Einzelhandel Das anspruchsvolle Geschäft mit den 24 Türchen

Bei „Schäffer“ in Osnabrück können die Kunden erstmals selbst entscheiden, wie sie die 24 Säckchen füllen wollen.
Düsseldorf, München Voll bis unter die Decke: 60 verschiedene Adventskalender stapelten sich vergangenes Jahr noch bei „Schäffer“ in Osnabrück. Dieses Jahr hat Tobias Schonebeck umgestellt: Bei dem Innenstadt-Händler sind weniger fix und fertig bestückte Adventskalender zu sehen. Stattdessen lässt der Kaufmann seine Kunden erstmals selbst entscheiden, wie sie 24 Säckchen füllen wollen: Die Konsumenten können aus 100 Artikeln wählen.
„Die Stimmung kippt gerade und das Interesse an individuellen Kalenderfüllungen wächst“, sagt Schonebeck. Jahrelang haben Kaufleute wie Schonebeck immer mehr Platz für fertige Adventskalender frei geräumt. Sie sind heute ein wichtiger Umsatzbringer im Herbst. Aber der Zenit scheint erreicht: „Die zunehmende Auswahl an Adventskalendern macht das Geschäft immer schwieriger“, stellt der Unternehmer fest.
Neben einigen Bestsellern würden sich so manche Adventskalender als schwer verkäuflich erweisen. Schonebeck kennt sich gut aus, er führt das Traditionshaus „Schäffer“ in Osnabrück, das sich auf edles Geschirr und Gläser, auf Küchenutensilien und Spielzeug spezialisiert hat. Der mehr als 120 Jahre alte Betrieb gilt deutschlandweit als Vorzeigehändler, sowohl vor Ort als auch im Internet.
Die Industrie reizt inzwischen aus, was geht. Es scheint keine Grenzen mehr zu geben: Einen Adventskalender für Katzen bietet etwa der Discounter Lidl als „festtägliche Überraschung für Ihren Liebling“ an: Coshida-Trockenfutter hinter 24 Türchen. „Foodist Gin“ beinhaltet für 119,90 Euro „einzigartige Gin-Spezialitäten à 50 Milliliter aus elf verschiedenen Ländern“.
Die Rösterei 19grams hat in einem Kalender 24 verschiedene Single-Origin-Kaffees aus 18 Ländern zusammengestellt. Dazu gibt es Gewürzkalender von Just Spices für 24,99 Euro und von Ankerkraut für 69,90 Euro – ein Start-up, das bekannt ist aus der „Höhle der Löwen“. MyMüsli bietet Frühstücksflocken in 24 Portionen für 49,90 Euro.
Diese Vielfalt entstand erst in den letzten Jahren. Mitte des vergangenen Jahrzehnts waren es zunächst lediglich die Spielwarenhersteller wie Playmobil oder Lego, die hier eine neue Einnahmequelle für sich entdeckten. „Unternehmen haben die Zahlungsbereitschaft für hochwertige Adventskalender lange Zeit unterschätzt“, glaubt Rainer Münch, Handelsexperte und Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman.
Mit der Zeit drängten aber praktisch alle Konsumgüterhersteller in den boomenden Bereich. Das sei grundsätzlich durchaus sinnvoll, meint der Berater. „Adventskalender sind für Unternehmen vier Wochen Werbefläche im Wohnzimmer der Kunden.“ Sie würden den Marken zudem ermöglichen, ihre Produkte sehr emotional zu vermitteln. Das liege nicht zuletzt daran, dass die Leute kleine Überraschungen lieben würden.
Die Zahlungsbereitschaft ist begrenzt
Es ist nicht so, dass sich die Menschen in Deutschland auf einmal komplett von den fertig gepackten Adventskalendern verabschieden und nur noch selbst welche basteln. Aber viele Produkte bekannter Marken waren in den Tagen unmittelbar vor dem ersten Advent mit kräftigem Rabatt zu bekommen.
Der Adventskalender des Erotikversands Amorelie zum Beispiel, der in den vergangenen Jahren mitunter rasch vergriffen war, wurde diese Woche im Webshop des Unternehmens mit 30 Euro Ermäßigung angeboten. Damit kostete der Kalender, der angeblich einen Warenwert von 485 Euro hat, jetzt nur noch 99,90 Euro.
Offenbar ist die Zahlungsbereitschaft der Menschen in Deutschland begrenzt. Einer Umfrage von Statista zufolge ist rund die Hälfte der Konsumenten dieses Jahr bereit, bis zu 30 Euro für einen Adventskalender auszugeben. Für gut ein Drittel liegt die Grenze bereits bei zehn Euro. 100 Euro und mehr wollen indes nur zwei Prozent der Befragten in die Hand nehmen.
Wer heute noch in das Geschäft mit Adventskalendern einsteigen will, der muss sich etwas einfallen lassen. Gerade so wie der fränkische Stifthersteller Schwan-Stabilo. Der Mittelständler hat dieses Jahr erstmals eine auf 4000 Stück limitierte Auflage eines Kreativ-Adventskalenders herausgegeben. Binnen kürzester Zeit war die Box, die etwa so groß wie ein Schuhkarton ist, vergriffen.
Der Clou: Die Familienfirma hatte sich mit der Influencerin „Frau Hölle“ zusammengetan und den Artikel über Online-Plattformen beworben. Vorbesteller mussten 60 Euro dafür hinlegen, regulär kostete der Adventskalender 70 Euro. Inzwischen wird er für weit mehr als 100 Euro auf Ebay gehandelt.
Der Chef der Stiftesparte von Schwan-Stabilo, Horst Brinkmann, führt den Erfolg nicht zuletzt darauf zurück, dass es ein außergewöhnliches Angebot sei. Für Kosmetik oder Nahrungsmittel gebe es inzwischen zahllose Artikel, für Kreative aber nicht. Der Kalender enthält Stifte, Weihnachtskarten, Sticker, ein Notizheft, eine Weihnachtskugel und einen Weihnachtsguide. Und das alles im Design der Szenegröße „Frau Hölle“.
Kaufmann Schonebeck ist sehr zufrieden mit seinen neuen, individuell bestückbaren Adventskalendern. „Die Eltern sind total glücklich“, beteuert der Unternehmer.
Wem der ganze Konsumrummel in der Vorweihnachtszeit zu viel wird, für den ist der Adventskalender Zero („24 mal weniger ist mehr“) vielleicht eine Option. Jeden Tag gibt es eine Anregung, um zu entrümpeln, zu entschlacken und zu entspannen.
Dieses 24-Tage-Programm hat keine Kalorien, regt an keiner Stelle zum Konsum an und wirbt für Verzicht und Minimalismus, heißt es. Bei diesem spirituellen Detoxing wird auch die Geldbörse um 12,95 Euro mitentschlackt.
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