Coronakrise Innenstadthändler bangen um ihre Existenz – Discounter wollen Leerstände füllen

Aldi und Lidl drängen mit ihren Filialen mehr und mehr in die deutschen Innenstädte.
Düsseldorf Oktober 2017, Berlin-Mitte. In der Berolinastraße 7 eröffnet Aldi Nord eine neue Filiale – mit einer Verkaufsfläche von etwa 800 Quadratmetern. In Kombination mit dem Discounter im Erdgeschoss ist in den darüberliegenden Etagen zusätzlich Wohnraum entstanden. Unten der Aldi-Markt, oben Wohnfläche: Über 60 Eigentumswohnungen wurden geschaffen auf einer Fläche, auf der zuvor ursprünglich nur ein eingeschossiger Discounter stand.
Juni 2020: Düsseldorf, Flinger Straße, Ecke Mittelstraße. Im ersten Obergeschoss des ehemaligen Verkaufshauses einer Modekette schafft Aldi Süd einen neuen Markt – mit einer Verkaufsfläche von etwa 1000 Quadratmetern. Das Gebäude mitten in der Düsseldorfer Innenstadt dient aber nicht nur Aldi Süd als neuen Standort: Im Erdgeschoss sind Einzelhändler und Gastronomen zu finden, im Dachgeschoss werden Wohnungen vermietet.
Zwei Beispiele, die zeigen: Discounter drängen in die Innenstädte – und die Coronakrise könnte den Wandel beschleunigen. Denn viele Innenstadthändler stehen infolge der Corona-Beschränkungen vor der Pleite – und ein Ende des Lockdowns ist nicht in Sicht.
Von Januar bis November 2020 büßte der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren laut Schätzungen des Statistischen Bundesamtes 21,5 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum Vorjahresniveau ein. Eine Trendumfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) unter mehr als 700 Händlern zeigt: Knapp zwei Drittel der Innenstadthändler sehen ihre Existenz in Gefahr.
Discounter wollen die Chance nutzen und frei werdende Geschäfte füllen: „Filialen in verdichteter, innerstädtischer Lage sind für Aldi Süd sehr attraktiv“, sagt Jan Riemann, als Director Property bei Aldi Süd Ansprechpartner für Immobilien-Projekte. Das Unternehmen sei bereit, zukünftige Möglichkeiten zu nutzen und als Frequenzbringer Lücken in den Innenstädten zu schließen.
Der Druck auf die Kommunen steigt
Auch Aldi Nord hat Interesse an den Innenstadtlagen. So würde das Unternehmen mehr und mehr Märkte in direkten Innenstadtlagen, Shoppingcentern und Fußgängerzonen an zentralen städtischen Knotenpunkten realisieren, teilt der Discounter auf Anfrage mit.
„Lebensmittelhändler wird es im Handel mit zentralster Innenstadtlage geben“, sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH) Köln. Und das könnte durch die Coronakrise schneller geschehen als bislang erwartet.
Denn der Druck auf die Kommunen, jetzt zu handeln, steigt: Wenn Innenstädte nicht schnell wieder mit Leben gefüllt würden, könnten sich langfristig immer mehr Kunden vollständig an den Onlinehandel gewöhnen, sagt Aygül Özkan, Geschäftsführerin des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA) Deutschland.
Doch dafür braucht es neue Konzepte. Bislang waren Discounter meist auf großen Flächen außerhalb der Innenstadt-Bestlagen zu finden. Die Kunden konnten auf dem Gelände parken und ihre Wocheneinkäufe direkt in das Auto laden. Das ist in der Enge der Innenstadt kaum möglich, aber womöglich auch gar nicht gewollt. Denn die Discounter haben vor allem eine Zielgruppe im Blick: Berufspendler, die in den Pausen oder nach Feierabend ihren täglichen Einkauf erledigen wollen.
Mischbebauung als Konzept für die Innenstadt
Und Aldi Nord und Aldi Süd zeigen in Berlin und Düsseldorf bereits ein Konzept, mit dem diese Zielgruppe in der Innenstadt erreicht und zusätzlich noch Fläche geschaffen werden kann. Mit dem Konzept der Mischbebauung: Gebäude, in denen beispielsweise im Erdgeschoss ein Discounter und in den oberen Etagen Büroräume oder Wohnungen sind.
Auch der Discounter Lidl hat dieses Konzept bereits für sich entdeckt: „In hochverdichteten Lagen der Metropolen integrieren wir Filialen beispielsweise in Bestandsgebäude oder errichten gemischt genutzte Immobilien mit Wohnungen, Büroflächen oder anderen Nutzungen.“ Allerdings würde sich dies nur für wenige, ausgewählte Standorte eignen.
Wie so etwas aussehen kann, können Lidl-Kunden bald in Bietigheim-Bissingen sehen. In der nördlich von Stuttgart gelegenen Kreisstadt baut der Konzern derzeit eine neue Filiale mit 1710 Quadratmeter Verkaufsfläche. Die Besonderheit: Auf dem Dach des Gebäudes wird eine Kindertagesstätte errichtet, die etwa 62 Betreuungsplätze umfassen soll. Mitte des Jahres soll der Bau abgeschlossen sein – und die Filiale eröffnen.
Mit den alternativen Konzepten treten die Discounter in direkte Konkurrenz zu den bisher bestehenden City-Supermärkten wie „Rewe City“, die das Konzept in den Innenstadt-Bestlagen bereits seit einigen Jahren verfolgen.
Ikea will mit City-Stores in weltweit 40 Metropolen
Doch nicht nur Discounter entdecken die Innenstädte für sich. Möbelhäuser, meist wie Discounter bislang durch große Ladenflächen außerhalb der Innenstadt bekannt, zieht es ebenfalls in die zentralsten Lagen – so wie den schwedischen Möbelgiganten Ikea.
„Unabhängig von der aktuellen Situation (Coronakrise, Anm. d. Red.) verfolgt Ikea weiterhin die Strategie, neue Ikea-Formate in zentraler Innenstadtlage zu schaffen.“ Bislang hat der Einrichtungskonzern zwei Studios im Raum Berlin eröffnet, ein drittes soll im Sommer folgen. In den kommenden Jahren will Ikea in weltweit über 40 Metropolen vertreten sein.
In den kleineren City-Stores bietet der Einrichtungskonzern dabei nur ein ausgewähltes Sortiment an. Die Ware kann der Kunde auch nicht wie sonst üblich direkt mitnehmen, sondern bestellt sie entweder per Lieferung oder holt sie in einem der umliegenden Einrichtungshäuser ab.
Die Beispiele zeigen: Discounter und Möbelhäuser stehen mit neuen Konzepten bereit, um wieder Leben in die Innenstädte zu bringen – doch sie werden nur ein Bestandteil sein.
Handelsexperte Hedde ist sich dennoch sicher: „Innenstädte werden weiterhin ein gesellschaftliches Zentrum sein“. Trotz Onlinehandel.
Mehr: Händler stellen sich auf Corona-Lockdown bis Ostern ein – und fürchten Pleiten.
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