Einzelhandel Händler treiben Verfassungsbeschwerde gegen Infektionsschutzgesetz voran

Tausende Händler wollen sich gegen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes juristisch wehren.
Düsseldorf Die Händler, die juristisch gegen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes vorgehen wollen, treiben die geplante Verfassungsbeschwerde zügig voran. Nach Prüfung durch die Rechtsanwälte unter Federführung der Kanzlei Heuking stehe einer Verfassungsbeschwerde nichts mehr im Wege, teilte die Händlerinitiative mit, zu der unter anderem Intersport, Rose Bikes, Ernstings Family, Tom Tailor und der ANWR Schuheinkaufsverbund gehören.
„Durch die verschärften, unmittelbar geltenden Regelungen im novellierten Bundes-Infektionsschutzgesetz bietet sich jetzt die Möglichkeit, an einer Stelle gegen diese extreme Diskriminierung vorzugehen“, sagt ANWR-Vorstand Fritz Terbuyken dem Handelsblatt. „Da es bei vielen Händlern zwischenzeitlich um Existenzen geht, sind wir bereit, alle Rechtswege zu beschreiten“, betont er.
Um eine noch breitere Basis für die Klage zu bekommen, hat sich die Gruppe mit der Initiative „Das Leben gehört ins Zentrum“ zusammengeschlossen, in der unter anderem Deichmann, der Shoppingcenterbetreiber ECE und weitere Handelsketten gegen den Lockdown kämpfen. Bis zur endgültigen Verfassungsbeschwerde müssen sie aber noch einige Hürden nehmen.
So werden die Juristen der Händler als nächsten Schritt eine zentrale Datenbank aufsetzen, in die alle Rechtsgrundlagen, bisherigen Urteile und Gutachten als Arbeitsgrundlage für die Sammelklage einfließen werden. Dieses Vorgehen wurde kartellrechtlich geprüft und bereits genehmigt.
„Unser Ziel ist es, dass wir eine Perspektive bekommen, dass unsere Läden öffnen dürfen – selbstverständlich unter strengen Hygienekonzepten“, so Alexander von Preen, Vorstandsvorsitzender von Intersport. Die Rechtsanwälte der Händler sehen Grundprinzipien des Gleichheitsgrundsatzes und der Verhältnismäßigkeit in der Gesetzesnovelle nicht erfüllt.
Gerichte rügen Ungleichbehandlung im Handel
Einer der Hauptkritikpunkte der Händler am Infektionsschutzgesetz, über das an diesem Mittwoch im Bundestag entschieden werden soll, sei eine Verzerrung des Wettbewerbs, wie Marcus Diekmann, Geschäftsführer von Rose Bikes und einer der Koordinatoren der Aktion, dem Handelsblatt sagte. So dürfen Lebensmittelhändler weiter beispielsweise Schuhe, Bekleidung oder Spielwaren verkaufen, während die entsprechenden Fachhändler schließen müssen.

Die Polizei kontrolliert die Einhaltung der Ausgangssperre in der menschenleeren Hamburger Innenstadt.
Kritisiert wird auch die einseitige Belastung des Handels. „Wir sehen eine absolute Ungleichbehandlung“, so Terbuyken. „Es gibt keine Homeoffice-Pflicht, es dürfen also auch weiterhin Menschen in Großraumbüros sitzen, aber der sichere Handel soll verboten bleiben.“
Außerdem fordert die mehrere Tausend Händler umfassende Gruppe klare Kriterien, wann ein Händler zur Versorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs gehört, also systemrelevant ist. Sie findet es rechtlich fragwürdig, dass das Gesetz etwa die Öffnung von Buchläden und Blumengeschäften auch bei höheren Inzidenzen erlaubt, Schuhgeschäften oder Sportläden dies aber verweigert. Begründet wurde diese Auswahl von der Regierung bisher nicht. „Wir verstehen nicht, weshalb das Einkaufen in einigen Geschäften sicher und in anderen unsicher sein soll“, kritisiert der ANWR-Vorstand.
Genau an diesem Punkt haben bereits mehrere Gerichtsentscheidungen gegen Verordnungen der Bundesländer angesetzt. So gab das Oberverwaltungsgericht Münster der Klage einer Media-Markt-Filiale wegen Ungleichbehandlung recht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass auch Schuhgeschäfte systemrelevant sind und in Bayern öffnen dürfen. In beiden Fällen musste danach die jeweilige Coronaschutzverordnung des Landes angepasst werden.
Die Händler haben Angst, dass der „Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, wie die Vorlage offiziell heißt, faktisch einen „Freifahrtschein für einen Dauerlockdown“ bedeute, so Diekmann. „Wir wollen Lösungskonzepte, die Mittel dafür sind da: FFP-Masken, Apps zur Kontaktnachverfolgung, Hygienekonzepte“, sagt der Rose-Bikes-Geschäftsführer.
Bei Lebensmittelhändlern halten sich Einbußen durch Ausgangssperre in Grenzen
Neben der geplanten Verfassungsbeschwerde werden die Vertreter der Initiative zusammen mit politischen Oppositionsfraktionen prüfen, ob ein eigenes Normenkontrollverfahren gegen die Gesetzesnovelle eingeleitet werden kann. FDP-Chef Christian Lindner, der die geplante Gesetzesänderung deutlich kritisiert hatte, wird da beispielsweise als Verbündeter gesehen. Auch werden Möglichkeiten in Erwägung gezogen, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.
Weniger im Fokus steht bei den Händlern die geplante nächtliche Ausgangsbeschränkung. Das bedeutet aber nicht, dass sie diese Maßnahme für sinnvoll halten, sondern hat einen einfachen Grund: Die klagebereiten Handelsunternehmen wären ohnehin ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen von der Notbremse betroffen und müssten komplett schließen.
Betroffen von einer Ausgangssperre sind dagegen die Lebensmittelhändler, die teilweise bis Mitternacht geöffnet haben. Doch bei ihnen halten sich die Umsatzeinbußen in Grenzen, weil ab 21 Uhr ohnehin weniger Kunden kommen, wie Rewe-Chef Lionel Souque am Montag bei der Vorlage der Jahreszahlen erklärte. Das habe beispielsweise die Erfahrung in Baden-Württemberg gezeigt, wo es schon seit Wochen Ausgangsbeschränkungen gibt.
Dazu kommt: Die Lebensmittelhändler sind heilfroh, dass sie bisher praktisch ohne Einschränkungen öffnen durften, und machten im vergangenen Jahr den besten Umsatz ihrer Geschichte. Wenn sie da über die relativ geringen Einbußen durch eine Ausgangssperre klagen würden, würden sie viel Kredit verspielen – in der Handelsbranche, aber auch in der Politik.
Mehr: Verhältnismäßig oder nicht? So urteilten Gerichte bisher über Ausgangssperren
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Das neue Gesetz istz ein "Ermächtigungsgesetz", dass der Regierung freie Hand bei Grundrechtseinschränkungen gibt und deshalb verhindert werden muss.
Die Regierung hat für Ostern hohe Inzidenzwerte vorausgesagt und diese dann selbst erzeugt. Zuerst wurden Testzentren massiv aufgebaut und dann die Unternehmen verpflichtet, ihre Mitarbeiter auch zu testen. So hat sich die Testmenge fast verzehnfacht und die Dunkelziffer sicherlich mehr als halbiert und die Inzidenz ist zwangsläufig gestiegen.
Es gibt keine Belge dafür, dass im Handel und in der Gastronomie mehr Risiken liegen, als in sonstigen Lebensbereichen. Gerade hat Frankreich erkannt, dass ihre strengen Lockdown - Maßnahmen nichts gebracht haben und sogar teilweise kontraproduktiv waren.
Es sollten jetzt viele Branchen Klagen einreichen, um der Regierung die rote Karte zu zeigen.
"Der Handel fürchtet, dass die Regierung einen „Freifahrtschein für einen Dauerlockdown“ bekommt..." das befürchte ich auch.