E-Commerce Showdown am Singles’ Day: Alibaba spürt harte Konkurrenz

Der chinesische E-Commerce-Riese hat ein rabenschwarzes Jahr hinter sich.
Düsseldorf Der chinesische E-Commerce-Konzern Alibaba will am Superverkaufstag 11.11. wieder Rekorde brechen. Der sogenannte Singles’ Day ist für das Unternehmen der umsatzstärkste Tag im Jahr. Allerdings greift der Tech-Konzern seit dem vergangenen Jahr zu einem Trick, um immer neue Umsatzrekorde zu erreichen: Er verlängerte das Verkaufsevent auf fast drei Wochen.
„Wir stellen fest, dass Double 11 inzwischen nicht mehr die Bedeutung hat wie noch vor zwei oder drei Jahren“, sagt Fabian Schneider, Nordasien-Chef beim Kosmetikhersteller Dr. Wolff. Das Bielefelder Familienunternehmen verkauft seine Shampoomarken Alpecin und Plantur auf Chinas E-Commerce-Plattformen äußerst erfolgreich.
Grund für diesen Bedeutungsverlust seien das inflationär steigende Angebot an Shoppingfestivals und neue Trends wie Livestreaming oder Social Selling. Diese konkurrierten immer stärker mit Alibabas Verkaufsaktion und locken das ganze Jahr über mit Rabatten. Anders gesagt: Der einst unangefochtene Marktführer bekommt zunehmend Konkurrenz.
Ohnehin hat das Unternehmen ein rabenschwarzes Jahr hinter sich. Um mehr als 300 Milliarden Dollar ist der Börsenwert innerhalb eines Jahres eingebrochen. Das harte Vorgehen der chinesischen Aufsichtsbehörden gegen Tech-Plattformen im Allgemeinen – und Alibaba im Besonderen – hat Investoren verunsichert.
Hinzu kommt, dass der Amazon-Konkurrent auf dem wichtigen Heimatmarkt langsamer wächst, während die Wettbewerber zulegen. Der Marktanteil dürfte in diesem Jahr erstmals unter 50 Prozent fallen, prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Emarketer.
Für den erfolgsverwöhnten Konzern aus Hangzhou ist dieser Gegenwind ungewohnt. In fast 20 Jahren wuchs Alibaba nahezu unreguliert zum größten E-Commerce-Konzern Chinas mit einem Umsatz von zuletzt 109 Milliarden Dollar und mehr als einer Milliarde aktiven Kunden heran. Alibaba-Gründer Jack Ma galt als Vorzeigeunternehmer, dem der Aufstieg vom Sitzenbleiber zu einem der reichsten Chinesen gelungen war.
Doch vor einem Jahr änderten sich die politischen Spielregeln. Im November 2020 untersagten Chinas Finanzbehörden kurzfristig den auf 34,5 Milliarden US-Dollar taxierten Mega-Börsengang der Finanzdienstleistungstochter Ant, an der Alibaba noch ein Drittel hält. Zuvor hatte Ma es gewagt, sich öffentlich kritisch über Chinas Regulierungsbehörden und deren „Pfandhausmentalität“ zu äußern. Kurz darauf verschwand er für Monate weitgehend von der Bildfläche.
Rekordstrafe wegen Wettbewerbsverstößen
Im Mai verdonnerten Chinas Wettbewerbshüter Alibaba zu einer Rekordstrafe von 18,2 Milliarden Yuan, umgerechnet rund 2,8 Milliarden Dollar. Die Begründung: Das Unternehmen habe seine marktbeherrschende Position ausgenutzt und Händler daran gehindert, ihre Waren auf anderen Einkaufsplattformen zu verkaufen.
Dadurch sei der Wettbewerb im Onlinehandel behindert, die Innovationen in der Internetwirtschaft seien beeinträchtigt und die Interessen der Verbraucher geschädigt worden. Alibaba gelobte Besserung – und spendete kurz darauf mehr als 15 Milliarden Dollar für Zwecke, die den „allgemeinen Wohlstand“ fördern sollen, wie es die Staatsführung wünscht.
Zuletzt hat das zuständige IT-Ministerium die Internetplattformen aufgefordert, ihre Ökosysteme für Wettbewerber zu öffnen. Seit September kann auf der wichtigsten Alibaba-Shoppingplattform Taobao deshalb auch mit anderen Bezahlmöglichkeiten abseits von Alipay bezahlt werden. Das war zuvor nicht möglich.
Tim Thiele, Direktor bei der Unternehmensberatung Alix Partners, hält die Auswirkung der neuen Regelung kurzfristig für begrenzt. Die chinesischen Kunden seien an das Zusammenspiel von Alibaba und Alipay gewöhnt, glaubt er. Mittelfristig sieht er jedoch das Risiko, dass andere Anbieter den Zahlungsverkehr übernehmen und „somit ein Teil der Wertschöpfung abgreifen“. Andererseits könnte es auch gelingen, neue Kunden zu gewinnen, die kein Alipay nutzen.
Doch bereits bevor die neuen Wettbewerbsregeln richtig greifen, bekommt Alibaba den härteren Wettbewerb im sich rasant wandelnden chinesischen E-Commerce-Geschäft zu spüren.
Nicht nur traditionelle Onlinehändler wie JD.com und die Rabattplattform Pinduoduo, die mit Groupon vergleichbar ist, machen Alibaba und seiner wichtigsten Shoppingplattform Taobao zunehmend Konkurrenz. Zwar wachsen sie alle „weiterhin beeindruckend“, wie die Analysten des Marktforschungsunternehmens Emarketer konstatieren.
Allerdings befänden sie sich in einer Phase „struktureller Verlangsamung ihres Wachstums, vor allem Alibaba“. Hinzu kommt, dass die großen Akteure unter besonderer Beobachtung der Wettbewerbshüter stehen. Sie sind gezwungen, ihre Exklusivitätsvereinbarungen mit Händlern aufzugeben.
So bieten inzwischen immer mehr Verkäufer ihre Waren direkt über die Super-App Wechat des Tech-Konzerns Tencent feil. Dieser Direktverkauf ist auch bei Konsumenten sehr beliebt. Das sogenannte Social Commerce oder Social Selling wächst in China extrem schnell. Emarketer schätzt das Geschäftsvolumen 2021 auf mehr als 360 Milliarden Dollar.
Ebenfalls hohe Wachstumsraten verzeichnen mobile Liveshopping-Formate. So werben auf der Videoplattform Douyin, der chinesischen Tiktok-Schwester, Internetpromis für Produkte, die die Nutzer mit wenigen Klicks direkt kaufen können. Auf diese Weise steigt der Mutterkonzern Bytedance zunehmend ins E-Commerce-Geschäft ein.
Einer Studie der Unternehmensberatung Alix Partner zufolge planen 97 Prozent der chinesischen Käufer, sich während des Singles’ Day Livestreams anzusehen. Ein Großteil der kaufkräftigen Generation Z hat demnach auch vor, über Online-Liveshopping Geld auszugeben. Vor allem für junge Verbraucher sei Livestreaming ein wichtiger Kanal, betont Thiele.
Lippenstift-König mit Milliardenumsatz
Auch Alibaba hat zuletzt kräftig in das Livestreaming-Geschäft investiert. Auf seiner wichtigsten Plattform Taobao bieten Influencer mit Millionen von Fans in eigenen Kanälen Produkte zum Kauf an. Bekanntestes Beispiel ist „Lippenstift-König“ Austin Li. In einer zwölfstündigen Live-Werbeaktion im Vorfeld des Singles’ Day verkaufte er Kosmetikprodukte für 1,7 Milliarden Dollar.
Obwohl Alibaba in den vergangenen Jahren Marktanteile verloren habe, behalte das Unternehmen dennoch eine „dominante Position auf dem chinesischen E-Commerce-Markt, der immer noch ein bedeutendes Wachstumspotenzial bietet“, meint Barclays-Analyst Jiong Shao.

Berichte über seine jüngste Europareise nähren die Hoffnung, dass der Konzern die ärgste Regulierungswelle vorerst überstanden hat.
Hinzu komme das Cloud-Geschäft und die Beteiligung an Ant, denen die Finanzmärkte derzeit „fast keinen Wert beizumessen scheinen“. Alibaba ist der größte Cloud-Provider Chinas. Der Geschäftsbereich sorgt inzwischen zwar für rund zehn Prozent des Umsatzes, ist bislang allerdings nicht profitabel. Die Gewinne kommen nach wie vor aus dem E-Commerce.
Investoren warten deshalb mit Spannung auf die endgültigen Verkaufszahlen des Singles’ Day – und die Halbjahreszahlen, die am 18. November veröffentlicht werden. Seit Oktober hat sich die Aktie des Unternehmens leicht erholt. Zuvor hatte sich die Staatszeitung „People’s Daily“ lobend über das Serverchip-Geschäft von Alibaba geäußert. Auch Gründer Jack Ma tauchte wieder in der Öffentlichkeit auf. Berichte über seine jüngste Europareise nährten die Hoffnung, dass der Konzern die ärgste Regulierungswelle vorerst überstanden hat.
Die Reise könnte auch ein Indiz sein, wie und wo Alibaba künftig wachsen will. Zwar hat sich Ma 2019 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Doch vor dem regulatorischen Crackdown und der Coronapandemie war er unermüdlich als Botschafter des E-Commerce im Ausland unterwegs. Bislang macht Alibaba nur rund zehn Prozent seines Umsatzes außerhalb von China. Gegen ein Wachstum im Ausland dürften auch die chinesischen Wettbewerbshüter nichts einzuwenden haben.
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