Coronavirus Flugzeugindustrie in Not – Kleine Zulieferer vor dem Aus

A320-Fertigung in Hamburg Finkenwerder: Viele Zulieferbetriebe haben ihre Kapazitäten hochgefahren, jetzt droht wegen des Coronavirus eine massive Flaute.
Frankfurt Als erster rief der schwer angeschlagene Riese Boeing um Hilfe – für sich, aber auch für andere. Die Luftfahrtbranche brauche Staatshilfen, appellierte das Management an die US-Regierung. Von diesen Hilfen würde die gesamte Industrie profitieren, denn ein großer Teil davon sei für die Zulieferer gedacht, hieß es in einer Erklärung.
Am Montag folgte Airbus. Guillaume Faury, Chef des europäischen Luftfahrtkonzerns, bat die Regierungen um Unterstützung. „Wir erbitten keine direkte Hilfe der Regierungen für Airbus“, erklärte der Top-Manager in einer Telefonkonferenz. Es gehe vielmehr um die Zulieferer. Ein Flugzeug bestehe aus bis zu 500.000 Teilen, daran seien viele Firmen beteiligt. „Das ist eine sehr komplizierte Branche“, so Faury.
Die Folgen des Coronavirus kommen zeitverzögert in der Flugzeugindustrie an – und das mit voller Wucht. Weltweit parken die Airlines ihre Flotten. Emirates stellt den Betrieb ein, die Lufthansa-Tochter Austrian verlängert die Betriebspause bis zum 19. April – um nur ein paar Beispiel zu nennen. Stellflächen für die Jets sind derzeit gefragte als Start- und Landebahnen.
In dieser Phase will sich kaum eine Fluggesellschaft mit neuen Flugzeugen belasten. „Wir reden über Anzahlungen, Stornierungen und Lieferverschiebungen mit Airbus und Boeing“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr am vergangenen Donnerstag: „Alle zehn Tage ein neues Flugzeuge war geplant, jetzt brauchen wir davon erst mal keines.“ Die Gespräche seien aber eine komplizierte Angelegenheit, zumal das gerade alle Airlines machen würden.
Angesichts dessen hat Airbus seine Jahresprognose am Montag verworfen. Ob damit auch das Lieferziel von 880 Verkehrsflugzeugen im laufenden Jahr gemeint ist, blieb offen. Airbus versucht mit seinem sogenannten Watch Tower die Wünsche der Kunden so zu steuern, dass die Lieferzahlen dennoch erreicht werden. Denn einige Airlines wie etwa Wizz Air haben kürzlich erklärt, ihre Flugzeuge gerne auch früher abzunehmen.
Doch was in der Finanzkrise 2008/2009 gut klappte, könnte in dieser schweren Krise eine echte Herausforderung werden. Faury spricht von einer beispiellosen Situation. Die Unsicherheit über die Nachfrage nach neuen Flugzeugen sei aktuell groß, besonders was Großraum-Jets für die Langstrecke angehe.
Schwache Bilanz bei vielen Betrieben
Für die häufig mittelständischen Zulieferbetriebe sind das alarmierende Aussagen. Viele hängen stark an den Auslieferungen neuer Jets und sind bilanziell nicht besonders gut gerüstet. „Wir schauen uns seit Jahren rund 2000 Zulieferer an und haben festgestellt, dass die Finanzkraft im Schnitt nachgelassen hat“, warnt Michael Santo von der H&Z Unternehmensberatung in München.
Viele seien der Neuausrichtung durch Airbus gefolgt und finanzierten das Working-Capital selbst, kauften die Teile selbst ein. „Gleichzeitig ist der Preisdruck gewachsen. Zusammen drückt das die relativen Margen und treibt den Verschuldungsgrad nach oben.“
Die Ergebnisse einer Simulation von Santo sind erschreckend. „Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass ab einer Dauer der Krise von zwei Monaten und mehr zwischen 15 und 20 Prozent der Tier 2-Zulieferer Insolvenz anmelden müssten.“ Tier 2-Unternehmen liefern in der Regel komplette Komponenten, nicht nur einzelne Teile. Betroffen sind laut Santo vor allem Hersteller sogenannter Aerostrukturen wie etwa Rümpfe. Denn diesen fehlt das Servicegeschäft, um die Ausfälle zumindest etwas aufzufangen.
Die Coronakrise trifft viele Flugzeugzulieferer in einer schwierigen Phase. Die einen haben sich sehr stark in Richtung der Airbus-Flugzeuge A380 und A400M ausgerichtet. Beide Programme hängen aber deutlich hinter den Planungen oder laufen wie im Fall der A380 aus. Die anderen sind stark auf die Mittelstreckenjets etwa der Airbus A320-Familie ausgerichtet. Die waren bis zum Ausbruch der neuartigen Lungenkrankheit mit dem Namen Covid-19 heiß begehrt.
In einem Gewaltakt haben viele Zulieferer deshalb in zusätzliche Kapazitäten investiert, damit Airbus das Fertigungsziel von 60 Flugzeugen und vielleicht noch mehr pro Monat erreichen kann. „Wenn nun plötzlich die Raten auf 50 oder noch weniger sinken sollte, stehen diesen Investitionen keine Einnahmen gegenüber. Paradoxerweise stehen alle diejenigen, die in den zurückliegenden fünf bis acht Jahren nicht investiert haben, nun besser da“, sagt Santo.
Darüber hinaus sinkt der Modernisierungsdruck durch den sehr niedrigen Ölpreis. Der ist mittlerweile so stark gesunken, dass sich die Einflottung moderner A320 neo oder auch der Boeing 737 Max wirtschaftlich nicht mehr rechnet. Das dürfte viele Airline-Manager zu der Entscheidung führen, im Sinne der Liquiditätssicherung vorerst an den Maschinen mit den herkömmlichen Triebwerken festzuhalten. Zwar wird die Klimadebatte nach der Corona-Epidemie wiederkommen. „Aber Klimaschutz muss man sich auch leisten können“, sagt Santo.
MTU pausiert die Fertigung
Der Triebwerksbauer MTU hat am Montag bereits angekündigt, seine Fertigung an mehreren europäischen Standorten ab kommenden Montag für zunächst drei Wochen auszusetzen. Die Instandhaltung, also die Wartung der Motoren, soll eine Woche später mit einer dreiwöchigen Pause folgen. Dahinter steht die Erwartung, dass die Airlines für die wenigen Jets, die noch in Betrieb sind, zunächst die Triebwerke der geparkten Flugzeuge nutzen werden.
Auch die Lufthansa-Wartungstochter Lufthansa Technik rechnet mit deutlichen Folgen für den eigenen Betrieb. „Das volle Ausmaß wird uns erst mit Verzögerung treffen, so dass eine Prognose momentan unmöglich ist, aber erste Auswirkungen sind bereits massiv spürbar“, sagte Johannes Bußmann, der CEO des Unternehmens, am Montag.
Berater Santo weist zudem noch auf einen anderen möglichen Effekt hin: „Es könnte sein, dass wir in der Luftfahrt nach dem Ende der Coronakrise eine Marktstruktur haben werden wie vor 30 Jahren - mit vielen Airlines, bei denen der Staat beteiligt ist.“ Da stelle sich die Frage, ob der Staat dazu bereit sei, massiv in die Modernisierung der Flotte zu investieren.
Dennoch sieht der Experte auch positive Effekte: „Die Branche hat seit 18 Jahren keine echte Krise mehr erlebt. Corona bietet die Chance, alte Zöpfe abzuschneiden, Strukturen zu optimieren und zu konsolidieren. Es ist gut möglich, dass Corona Kräfte freisetzt, um notwendige Marktbereinigungen zu realisieren.“
„Wir sehen unser Maßnahmenpaket nur als ersten Schritt an“
Vorerst geht es in der Branche allerdings bergab. Singapore Airlines etwa will die Flotte bis Ende April am Boden lassen und mit den Herstellern über neue Liefertermine für Jets sprechen. Ähnlich ist die Situation bei der schwer von Corona getroffenen Cathay Pacific aus Hongkong. Auch deren Management spricht mit Airbus und Boeing über mögliche Verschiebungen von Flugzeug-Lieferungen. Der schwer angeschlagene skandinavische Billiganbieter Norwegian wiederum will seine vier Boeing 787 Dreamliner, die er noch bekommen soll, auch erst später haben.
Kein Wunder also, dass die Hersteller gerade so vehement für Staatshilfen werben. Zwar sind auch sie gefragt, in Notsituationen den eigenen Zulieferern finanziell zu helfen. Denn liegt ein Betrieb erst einmal richtig brach, ist es sehr aufwendig, die sensible Produktion von Flugzeugkomponenten wieder hochzufahren.
Doch angesichts der Sorgen um die eigene Liquidität hoffen Airbus und Boeing nicht zuletzt auf den Staat. Das Ziel ist es, den Zulieferfirmen das „Überwintern“ der Krise zu ermöglichen. Boeing will dazu zum Beispiel 20 Milliarden Dollar von der US-Regierung – für sich, aber vor allem für die Unternehmen der eigenen Lieferkette.
Mehr: Corona schrumpft Lufthansa. Airline-Chef Spohr erwartet eine deutliche Veränderung des Flugmarkts
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