um bis zum 10. Januar Skitourismus nicht zuzulassen“, heißt es in dem von Ländern und Bund beschlossenen Papier. Bereits am Mittwoch kam aus Italien ein ähnlicher Vorschlag. Die italienische Regierung schlug vor, die Skipisten über Weihnachten und Neujahr europaweit zu sperren.
Damit soll das Reisen von Millionen von Europäern am Ende des Jahres verhindert werden. Regierungschef Giuseppe Conte hatte sich für seinen Vorstoß bereits die Rückendeckung von Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron geholt. Frankreich hat im Alleingang bereits seine Skigebiete in den West- und Südalpen bis Ende Januar geschlossen.
Im Herbst waren die Gletscher voll mit Skitouristen
Die Schweiz, die im Gegensatz zu allen anderen Alpenländern nicht der EU angehört, hält am Skibetrieb fest. Auf den Gletschern des Landes laufen die Lifte auch in diesen Tagen. Im Fall eines Verbots der Skiferien in den alpinen EU-Ländern könnten die Eidgenossen die großen Profiteure der Wintersaison werden.
Österreich verfügt derweil nicht nur über die größten Skigebiete der Alpen, mitten in den Bergen sitzt auch Atomic, der global führende Skihersteller. Die Firma aus Altenmarkt im Salzburger Land produziert jedes Jahr eine Million Paar Skier, ein Viertel des Weltmarkts, und genauso viele Paar Skistiefel. Der Auftakt in die neue Saison sei vielversprechend gewesen, sagte Atomic-Chef Michael Schineis jüngst dem Handelsblatt. „Die Gletscher waren voll, die Konsumenten wollen raus“, so der Manager. Im Oktober sei das Geschäft von Atomic wieder auf Vorjahresniveau gelaufen.

Bisher waren Masken dazu da, vor der Kälte zu schützen. Jetzt sollen sie die Ausbreitung des Coronavirus auch beim Skifahren stoppen.
Seit die Lifte in den Gletscherskigebieten ruhen, sind Alpinskier aber zu Ladenhütern geworden. Der Verkäufer eines großen süddeutschen Händlers, der nicht genannt werden will, berichtet von 90 Prozent weniger Umsatz als vergangenes Jahr. Bei Kinder-Ausrüstung gehe praktisch überhaupt nichts mehr. Dabei hat Atomic zuletzt noch 30 Millionen Euro in sein Stammwerk in Altenmarkt gesteckt, zwei Drittel davon in die Logistik, der Rest in Roboter und Automatisierung.
Immerhin, wenn ausreichend Schnee fällt, dürfte Schineis zumindest ordentlich Langlaufskier absetzen. „Langlauf könnte eine Renaissance erleben, falls die Bedingungen stimmen.“ Und auch an den Skibergsteigern dürfte der Manager mehr verdienen als sonst. „Bei Tourenskiern rechnen wir mit einem zweistelligen Zuwachs.“ Sie stehen für 15 Prozent vom Umsatz.

Die Schweiz hält am Skibetrieb fest.
Corona ist eine Katastrophe für die Skigebiete, aber es war schon zuvor nicht einfach. „Die Branche hat noch nicht den goldenen Weg gefunden, um Anfängern das Skifahren so beizubringen, dass sie immer wiederkommen“, kritisiert Skigebietsexperte Vanat. In Deutschland fangen jedes Jahr bis zu einer Viertelmillion Kinder mit dem Skifahren an, schätzt Peter Hennekes, Geschäftsführer des Deutschen Skilehrerverbands. „Das ist über die Jahre sehr stabil geblieben.“ Fällt die Skisaison dieses Jahr wegen Corona aus, wären nicht nur die Skilehrer arbeitslos. Es würde auch ein gesamter Jahrgang fehlen, der womöglich für immer fürs Skifahren verloren ist.
Nicht wenige Hoteliers in Österreich dürften sich stillschweigend mit dem Gedanken angefreundet haben, den Betrieb bis Mitte Januar ruhen zu lassen, wie Deutschland es vorschlägt. Das hängt mit den großzügigen Umsatzentschädigungen zusammen, die das Land derzeit den Hotels gewährt. Seit dem 3. November sind die Beherbergungsbetriebe im Rahmen des herrschenden Lockdowns im Prinzip geschlossen.
Die Regierung überweist den Hotels jedoch einen Umsatzersatz von 80 Prozent, wobei die Einnahmen vom November 2019 die Vergleichsbasis bilden. Diese Hilfe ist kostspielig, im Unterschied zu anderen Finanzmaßnahmen wird sie den Unternehmen aber rasch gutgeschrieben.
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